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Das Geistliche Wort | 09.03.2014 | 08:40 Uhr

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Worte als Lebensmittel - Else Lasker-Schüler

Musik 1: Track 3 Sheherezadeh (2:53), CD Dance of Fire Suite, Interpretin, Komponistin, Arrangement: Aziza Mustafa Zadeh, Weitere Interpreten: Al di Meola (Guitar), Bill Evans (Sax), Stanley Clarke (Bass), Kai E. Karpeh de Camargo: (String, Bass), Omar Hakim (Drums), Produzent: Reinhard Karwatky, 1995 Columbia Sony Music, LC 0162

Autorin: Sie konnte wunderbar den Mund vollnehmen und prägte unvergleichliche Privatwörter. Else Lasker-Schüler schuf Wortwelten, ihr Leben lang. Virtuos schrieb sie ihre Dichtung der Liebe und des Glaubens, ihrer Träume und Visionen. Sie war streitbare Frau, liebende Mutter, Weggefährtin vieler Künstler, eine bunte Persönlichkeit. Guten Morgen, liebe Hörerin, lieber Hörer. Ich bin Susanne Wolf, evangelische Pfarrerin aus Wuppertal. Die freche und freie Else Lasker-Schüler, eng verbunden mit meiner Stadt, fasziniert mich mit ihren Wortgeweben immer wieder neu. Sie hat die Gabe ihr Leben eng zu verknüpfen mit dem Wort, mit Worten ihr Leben zu retten.

Musik 1

Autorin: Ehrlich und fantasiereich so empfinde ich Else Lasker-Schülers Poesie. Mich beeindruckt, wie sie sich dem Leben stellt und zugleich in Visionen von einem anderen Leben flieht. Die Dichterin führt uns ins Reich des Orients, sie spielt mit Identitäten und Zeiten. Auch sich selbst hat sie so stets neu erfunden.

Sprecherin: „Ich bin in Theben geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im Rheinland. Ich ging bis elf Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich.“ (1)

Autorin: Geboren wird Else Lasker-Schüler im Februar 1869 als sechstes und letztes Kind einer gutbürgerlich jüdischen Familie. Ihren Vater, ein Privatbankier, erlebt Else als stürmisch und laut, doch auch sehr strukturiert. Er trägt seinen Teil zu ihrer Entwicklung bei.

Sprecherin: „Er schätzte Mädchen nicht allzusehr, und ich musste in seiner Begleitung stets keck und burschikos gekleidet gehen.“ (2)

Autorin: Die Mutter der Dichterin wird häufig beschworen als schöne, jugendlich-majestätische „Mama“. Mit ihrer Tochter ist sie durch ihre Wortlust verbunden. Die beiden teilen die Freude am selbsterfundenen „Einwortspiel“. Das geht so: Die eine nennt das erste Wort und die andere antwortet mit einem, das sich darauf reimt: Tinte, Finte, Flinte. Ein schönes Mittel gegen Langeweile. Denn ab dem 11. Lebensjahr hat das Mädchen nach einem Unfall nur noch Privatunterricht. Es sind Frauen, die Else Lasker-Schüler in ihrer Dichtkunst prägen.

Sprecherin: „…und der häusliche Unterricht bedeutete mir eine Spielerei; aber eine Belohnung, saßen wir beide, meine allerbeste Freundin, meine junge schöne Mama und ich nebeneinander beisammen am Rosenholztisch und dichteten. (…) Auch liebte ich meine nie gesehene, bei der Geburt ihres Kindes (meiner Mama) gestorbene Mama, meine Großmutter, die Dichterin Johanna Kopp.“ (3)

Musik 2: Track 5 Bana Bana Gel (Bad Girl) (12:32), CD Dance of Fire Suite, Interpretin, Komponistin, Arrangement: Aziza Mustafa Zadeh, Weitere Interpreten: Al di Meola (Guitar), Bill Evans (Sax), Stanley Clarke (Bass), Kai E. Karpeh de Camargo: (String, Bass), Omar Hakim (Drums), Produzent: Reinhard Karwatky, 1995 Columbia Sony Music, LC 0162

