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Kirche in WDR 5 | 08.03.2022 | 06:55 Uhr

Die Leidtragenden

Guten Morgen!

„Meine Stunde kommt noch.“

Mit Nachdruck sagt sie diesen Satz, nicht irgendwie theatralisch, nein, ganz nüchtern: Meine Stunde kommt noch. Man merkt, dass Gerda ganz genau weiß, wovon sie redet. Sie hat am eigenen Leib erlebt, was Hilde jetzt durchmacht. Sie weiß, wie das ist, wenn von heute auf morgen der Tod das Leben zerstört. Gerda kennt, was Hilde jetzt erlebt. Hildes Mann ist in der Nacht gestorben, sein Herz ist einfach stehen geblieben. Carlo ist erst 49, Arzt, diese Nacht hatte er Bereitschaftsdienst. Als das Telefon klingelt, um ihn zu einem Notfall zu rufen, da steht er nicht auf.

Ich werde zu der Familie gerufen. Gestern haben hier noch Carlo, Hilde und die sechs Kinder gelärmt, gelacht und gestritten. Und jetzt sitzen hier verstörte, blasse Menschen, die nicht glauben können, dass das hier Wirklichkeit ist. Dass sie hier und jetzt überlegen müssen, wann und wo Carlo beerdigt wird, was in der Trauerkarte stehen soll und so weiter.


Schon bald ist es ein Kommen und Gehen im Haus. Familienmitglieder treffen ein, Freunde sind da. Nachbarn kommen. Alle weinen mit, alle bieten Hilfe an. Am Beerdigungstag kann die Kirche die vielen Menschen nicht fassen.

Gerda hält sich zurück. Sie lässt die anderen vor, die trösten und unterstützen wollen.


„Meine Stunde kommt noch“, sagt sie mir. Ich schaue sie fragend an, und sie erklärt mir: „In ein paar Monaten hat das alles aufgehört, das Anrufen und Vorbeikommen und Erkundigen. Dann sind sie alle weg, und es wird still. Dann wird es erst richtig schlimm. Und dann – dann bin ich da.“ Sie sagt das ganz ohne Vorwurf oder Bitterkeit. So ist das eben. Alle haben ja ihr eigenes Leben, ihre eigenen Familien, ihre eigenen Sorgen, die sie in Anspruch nehmen. Es ist gar kein böser Wille, dass die anfängliche Fürsorge sich allmählich abschleift.


Gerda weiß das, sie weiß das doppelt. Zuerst ist Gerdas ältester Sohn gestorben. Er war noch klein, als er die Mandeln rausbekommen hat. Bei der OP ist dann etwas schiefgelaufen. Das gibt es doch nicht! Stimmt. Aber dieses Mal, da gab es das, und es hat ihren Sohn getroffen. Und ein paar Jahre später hat es sie wieder getroffen. Ihr Mann ist bei der Arbeit in die Tiefe gestürzt. Tot. Gerda stand allein da mit ihren drei Kindern. Als ich sie kennengelernt habe, war ich beeindruckt von ihrem explodierenden ansteckenden Lachen, das die Wände wackeln ließ. Das war einige Jahre nach ihren Verlusten. Von dem Leid, das sie durchgemacht hatte, hat sie mir erst später erzählt.

Gerdas Stunde ist tatsächlich gekommen. Sie ist immer noch da, auch nach zwanzig Jahren. Gerda ist wie ein Fels in der Brandung. Aus der Leidensgenossinnenschaft mit Hilde ist tiefe Freundschaft geworden. Ihre Kinder haben Familien gegründet. Sie erfreuen sich an ihren Enkelkindern. Das vergangene Leid ist nicht vergessen, aber es ist erträglich geworden.

In letzter Zeit vergisst Hilde viel. Das macht sie traurig. Gerda auch. Aber sie ist da.

Jesus sagt: Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.


Einen gesegneten Tag wünscht Ihnen Pfarrerin Silke Niemeyer aus Münster.



Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

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