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Das Geistliche Wort | 02.04.2021 | 08:40 Uhr

Fragile-Karfreitagstimmung beim Live-Konzert

Guten Morgen!

Darf ich Sie heute am stillen Karfreitag mitnehmen auf ein Live-Konzert? Ich weiß, es ist eigentlich ein stiller Tag – aber keine Sorge: Ich möchte Ihnen nur von einem Open Air Konzert erzählen – und das hat etwas mit dem Gedenken von Karfreitag zu tun und hat mich sehr geprägt.

Ein warmer Sommerabend 2019. Ich steh im Innenraum des Stadions von Mönchengladbach. Dicht gedrängt und doch noch ausreichend Platz zum Tanzen. Verrückt! Damals ging das noch. Ohne Abstand und Mundschutz. Ein ausgelassener Abend mit großartiger Musik und starkem Gesang. Der britische Sänger Sting hat mit seiner aktuellen Platte „Sting my song“ noch einmal die besten Songs seiner langen Künstlerkarriere gespielt: angefangen mit Songs der Band Police aus den 1970 und 80er Jahren bis in die Gegenwart mit diversen Solostücken. Für mich eine musikalische Reise in meine Jugendtage mit Liedern, die mich immer noch begleiten.

Ausgelassen stehe ich mit vielen anderen Menschen zusammen. Wir singen gemeinsam. Langsam geht das Konzert seinem Ende entgegen. Mehrere Zugaben sind schon gespielt. Der Applaus hört nicht auf. Und es liegt diese Spannung in der Luft: Jetzt bloß nicht aufhören. Es fehlt doch noch ein Song. Da kommt Sting noch einmal auf die Bühne, alleine, nur mit seiner Gitarre. Und er spielt exakt vier Töne. Und dann ist allen klar, welches Stück jetzt kommt:

Applaus braust auf: Die Massen im Stadion sind begeistert und jubeln! Das ist das Stück, auf das alle gewartet haben: genial. Zugleich ist allen klar: Mit dieser Musik wird das Konzert tatsächlich zu Ende sein. Nach dem freudigen Jubel wird es plötzlich still. Schweigen. Andächtiges Schweigen.

Alle rücken näher zusammen. Wir liegen uns in den Armen – auch Menschen, die hier zufällig aufeinander treffen, sich nicht kennen aber auf einmal miteinander verbunden sind. Und wir lauschen diesem einen Lied. Großartige Musik und ein schweres Thema. Denn alle wissen, dieses Lied singt von uns Menschen, singt davon, wie zerbrechlich wir sind.

Noch ist kein Wort gesungen, aber schon so manche Träne fließt. Mit diesen Tönen steigen bestimmte Bilder in mir auf, die mich sehr bewegt haben und immer noch bewegen: Die einstürzenden Twintower in New York nach dem Terroranschlag 2001 bei dem Flugzeuge in das World Trade Center flogen. Tausende Menschen starben in den zusammenbrechenden Hochhäusern.

Der Anschlag in Paris im November 2015. Bei einer Massenschießerei wurden hier unter anderen mehrere Gäste bei einem Rockkonzert im Bataclan-Theater erschossen. Im selben Jahr war auch der Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris verübt worden. Sting hat nach diesen und vielen anderen Terroranschlägen auf Benefizkonzerten für die Opfer immer wieder dieses eine Lied gespielt: „Fragile“ - Zerbrechlich. So auch im Bataclan-Theater. Hier hat Sting das erste Konzert nach dem Terroranschlag gespielt: Und nach einer Schweigeminute für die Opfer spielte er dann auch „Fragile“.

Dabei hatte er das Lied bereits 1987 komponiert. Anlass war der Tod des US-amerikanischen Ingenieurs Ben Linder, der in Nicaragua einen Staudamm baute. Er unterstützte damit die zivile Bevölkerung. Daraufhin erschossen ihn Mitglieder einer konterrevolutionären Rebellengruppe, die von der US-amerikanischen Regierung mitfinanziert wurde. Ein unsäglicher Terrorakt, der auch zeigt, wie zerbrechlich menschliches Leben ist.