Autorin: Mit 25 Jahren heiratet Else Schüler den Arzt Jonathan Lasker. Die Beziehung mit dem bürgerlich akzeptablen, aber konturlosen Mann führt sie nach Berlin, hinein in die Zeichenwelt eines eigenen Ateliers und schließlich in die Arme eines unbekannten Geliebten. Die Ehe zerbricht. Else Lasker-Schüler landet schwanger in bitterer Armut. Doch sie wählt nicht den Weg zurück in die Ehe, sondern die Freiheit ihrer Wortwelten. Und sie wird dabei nicht müde, ihren dichterischen Adel gegenüber dem Geldadel zu behaupten.

Am 24. August 1899 kommt ihr Sohn Paul in der Königlichen Frauenklinik in Berlin zur Welt. Die Geburt in dieser Klinik kann sie nur bezahlen, weil sie zuvor dort gearbeitet hatte. Andere Frauen hätte diese Armut mutlos werden lassen. In Else Lasker-Schüler weckte die Situation den Kampfgeist. Ein Kampfgeist der später dazu führen wird, dass die Dichterin deutlich ihre Stimme für Frauenrechte erhebt.

Ausgerechnet in diesen entbehrungsreichen Jahren veröffentlicht Else Lasker-Schüler ihre ersten Gedichte. Sie schreibt, um zu überleben, seelisch und physisch. Worte sind ihre Rettung zu sich selbst.

Sprecherin:

(Weltflucht)

Ich will in das Grenzenlose

Zu mir zurück,

Schon blüht die Herbstzeitlose

Meiner Seele,

Vielleicht ists schon zu spät zurück.

O, ich sterbe unter euch!

Da ihr mich erstickt mit euch.

Fäden möchte ich um mich ziehen

Wirrwarr endend!

Beirrend

Euch verwirrend,

zu entfliehn

Meinwärts (4)

Autorin: „Meinwärts“ – Else Lasker-Schüler erschafft neue Wörter. Meinwärts – da klingt so viel mit: aufwärts, rückwärts, heimwärts. Der Welt entfliehen, das ist der vergebliche Wunsch. Die phantasiebegabte Lyrikerin verwebt Leben und Dichtung ineinander, erfindet neue Wortverbindungen und damit auch ein neues Verständnis von Welt. Worte sind ihr Lebens-Mittel, Lebens-Speise. Eine Grundüberzeugung auch im jüdisch-christlichen Denken. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des Herrn geht.“ Der Vers aus dem 5. Buch Mose, der sich im Matthäusevangelium wiederfindet, macht es klar. Worte, Gottes Weisung, sind mehr als Buchstaben und mehr als gesprochene Wörter, mehr als Klang. Worte Gottes - sie nähren uns und halten uns am Leben und sie bergen die Kraft, uns zu verändern.

Wie Else Lasker-Schüler liebe auch ich als Theologin Wörter, vor allem das eine Wort Gottes, das in so vielen Geschichten, Psalmen und Briefen überliefert ist. Texte sind mitunter wie Textilien, in die ich mich einhüllen kann; Texturen, die mir Lebensraum öffnen.

Musik 3 = Musik 2

Autorin: Es ist Peter Hille, der Dichterfreund von Else Lasker-Schüler, der sie in Kontakt bringt mit ihren jüdischen Wurzeln. So schreibt sie ihr Gedicht „Mein Volk“. Es ist das erste expressionistische Gedicht überhaupt in Deutschland. (5))

Sprecherin:

(Mein Volk)

Der Fels wird morsch,

Dem ich entspringe

Und meine Gotteslieder singe…

Jäh stürz ich vom Weg

Und riesele ganz in mir

Fernab, allein über Klagegestein

Dem Meer zu.

Hab mich so abgeströmt

Von meines Blutes

Mostvergorenheit.

Und immer, immer noch der Widerhall

In mir.

