Arm und selig

Guten Morgen!

Kalter Zigarettenrauch umweht mich im Treppenhaus. Ein bulliger Grauhaariger begrüßt mich. “Sagen Sie Manni zu mir, so nennen mich alle!“ Seine Stimme ist geschmirgelt, seine Augen rot gerändert. Er bietet mir den Platz im zerschlissenen Sessel an und setzt sich gegenüber.

„Da! Das war ihr Platz, da hat sie immer gelegen.“ Manni klopft auf das Sofa zu seiner Linken. „Sie konnte ja nicht mehr.“ Er spricht von Mona. Mona ist tot, und ich werde sie beerdigen. „Ich würd‘ sie immer wieder nehmen“, nickt Manni. Er hat sie vor siebenunddreißig Jahren kennengelernt, im Park nebenan, wo er und seine Kumpels beim Bier gestanden haben. Er zieht ein speckiges Portemonnaie aus der Hosentasche, klappt es auf, zeigt mir ein Foto. „Das ist sie.“ Ein von braunen Wuschelhaaren umrahmtes, vom rauen Leben gezeichnetes Gesicht blickt mich an. Manni zieht es an sich, führt es an seine Lippen, küsst es.

Über seinem Platz entdecke ich eine hölzerne mit Blumenranken dekorierte Tafel: „Mama ist die Beste.“ „Ein Geschenk von Ihren Kindern?“ – „Nein. Gab’s im Marktkauf im Angebot, hat uns gefallen.“ - „Ach so. Ich dachte, Sie hätten vielleicht Kinder…“

„Haben wir auch“, erzählt Manni. Zwei Töchter. „Aber wir hatten damals Probleme. Und da haben sie uns die weggenommen. Große Probleme“, wiederholt Manni. Und ich verstehe, dass ich besser nicht nachfrage. Seine Miene hellt sich auf: „Aber seit ein paar Jahren haben wir wieder Kontakt. Wir hängen ja doch dran ...

Ich habe der Mona so oft gesagt: Mona, das geht so nicht mehr. Du musst zum Arzt. Aber sie wollte einfach nicht.“ Manni erzählt, wie schlecht es Mona ging. Wie er ihr geholfen hat, damit sie den Putzjob nicht verliert. „Sie hat nachher ja nur noch gelegen.“ Wieder klopft Manni auf das Sofa zu seiner Linken, erzählt, wie er sie gewaschen hat. „Am schlimmsten war das mit den Füßen. Sie wollte sich die Strümpfe ja nicht mehr ausziehen.“ Vier Monate hat Manni gepredigt: „Mona, du musst dir die Socken ausziehen.“ Am Ende hat er es gemacht. Er schaut mich vielsagend an, sagt: „Ich hab ihr die Nägel geschnitten. Ich hab’se doch geliebt.“ „Ja“, sage ich, „sehr.“

In der Trauerhalle summen Stimmen. Die Töchter mit ihren Familien sitzen an Mannis Seite.

„Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, duldet alles“, predige ich, und darüber, was Manni alles in Liebe ertragen, geglaubt, gehofft und erduldet hat. Er nickt immer wieder.

Wir sind am Grab.

Die Träger wuchten den Sarg auf die Sparren, und da geschieht es. Einer schreit: Halt fest! Der Sarg fällt ungebremst in seine letzte Ruhestätte. Ein gemeinsamer Aufschrei. Dazwischen Mannis Schmirgelpapierstimme mit einem saftigen Fluch.

Wir brauchen etwas Zeit, um uns zu fassen. Ich sehe den Sarg unbeschädigt an seinem Ort ruhen. Was für ein Schreck! „Ihr ist nichts passiert“, sage ich erleichtert. „Wollen wir weitermachen, ja?“ Allgemeines Kopfnicken.

So viel Armut. So viel Liebe, denke ich. Und dass Jesus sagt:

Selig sind die Armen, denn ihnen gehört Gottes Reich.

Einen gesegneten Tag wünscht Ihnen Pfarrerin Silke Niemeyer aus Münster.

(1) Manni und Mona sind Pseudonyme

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze