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Das Geistliche Wort | 15.04.2022 | 08:40 Uhr
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In Jesu Liebe sind wir erlöst!
Autorin: Es gibt sie, die Momente im Leben, in denen sich etwas löst, was uns zuvor ungut fest im Griff hatte. Dann fühlen wir uns erlöst, leichter. So geht es wohl vielen von uns nach dem scheinbar ewig währenden Coronawinter. Die Lockerungen und das bessere Wetter ermöglichen wieder mehr Begegnungen. Erlöst: So fühle ich mich, wenn es nach einer Auseinandersetzung endlich zur Aussprache kommt. Versöhnung steht im Raum, die gut tut. Ein anderer ist erleichtert, wenn die Kontrolluntersuchung bei der Ärztin gut ausgeht. Dann wird der Raum weit. Es gibt plötzlich neue Möglichkeiten, die vorher nicht sichtbar waren.
Einer, der den Raum der Menschen weit machte, sie aus engen Grenzen löste, war Jesus. Für mich als Christin sind die erlösenden Erfahrungen meines Lebens mit ihm verbunden. An sein Leben und an seinen Tod erinnere ich mich heute, an Karfreitag.
Musik 2: „O Haupt voll Blut und Wunden“, CD Ecce Vita. Choral, Lyrik, Jazz, Arrangements: Dieter Nett, Komposition: Erhard Ufermann, Track 7, FFFZ, 1998 (Eigenproduktion)
Autorin: Die Passion, Christi Leiden und Tod am Kreuz, ist ein Teil der christlichen Tradition, mit der viele Menschen Probleme haben. Denn das Kreuz ist nicht bloß symbolisch, sondern wirklich, blutig. Jesus stirbt als gebrochener Mensch, totgeschunden, unter diesem Himmel, in Jerusalem auf der Schädelstätte. Wie passt ein solcher Tod zu einem, der barmherzig war? Ist das nicht ein grausamer Gott, der seinen Sohn so sterben lässt?
Wer im Neuen Testament nach einem Grund für Jesu Tod sucht, stößt auf eine Fülle von Aussagen und Bildern. (1) In allem wird deutlich, dass Jesus den Tod auf sich nimmt, weil es der Weg der Liebe ist; der Liebe zu Gott und den Menschen. Seiner Liebe, mit der er Frauen und Männer in ihrer Not gesehen hat, sie geheilt hat, ihnen Ansehen gegeben hat. Diese Liebe ist spürbar bis in seine Sprache hinein. Er hat „Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6, 68), die nähren und ermutigen. Jesu Liebe erlöst. Sie heilt und befreit bis in die letzte Konsequenz des Todes.
Karfreitag mutet uns auch nach 2000 Jahren das Unbegreifliche zu: den Tod Jesu mit Herz und Kopf zusammenzubringen mit seiner erlösenden Liebe. Der Schweizer Theologe Kurt Marti formuliert das in seinem Gedicht „Ungrund“ (2) in poetischen Worten:
Sprecher:
Warum ich Christ bin,
das, ach, läßt sich erklären.
Nicht aber, warum Du
der Christus bist.
Ungrund Liebe.
Musik 2: „Jesus ist kommen“, CD Ecce Vita. Choral, Lyrik, Jazz, Arrangements: Dieter Nett, Komposition: Erhard Ufermann, Track 5, FFFZ, 1998 (Eigenproduktion).
Autorin: Jesu Liebe ist Teil der Erlösungsgeschichte Gottes mit den Menschen. Die biblischen Erzählungen sind angefüllt mit befreienden Erfahrungen, die Frauen und Männer mit ihrem Gott machen. Erlösung ist dabei sehr handgreiflich gemeint. Das hebräische Wort dafür,
„ga ´al“, bezeichnet ursprünglich den Freikauf
aus der Sklaverei. Konkrete Not wird überwunden, das Leben verändert sich hin
zum Besseren. So wie bei Joseph und seinen Brüdern, die sich nach Schuld und
Jahren der Entfremdung wiedersehen und sich versöhnen. Oder bei der Errettung des
Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten. Endlich
frei und auf dem Weg ins verheißene Land!