Sting klagt mit seinem Song „Fragile“. Es ist ein Song zum Weinen, weil so viel mitschwingt, soviel Zerbrechlichkeit in der Geschichte von Menschen. So viele Opfer von Terror und Gewalt. So viel Zerbrechlichkeit von wehrlosen Menschen.

Einspieler:

“If blood will flow when flesh and steel are one drying in the colour of the evening sun.

Tomorrow's rain will wash the stains away. But something in our minds will always stay.

Perhaps this final act was meant to clinch a lifetime's argument that nothing comes from violence and nothing ever could. For all those born beneath an angry star lest we forget how fragile we are.”

„Das wir alle nicht vergessen, wie zerbrechlich wir sind.“ Für mich ist das die Beschreibung für Karfreitag. Denn seit mehreren Jahren verbinde ich dieses Lied genau mit diesem Tag. Seit ich nämlich in der Jugendkirche TABGHA in Oberhausen zum ersten Mal die Karliturgie gefeiert habe. Ich durfte mehrere Jahre als Priester an diesem jugendlichen Kirchort im Bistum Essen mitarbeiten, wo Liturgie und Jugendkulturen aufeinandertreffen und nach neuen Ausdrucksformen suchen. Ein Beispiel war und ist die Liturgie am Karfreitag. Wichtiges Stilelement für die jungen Menschen war und ist dabei die Musik auch aus der Rock und Pop Kultur. Dazu gehört eben auch die Tradition den Song „Fragile“ von Sting zu singen – mit Blick auf das Kreuz. Auch wenn wir von Jahr zu Jahr im Gottesdienst immer verschiedene Kreuze verwandt haben mit unterschiedlichen Darstellungen des leidenden und sterbenden Christus: Das Lied blieb gleich: „Fragile“ mit dem charakteristischen Motiv für Karfreitag. „Das wir nicht vergessen, wie zerbrechlich wir sind.“ Ein Mensch am Kreuz: Geschunden, geschlagen, verspottet. Zum Tode verurteilt und zwar mit einer der grausamsten Foltermetode. Elendig verreckt. Da ist etwas zerbrochen: Ein Mensch.

Genau darum geht´s. So wie es ein Satz aus dem Johannesevangelium auf den Punkt bringt, das im heutigen Gottesdienst verlesen wird: „Seht, da ist der Mensch!“ Und er ist fragil, vulnerabel, zerbrechlich und verletzlich.

Das gilt es erst einmal auszuhalten. Immer wieder die Menschen anzusehen, in ihrer Zerbrechlichkeit, ob in New York, Paris, Jerusalem, Oberhausen oder Mönchengladbach.

Welche zerbrechlichen Menschen kommen Ihnen heute in den Blick?

Und Sting singt weiter: „Es wird regnen und regnen als ob die Sterne weinten.“

Ich denke mir: Vielleicht ist das heute Morgen einfach mal dran. Die Tränen fließen lassen über alles, was so zerbrechlich ist? Der Karfreitag und der Blick auf das Leid so Vieler bringen mich jedenfalls zum Schweigen angesichts der Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens. – So wie ich auch nach dem ausgelassenen Live-Konzert von Sting 2019 im Stadion in Mönchengladbach plötzlich still wurde, Tränen flossen, angerührt von meinen eigenen Erinnerungen an das Zerbrechen von Leben.

Damals im Stadion und auch heute Morgen denke ich an meinen verstorbenen Vater. Ich sehe ihn auf der Intensivstation aus dem Leben gleiten. – Und ich sehe ganz aktuell so viele zerbrechliche Menschen in der Corona-Pandemie. Seit über einem Jahr spüre ich wie zerbrechlich ich selber bin, wie zerbrechlich wir sind. Ein Virus hält uns das unsichtbar vor Augen. Seht, der Mensch, wie fragil und vulnerabel er ist.

