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Kirche in WDR 5 | 12.01.2022 | 06:55 Uhr
Zuhausesein
Guten Morgen.
Sie alle sehnen sich danach.
Die auf den Erdbeerfeldern bei Dortmund, kurz nach dem Krieg. Vertriebene aus ihrer Heimat. Von den Einheimischen verjagt.
Die in den Wäldern zwischen Belarus und Polen – niemand will sie aufnehmen.
Die mit den Plastiktüten und dem dreckigen Schlafsack, die aus vielerlei Gründen Gestrandeten ohne Obdach, auf der Suche nach einem geschützten Platz für die Nacht.
Die in den Tiny-Houses und in den feuchten Trümmerhäusern, denen die Flut das Zuhause in wenigen Stunden geraubt hat.
Sie alle sehnen sich danach: sich zuhause zu fühlen. Da schwingt vieles mit. Geborgenheit. Sicherheit. Dazugehören.
Damit ich mich zuhause fühlen kann, braucht es vieles. Pastor Arnd Kulla erzählt, was die Menschen im überfluteten Ahrtal bewegt, wo manche Familien und Nachbarn über Nacht auseinandergerissen wurden:
O-Ton 1: Da gehen dann ganze Nachbarschaften kaputt. Und ich glaube, diese Angst, soziale Bindungen zu verlieren,
Autorin: schafft ein Gefühl von Unbehaustheit in der Welt. Denn ein ganz wichtiger Teil meines Lebens, mit dem ich mich in der Welt verankert und getragen fühle sind…
O-Ton 2: …die sozialen Beziehungen, die ich habe, die Familien, die Freundschaften, das kennzeichnet den, der ich bin. Ich bin durch die Menschen um mich herum und um das, was ich mit ihnen erlebt habe.
Autorin: Was ist, wenn mir das genommen ist? Wie finde ich zurück zu einem Zuhause-Gefühl? Pastor Arnd Kulla hat eine syrische Familie im Ahrtal ein Stück begleitet.:
O-Ton 3: Das sind Kurden, die haben ihr Zuhause in Syrien durch den Krieg verloren und haben eine lange Fluchtgeschichte hinter sich. (…) und haben dann im Ahrtal ein neues Zuhause gefunden und sind ganz glücklich da gewesen, bis sie zum dritten Mal eigentlich ihr Zuhause verloren haben. Und diese Familie hat mir erzählt, dass sie im Grunde darüber jetzt gemerkt haben, dass sie hier angekommen sind, wie ihnen geholfen wurde. (…) Für sie ist es so: Sie haben erlebt, dass ihnen Menschen hier geholfen haben, und zwar fast immer Menschen, die sie noch nie vorher gesehen haben, die sie nicht gekannt haben. Und die haben ihnen einfach so geholfen. Die haben ihnen Sachen gebracht, die haben ihnen geholfen, eine neue Wohnung zu finden…
Autorin: Und dabei merkt die syrische Familie:
O-Ton 4: Hier ist ein Netz, von dem wir gar nichts wussten vorher, (…) Und die geben uns aber so viel Sicherheit und eine neue Identität ein Stück weit. Wir sind immer noch die Familie aus Syrien. Aber wir sind jetzt Menschen aus dem Ahrtal, und wir ziehen da auch wieder hin, auch wenn wir jetzt gerade im Umland gelandet sind.
Autorin: Mich Zuhause fühlen. An einem Ort, in einer Wohnung, die mir Schutz bietet. Mich zuhause fühlen durch die Menschen an meiner Seite. Pastor Arnd Kulla von der Flutseelsorge hatte ein Geschäft, das durch die Flut zerstört worden ist. Und dann erlebt er…
O-Ton 5: Mensch, ich bin mit dieser Katastrophe nicht alleine, sondern es kommen ganz, ganz viele, die helfen, ohne zu fragen und die schleppen Sachen. (…) Freunde waren da, aber eben auch ganz fremde Leute, die viele, viele Stunden gearbeitet haben. Und für mich war die Hilfe, die ich erfahren habe, ein riesiges emotionales Gegengewicht gegen die Schrecken dieser Flutnacht.
Autorin: Dass er jetzt anderen helfen kann,
O-Ton 6: … wieder auf die Beine zu kommen und ein Stück weiterzugehen,
Autorin: das tut ihm gut.
O-Ton 7: Und ich selber fühle mich da auch ein Stück begleitet und geleitet und gesegnet. Ich glaube, dass Gott mir da eine Aufgabe geschenkt hat,…
Autorin: in der er mit anderen eine Freundschaft auf Zeit lebt. Sie ein Stück begleitet. Zuhause – das ist ein Ort und das sind Menschen, die sich mir zuwenden und denen ich mich zuwende. Christlich gesprochen nennt man das auch Caritas, die uneigennützige Liebe, das Wohlwollen füreinander, zu dem Christus uns Wege gezeigt hat.
Und davon wünsche ich uns allen reichlich in diesem Jahr.
Ihre
Rundfunkpfarrerin Petra Schulze aus Düsseldorf.