In dieser Linie steht Jesu Liebe zu den Menschen. Sie ist einzigartig, in seinem Leben und in seinem Tod. Sie will Menschen retten. So wird Jesus mit dem griechischen Wort „soter, Retter“ benannt. Immer wieder heilt er Frauen, Männer und Kinder; befreit sie von körperlichen Leiden und den Entbehrungen, die mit der Krankheit verbunden sind. Er stillt den Blutfluss einer Frau, die über viele Jahre ausgeschlossen war. Wer sie liebte, musste sie meiden. Jesus ent-bindet Menschen aus Bezügen, die sie am Leben hindern. Er sieht, wie sich der reiche Zöllner Zachäus nach einem anderen Leben sehnt und lädt sich bei ihm ins Haus ein. Wer weiß, worüber sie reden. Zachäus findet den Mut umzudenken. Er bricht neu auf. Er gehört wieder dazu.
Musik 3: „Jesu meine Freude“, CD Ecce Vita. Choral, Lyrik, Jazz, Arrangements: Dieter Nett, Konzeption: Erhard Ufermann, Track 9, FFFZ, 1998 (Eigenproduktion)
Autorin: Das, was Menschen löst und heil werden lässt, ist konkret. Jesus handelt den Menschen zu Gute, auch wenn dies gegen geltende Normen oder gesellschaftliche Verabredungen verstößt. Das bringt ihm Feinde ein. Soviel Hingabe gefährdet die geordneten Strukturen. Einer Frau wird der Ehebruch vorgeworfen. Er bewahrt sie vor der Steinigung. Mit einem einzigen Satz durchbricht er das geltende Recht. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“
So gelingt Widerstand. Solche Liebe hinterfragt Hierarchien. Wie in der Erzählung vom barmherzigen Samariter, ein Verbrechen auf der Straße von Jericho nach Jerusalem. Der überfallen wurde, liegt schwer verletzt am Straßenrand. Wer geht vorbei und wer hilft? Hier zeigt Jesus, was Barmherzigkeit für ihn bedeutet: sehen, hinschauen und helfen, ohne Zögern, ohne Gedanken zu gesellschaftlichem Stand. Jesu Liebe ist ohne wenn und aber.
Bis in den Weg von Verhaftung, Geißelung und Tod bleibt er dieser Liebe treu. Nach dem Verhör durch den Prokurator des Römischen Reiches, Pontius Pilatus, ruft dieser doppelsinnig aus: „Ecce Homo!“, „Was für ein Mensch“!
Sprecherin: (3)
Weniger als die Hoffnung auf ihn
das ist der Mensch
einarmig
Immer
Nur der gekreuzigte
beide Arme
weit offen
der Hier-Bin-Ich
Autorin: Die Lyrikerin Hilde Domin stellt uns den Gekreuzigten in ihrem Gedicht als hingebungsvoll Liebenden vor Augen. Sicher ist ihr bewusst, dass ein Mann in dieser Situation niemanden umarmen kann. Sie spricht eine tiefere Wahrheit an. Dieser verrückte Wanderprediger ist davon erfüllt, ganz bei den Menschen zu sein, ganz zu sein. Bis in den Tod.
In wenigen, gezielten Worten setzt Hilde Domin uns mit ins Bild, unter das Kreuz. Als begrenzte Menschen sind wir im Blickfeld. Karfreitag werden wir erinnert, dass alle unsere Unzulänglichkeiten, unsere Seelennot, unsere Ängste, einen Raum haben unter diesem Kreuz. Das Leiden der Welt, Krieg, Hass, Zerstörung werden hier sichtbar. Was Kummer macht, uns quält, die Vernarbungen unseres Lebens, hier am Kreuz werden sie mit liebenden Augen gesehen. Gott weiß darum, dass wir versuchen zu vergeben und wie schwer es sein kann. Gott sieht uns, wenn abends das Bier aufgemacht wird, um zu vergessen. Gott erkennt uns, wenn wir Streit suchen, obwohl wir eigentlich traurig sind. Gott ist da, wenn wir Bilder vom Krieg sehen, und die Angst kommt. Erlösung geschieht nicht da, wo wir mit Gott eins werden. Sondern sie geschieht dort, wo Gott uns ansieht und uns nahe ist. Gott, der in seinem Sohn um dieser Welt willen leidet, macht uns klar: wir sind bei Gott gelitten. Gott leidet an uns einarmigen, halbherzigen Menschen. Doch Gott kann uns auch leiden. Im Schatten des Kreuzes sind wir Einarmigen ganz gesehen.