Damals im Stadion 2019 war es gut diese Zerbrechlichkeit nicht alleine zu spüren. Das letzte Musikstück beim Konzert von Sting schaffte eine riesige Verbundenheit unter den doch sehr unterschiedlichen Konzertbesucherinnen und Konzertbesuchern. Oder ist es nicht genau diese Zerbrechlichkeit, die uns Menschen insgesamt miteinander verbindet? Und ist es nicht genau das, was uns auch diese Pandemie aktuell zeigt? Wir sind alle gleich, nämlich gleich zerbrechlich. Jede und jeder ist vom Tod betroffen. Niemand ist sicher vor dem Tod, nur der Tod ist uns allen sicher.

Und damit bin ich wieder beim Karfreitag, an dem des Todes Jesu gedacht wird.

Gott, sei Dank, zeigt der Karfreitag aber nicht nur den Tod eines Menschen, sondern er zeigt mir vor allem einen Gott, der sich mit allen Menschen solidarisiert. Denn dieser Gott macht sich durch seinen eigenen Sohn Jesus am Kreuz so zerbrechlich und vulnerabel, wie ich Mensch es selber bin.

So singt vielleicht mein Gott die letzten Zeilen dieses Liedes mit mir gemeinsam: „How fragile we are. How fragile we are.“ Wie zerbrechlich wir sind!

Mir gibt das Hoffnung, dass Gott einer ist, der meine Zerbrechlichkeit ernst nimmt und annimmt: Wie zerbrechlich wir doch sind. Sie und ich. Und dieser Gott sagt mir damit auch: Ich weiß, was du fühlst. Ich kenne deinen Schmerz und ich halte ihn mit dir aus. Er ist der Leidende und Sterbende am Kreuz und zugleich identisch mit den unzähligen Leidenden und Sterbenden dieser Welt. Er ist zerbrechlich wie alle Trauernden und Verzweifelten. Ja, er ist auch wie einer der fremden Menschen im Stadion, die mich damals bei diesem Song in den Arm nahmen. „How fragile we are“, – sangen wir da leise mit.

Der letzte Ton ist verklungen. Noch ein tosender Applaus. Sting verneigt sich und geht von der Bühne. Das Konzert ist zu Ende. Aus und vorbei.

Alle Konzertbesucherinnen und Konzertbesucher verlassen das Stadion von Mönchengladbach und kehren zurück in ihren Alltag. Aber etwas klingt nach in mir. Die besondere Stimmung zum Schluss des Konzertes hinterlässt bei mir ein Gefühl der Traurigkeit: Darüber, dass das Konzert zu Ende ist aber noch vielmehr darüber, dass mir bewusst ist, wie zerbrechlich auch mein Leben ist.

Aber dazu kommt noch ein anderes Gefühl: Irgendwie hat mir an diesem Abend die Zerbrechlichkeit keine Angst gemacht. Ich war ja nicht allein. Und dieses Gefühl wirkt noch nach. Auch wenn ich nun wieder alleine Zuhause bin, bleibt da diese Erfahrung: Ich bin nicht allein mit meinem fragilen Leben.

Am Ende geht das Leben weiter. Nur eben ganz anders. Die Zerbrechlichkeit, die Fragilität ist für mich zu einem Erkennungszeichen der Solidarität geworden, meines Gottes mit mir und den unzähligen Menschen untereinander.

Vielleicht ist das die Perspektive, die mir Sting mit seinem Song „Fragile“ damals geschenkt und mir immer wieder bewusst gemacht hat. Vielleicht ist das die Perspektive, die Gott mir durch seine Fragilität so oft geschenkt hat. Und es ist vielleicht auch möglich, dass genau in dieser Zerbrechlichkeit und Solidarität neues Leben wird – gerade auch in dieser Corona-Pandemie.

„How fragile we are!“ Wie zerbrechlich wir doch sind! Und dennoch Zuversicht sowie die Erfahrung von Verbundenheit und Solidarität wünscht Ihnen Ihr Stefan Wiesel aus Essen.

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