Wenn schauerlich gen Ost

Das morsche Felsgebein,

Mein Volk,

Zu Gott schreit. (6)

Musik 4: (schon in der Mitte des Gedichtes unterlegt) Track 11 Father (5:57), CD Dance of Fire Suite, Interpretin, Komponistin, Arrangement: Aziza Mustafa Zadeh, Weitere Interpreten: Al di Meola (Guitar), Bill Evans (Sax), Stanley Clarke (Bass), Kai E. Karpeh de Camargo: (String, Bass), Omar Hakim (Drums), Produzent: Reinhard Karwatky, 1995 Columbia Sony Music, LC 0162

Autorin: Else Lasker-Schüler heiratet ein zweites Mal. Mit ihrem Mann Herwarth Walden lebt sie in Geldsorgen. Sie wird betrogen und lässt sich scheiden. Hinzu kommt, dass die Dichterin vernichtende, unverständige Kritik für ihre Werke erntet. Das sozialkritische Theater „Die Wupper“ braucht zehn Jahre bis es in einem Deutschen Theater uraufgeführt wird. Lasker-Schüler zieht sich zurück und wird sehr krank. Isoliert von anderen konzentriert sie sich ganz aufs Schreiben. Es scheint, als würden die Brüche in ihrem Leben die schönsten Gedichte hervorbringen. Sie findet mit Worten einen Weg durch schwere Zeiten. So wie sie mit dem „alten Tibetteppich“ einen Weg in die künstlerische Anerkennung findet.

Sprecherin:

(Ein alter Tibetteppich)

Deine Seele, die die meine liebet,

Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet

Strahl in Strahl, verliebte Farben,

Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füße ruhen auf der Kostbarkeit

Maschentausendabertausendweit.

Süßer Lamasohn auf Moschuspflanzenthron

Wie lange küßt dein Mund den meinen wohl

Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon? (7)

Autorin: Else Lasker-Schüler lebt allein mit ihrem Sohn, ohne Geld. Doch das macht sie nicht kleinmütig. Vielmehr dichtet sie sich prächtige Rollen zu, nennt sich Prinz und kleidet sich entsprechend. 1914 wird sie in München wegen ihrer Aufmachung auf der Straße verhaftet. Sie liebt Kitsch, Tand und Glitter und vermag es, sich immer neu zu verlieben. Gottfried Benn, der von vielen vielleicht geliebteste Geliebte, beschreibt sie:

Sprecher: „Sie war klein, damals knabenhaft schlank, hatte pechschwarze Haare, kurz geschnitten, was zu der Zeit noch selten war, große rabenschwarze bewegliche Augen mit einem ausweichenden unerklärlichen Blick. Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Strasse gehen, ohne dass alle Welt stillstand und ihr nachsah: extravagante weite Rücke oder Hosen, unmögliche Obergewänder, Hals und Arme behängt mit auffallendem, unechten Schmuck…“ (8)

Autorin: Das Café wird für Else Lasker-Schüler zum Ort der Inspiration. Die Atmosphäre lässt sie aufatmen. Mit Lesungen und Beiträgen in literarischen Blättern verdient sie ihren Lebensunterhalt. Sie liebt es, bei Kerzenlicht vorzulesen und ihre Worte mit Schellengeläut und Rasseln zu untermalen. So erweckt sie ihre Texte zum Leben, zum Klingen.

Musik 5: Track 10 To be continued (5:59), CD Dance of Fire Suite, Interpretin, Komponistin, Arrangement: Aziza Mustafa Zadeh, Weitere Interpreten: Al di Meola (Guitar), Bill Evans (Sax), Stanley Clarke (Bass), Kai E. Karpeh de Camargo: (String, Bass), Omar Hakim (Drums), Produzent: Reinhard Karwatky, 1995 Columbia Sony Music, LC 0162

Autorin: Ende der 20er Jahre – Else Lasker-Schülers Sohn Paul stirbt an Tuberkulose. Sein Tod setzt ihr schwer zu, sie fühlt sich geprügelt an Leib und Seele, wie gerissenes Seidenpapier. Die Dichterin befindet sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie hat erfolgreich veröffentlicht und 1932 den Kleist-Preis für den „überzeitlichen Wert ihrer Verse“ erhalten. Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, gilt ihre Kunst jedoch als entartet. Gegen diese Gewalt helfen ihre Worte nicht. Die Dichterin leidet in und an der Welt. Sie muss fliehen. Als ahnte sie die Zukunft, schrieb sie bereits 1904 ihr Gedicht „Weltende“.