Musik 4: „Ist Gott für mich“, CD Ecce Vita. Choral, Lyrik, Jazz, Arrangements: Dieter Nett, Komposition: Erhard Ufermann, Track 6, FFFZ, 1998 (Eigenproduktion)
Autorin: So vieles macht uns deutlich, dass wir in einer unerlösten Welt leben: Die Pandemie mit den vielen Verstorbenen, den Folgen, die sie bei den Jugendlichen hinterlässt, bei denen, die gesundheitlich länger leiden; der Krieg in der Ukraine, der trotz hartnäckiger diplomatischer Versuche nicht verhindert werden konnte; die vielen Menschen weltweit auf der Flucht. Die Not ist groß, Frieden ist fragil. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer schreibt 1944 im Gefängnis unter den bedrückenden Erfahrungen des 2. Weltkrieges sein Gedicht „Christen und Heiden“. Er verbindet die Leiden Christi mit den Leiden dieser Welt. Seine Worte klingen tröstend hinein in das Ungelöste unserer Zeit.
Sprecher: (4)
Menschen gehen zu Gott in ihrer Not,
flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot,
um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod.
So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.
Menschen gehen zu Gott, in Seiner Not,
finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot,
sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.
Christen stehen bei Gott in Seinem Leiden.
Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not,
sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot,
stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod,
und vergibt ihnen beiden.
Musik 5: „Ist Gott für mich“, CD Ecce Vita. Choral, Lyrik, Jazz, Arrangements: Dieter Nett, Komposition: Erhard Ufermann, Track 6, FFFZ, 1998 (Eigenproduktion)
Autorin: Jesu Liebe erlöst, indem sie Menschen in ihrer Not sieht und ihnen neue Möglichkeiten eröffnet. Eine der schönsten Erlösungsgeschichten für mich ist die von Bartimäus. Der Evangelist Markus erzählt:
Sprecher: „Und sie kamen nach Jericho. Und als er aus Jericho hinausging, er und seine Jünger und eine große Menge, da saß ein blinder Bettler am Wege, Bartimäus, der Sohn des Timäus. Und als er hörte, dass es Jesus von Nazareth war, fing er an zu schreien und zu sagen: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Und viele fuhren ihn an, er sollte schweigen. Er aber schrie noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich meiner!
Und Jesus blieb stehen und sprach: Ruft ihn her! Und sie riefen den Blinden und sprachen zu ihm: Sei getrost, steh auf! Er ruft dich! Da warf er seinen Mantel von sich, sprang auf und kam zu Jesus. Und Jesus antwortete ihm und sprach: Was willst du, dass ich für dich tun soll? Der Blinde sprach zu ihm: Rabbuni, (mein Lehrer), dass ich sehend werde. Und Jesus sprach zu ihm: Geh hin, dein Glaube hat dir geholfen. Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm nach auf dem Wege.“ (5)
Musik 6: „Befiehl Du deine Wege“, CD Ecce Vita. Choral, Lyrik, Jazz, Arrangements: Dieter Nett, Komposition: Erhard Ufermann, Track 14, FFFZ, 1998 (Eigenproduktion)
Autorin: Bartimäus sitzt abseits des Weges und sieht als blinder Mann mehr, als Jene, die Jesus auf dem Weg folgen. Er erkennt in Jesus den königlichen Menschen aus Davids Geschlecht. Der, der gekommen ist zu dienen und das Verlorene zu suchen. Bartimäus glaubt daran, dass sein Leben eine Wendung nehmen kann. Dieser Glaube ist seine Rettung.
