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Kirche in WDR 5 | 02.03.2022 | 06:55 Uhr
Gedenke: Du bist Staub
Liebe Hörerinnen und Hörer.
Moskau im Jahre 1848. Es ist klirrend kalt, als eine Gruppe von jungen, angeblichen Revolutionären auf einen Hinrichtungsplatz geführt wird. Einer von ihnen trägt den Namen Fjodor Michaelowitsch Dostojewski. Mit verbundenen Augen werden die Unglücklichen nebeneinander aufgereiht. Dann bellt der Befehl über den Hof. „Legt an!“- „Jetzt werden wir bald Christus sehen“, flüstert Dostojewski seinem Nebenmann zu. „Unsinn!“, antwortet dieser, „wir sind nichts anderes als eine Handvoll Staub.“ Dann plötzlich ein Trommelwirbel und eine Stimme verkündet, dass der Zar in seiner unendlichen Güte die Delinquenten zu 4-jähriger Haft begnadigt hat. Es war, von Anfang an geplant, eine Scheinhinrichtung. Statt Erschießung sibirisches Gefangenenlager. Auf dem Weg dahin steckte eine wildfremde Frau dem jungen Dostojewski eine Bibel zu, die sein lebenslanger Wegbegleiter wurde.
Wenn heute den Gläubigen ein Kreuz aus Asche auf die Stirn gezeichnet wird und der Zelebrant dabei die Worte sagt: „Asche bist Du und zu Asche kehrst Du zurück“, ist dies nicht derselbe Satz, den der atheistische Freund seinem Kameraden Fjodor Michaelowitsch zurückflüsterte: „Wir sind nur eine Handvoll Staub.“ Dieser Satz, in all seiner Trostlosigkeit beschreibt die atheistische Perspektive: Alles Leben ist letztlich nichts anderes als eine chemisch-biologische Reaktion der Materie. Und von uns allen bleibt letztlich nichts anderes als eine Handvoll Asche auf dem kosmischen Abfallhaufen des Nichts. Atheisten sind überzeugt, dass wir dieser Tatsache tapfer ins Angesicht schauen müssen, und viele von Ihnen tun es auch.
Dostojewski, der die zugesteckte Bibel der fremden Frau sein Leben lang bei sich trug, vertrat dagegen die österliche Hoffnung an eine unsterbliche Seele. Für mich ist diese Hoffnung nirgendwo so schön ausgedrückt wie auf einer Todesanzeige, die ich gefunden habe. Da heißt es: „Der Herr sagt: Dort wohin Du nichts mitnehmen kannst und wohin Dich niemand begleiten kann, dort warte ich auf Dich, um für Dich die Finsternis in Licht zu verwandeln.“[1]
Übrigens: Wenn die Imperatoren in Rom auf ihren Triumphwagen durch das Spalier der jubelnden Massen fuhren, stand hinter ihnen ein Sklave der ununterbrochen flüsterte: „Bedenke, dass Du sterblich bist.“ Auch dieser Satz wird beim Aschenkreuz heute gesprochen. Und manchmal, ja manchmal würde ich dem Zelebranten gerne mit folgendem Satz antworten: „Gedenke auch Du, dass Du ein sündiger, sterblicher Mensch bist.“ Und dann würde ich ergänzen: „Du bist von mir nicht unterschieden durch das Amt an dem Du festhältst, sondern mir gleich in der Sehnsucht des einfachen Gotteskindes in christlicher Freiheit und österlicher Hoffnung.“
[1] Vgl.: https://traueranzeigen.nwzonline.de/traueranzeige/eckhard-selden.