Sprecherin:

(Weltende)

Es ist ein Weinen in der Welt,

Als ob der liebe Gott gestorben wär,

Und der bleierne Schatten, der niederfällt,

Lastet grabesschwer.

Komm, wir wollen uns näher verbergen…

Das Leben liegt in aller Herzen

Wie in Särgen.

Du! Wir wollen uns tief küssen –

Es pocht eine Sehnsucht an die Welt,

An der wir sterben müssen. (9)

Autorin: Else Lasker-Schüler findet Aufnahme in der Schweiz, aber keine Heimat. Eine längere Aufenthaltsgenehmigung erhält sie nicht. Dreimal reist sie von hier nach Palästina. Der letzte Aufenthalt wird zur Dauer. Ihre Suche nach Heimat findet Form in einem ihrer letzten Gedichte.

Sprecherin:

(Mein blaues Klavier)

Ich habe zu Hause ein blaues Klavier

Und kenne doch keine Note.

Es steht im Dunkel der Kellertür,

Seitdem die Welt verrohte.

Es spielen Sternenhände vier

-Die Mondfrau sang im Boote-

Nun tanzen die Ratten im Geklirr.

Zerbrochen ist die Klaviertür…

Ich beweine die blaue Tote.

Ach liebe Engel öffnet mir

-Ich aß vom bitteren Brote-

Mir lebend schon die Himmelstür-

Auch wider dem Verbote. (10)

Autorin: Heimatlos bleibt die Jüdin Else Lasker-Schüler. Sie stirbt mit 76 Jahren und wird auf dem Ölberg begraben. Doch sie hinterlässt Speise für die Seele. Lebensbrot. Dichtung, die vom Leben und Sterben, von Liebe und Leid, von Glaube und Verzweiflung erfüllt ist. Poesie, die weit über das irdische Leben hinausweist. Einen Blick wirft in Traum und Vision. Vielleicht mögen Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer, von dieser Speise am heutigen Sonntag noch ein wenig kosten. Oder sie erfinden selbst Wortwelten die Ihnen zum Lebensbrot werden. Ihre Susanne Wolf von der evangelischen Kirche.

Musik 6: Telling Stories (2:39) von Theresa Tova, Track 12 von CD Telling Stories, Label: Theresa Tova, 2000, LC: TE001.

Literatur:

Else Lasker-Schüler, Meine Wunder. Gedichte, Ricarda Dick (Hg.), Berlin 2011.

Else Lasker-Schüler, Liebesgedichte. Ausgewählt und mit einem Nachwort von Eva Demski, Frankfurt aM, Leipzig, 2005.

Erika Klüsener, Else Lasker-Schüler, mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Hamburg 1980.

Anmerkungen:

(1)Vgl. Klüsener, aaO., 11f.

(2) aaO. 19.

(3) aaO. 21.

(4) aaO. 8.

(5) „Ein Bündel Wegerich. Zum hundertsten Geburtstag Else Lasker-Schülers“, in: „Die Brücke. Sonntagsbeilage zur Stuttgarter Zeitung“ vom 8. Februar 1969. Zitiert nach Erika Klüsener aaO.65.

(6) Vgl. Lasker-Schüler, Meine Wunder, aaO. 46.

(7) Vgl. Lasker-Schüler, Liebesgedichte, aaO. 77.

(8) Vgl. Klüsener, aaO. 81-82.

(9) Vgl. Lasker-Schüler, Meine Wunder, aaO. 54.

(10) Vgl. Klüsener, aaO. 126f.

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