So wirft er seinen Mantel von sich, springt auf und geht zu Jesus. Mit dem Bettlergewand legt er die Last des alten Lebens ab, das er hinter sich lassen will. (6) Er steht auf und steht ein für seinen Wunsch, dass es anders wird. Jesus begegnet ihm mit echtem Interesse: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ „Das ich sehend werde!“ Und so geschieht es. Bartimäus kann wieder sehen und er kann neu sehen. Einen anderen Weg einschlagen, das Festgefahrene verlassen. Für Bartimäus beginnt ein neues Leben im Leben.
Als Christinnen und Christen haben auch wir die Chance unser Leben stets neu in den Blick zu nehmen. Uns aus Verstrickungen heraus zu ent-wickeln in ein freies Leben. Zu sehen, wer wir sein könnten. Durch die Liebe Jesu sind wir Möglichkeitsmenschen. Das Kreuz Christi erinnert uns heute daran. Der Apostel Paulus formuliert dazu im 2. Korintherbrief einen prägenden Satz:
Sprecher: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (7)
Autorin: Jesu konsequente Liebe bis in den Tod lädt ein zu einem Leben, in dem wir aufstehen gegen das, was hindert. Ein Leben, in dem Neues werden kann, in dem wir neu werden können. Wenn wir uns aus einer toxischen Beziehung lösen, uns entwickeln. Wenn wir verloren gegangene Gaben ans Licht bringen, sie für Andere einsetzen. Wenn wir uns nicht klein machen, aufhören unser Licht unter den Scheffel zu stellen und als von Gott gesehener Mensch aufgerichtet durchs Leben gehen. Christus befreit aus alten Mustern, lässt uns die Leiden der Welt wahrnehmen und das Not-wendige tun.
Wir stehen ein für eine bessere Welt, in diesen Wochen an so vielen Orten bei Friedensdemonstrationen auf den Straßen und Friedensgebeten in den Kirchen. Wir finden als erlöste Menschen kreative Lösungen für ein besseres, gerechteres Leben.
Musik 7: „Sonne der Gerechtigkeit“, CD Ecce Vita. Choral, Lyrik, Jazz, Arrangements: Dieter Nett, Komposition: Erhard Ufermann, Track 11, FFFZ, 1998 (Eigenproduktion)
Autorin: Unter dem Kreuz Christi sind wir gelitten. In Jesu Liebe sind wir erlöst. Eine Liebe, die um unsere Nöte weiß und gerade darin das Leben frei macht.
Sprecher: (8)
Jesses!
Du so.
Du anders.
Du nicht.
Du doch.
Dein Leib.
Deine Worte.
Was weiß ich.
Was soll ich.
Komm glaub
mit mir.
Komm geh
mit uns.
Autorin: So noch einmal Kurt Marti. Glauben Sie mit? Gehen Sie mit? Einen gesegneten Karfreitag wünscht Ihnen Susanne Wolf, Pfarrerin aus Wuppertal.
Quellen und Literaturangaben für VG Wort:
1. Vgl. Leidenschaft
für uns. Orientierungshilfe des Ständigen Theologischen Ausschusses der
Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf 2010, 25.
2. Kurt Marti, O GOTT! Essays und Meditationen, Stuttgart 1986, 113.
3.Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, Frankfurt/Main 1987, 345.
4. Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Die Gedichte, hg. von Gotthard Fermor, Gütersloh 2020, 36.
5. Die Bibel. Nach Martin Luthers Übersetzung. Revidiert 2017, Jubiläumsausgabe, 56-57.
7. Vgl. Nico ter Linden, Es wird erzählt… Markus und Matthäus sehen die Geschichte Jesu, Band 2, Gütersloh 1999, 123f.
7. Die Bibel, siehe 5., 210.
8. Kurt Marti, aaO., 90.
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth