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Das Geistliche Wort | 10.07.2022 | 08:40 Uhr

Von frommen Sprüchen und menschlichen Gesten

Guten Morgen!

Was hilft wohl mehr: ein frommer Spruch oder eine menschliche Geste? Also ich plädiere für eine menschliche Geste. Warum? Weil helfende Gesten Nähe schaffen! Sie berühren Herz und Seele. Ich habe mich gefragt: Wann bin ich das letzte Mal durch eine wohltuende Geste berührt worden?

- Durch eine liebevolle Umarmung eines Freundes, einer Freundin als es mir nicht gut ging.

- Durch eine helfende, anpackende Hand als ich schwer schleppen musste.

- Durch einen ermutigenden Blick als ich hilflos und verunsichert nicht mehr weiter wusste.

Ja, es sind Gesten und Taten, die geschenkt werden, die an Leib und Seele so gut tun. Es sind ganz konkrete Taten, die wirklich weiter helfen. Und das ist was anderes als noch so gut gemeinte Sprüche wie: „Kopf hoch!“ oder „Ach, das wird schon wieder!“ Solche und ähnliche Sprüche klingen oft hohl und leer. Und manchmal sind sogar fromme Sprüche dabei. Am Ende fühle ich mich durch solche abgefertigt und allein gelassen.

Musik I: Sasha, I feel lonely

Wenn ich mich down und einsam fühle, dann hilft mir kein frommer Spruch. Das, was wirklich weiter hilft, das ist die konkrete Hilfe. Ja, das kann durchaus auch ein tröstendes Wort sein, aber das ist mehr als ein frommer Spruch. Was ich immer brauche, vor allem, wenn es mir schlecht geht, ist die Erfahrung, dass sich jemand mir zuwendet und mich spüren lässt, ich bin wirklich gemeint und ernstgenommen.

Helfende Gesten können manchmal lebensrettend sein. Mich beeindruckt sehr, wie viele Menschen ganz konkret zupacken, nicht nur vergangenes Jahr bei dem Hochwasser im Ahrtal und im Sauerland. Gerade jetzt wieder: Wie viele Menschen helfen den Opfern des Krieges in der Ukraine. Wie schnell und wie viel wurde und wird spontan organisiert und geholfen, weil klar ist: die Menschen in der Ukraine brauchen jetzt ganz konkret unsre Hilfe in Form von Kleidung, Nahrung, Medikamenten und anderen Dingen für das tägliche Überleben … auch in Form einer Unterkunft für die vielen, die aus ihrer Heimat vor dem Krieg fliehen müssen.

Viele spenden Geld! Mich hat sehr berührt, dass die Schülerinnen und Schüler unserer Schule, an der ich als Schulseelsorger tätig bin, über eine Solidaritätswanderung mehr als 50.000 € für die Ukrainehilfe gesammelt haben.

Viele treffen sich zu Friedensgebeten oder organisieren auch Solidaritätsaktionen. All das sind menschliche, helfende Gesten.

Diese konkrete Hilfe bedeutet zunächst und vor allem für die notleidenden Menschen Leben und manchmal Überleben. Wenn Menschen anderen Menschen helfen, bedeutet dies aber auch für die Helferinnen und Helfer selbst einen Gewinn an Leben und Lebendigkeit. Es ist gut zu reagieren, wenn andere um Hilfe rufen.

Musik II: Beatles, Help

Es ist beeindruckend, wie viele Menschen ganz konkret Hilfe organisieren und anbieten für die Menschen in der Not, jetzt vor allem in der Ukraine und für die Flüchtenden, die von dort zu uns kommen. Menschliche, helfende Gesten ohne Zahl!

Aber ich frage mich, wenn ich nach vorne schaue und ein Ende des Krieges herbeisehne: Wie ist das mit den Waffen, die auch wir aus Deutschland in die Ukraine liefern? Sind sie auch menschliche, helfende Gesten? Um es gleich vorwegzunehmen: Ich gebe zu, ich habe keine befriedigende Antwort. Waffen töten Menschen. Aber was ist, wenn ein Angreifer ein Land überfällt, unschuldige Menschen tötet und alle Appelle und Sanktionen ihn nicht davon abhalten, seine Aggression zu beenden, wenn er immer weiter tötet, die Menschenrechte mit Füßen tritt und die Freiheit verachtet. Muss man ihm dann nicht entschieden entgegen treten, um Leben zu retten? Es hört sich verrückt an: Töten, um nicht getötet zu werden? Ist das Notwehr in der Ukraine? Gut, dass ich nicht die politischen Entscheidungen fällen muss. Ich habe großes Verständnis für alle, die sich diese Antwort etwas kosten lassen und denen sie nicht gleichgültig ist. Ich sage mir: „Höre auf Dein Herz und schalte Deinen Verstand nicht aus.“

Vielleicht muss es jetzt so sein, dass Waffen in die Ukraine geliefert werden, aber ich möchte meinen Traum von einer Welt ohne Waffen nicht aufgeben. Ich möchte an der Vision von einer Welt im Frieden, in Gerechtigkeit und Freiheit festhalten.

Diese Vision braucht meinen, unseren Einsatz. Sie beginnt im Kleinen mit den menschlichen Gesten im Alltag.

Musik III: John Lennon, Give peace a chance

Diese Vision von einer Welt im Frieden, in Freiheit und Gerechtigkeit hat auch Jesus gelebt und verkündigt. Seine Botschaft vom Reich Gottes, das jetzt schon begonnen hat, ist für ihn nicht bloße Theorie. Sie wird für ihn konkret in liebevollen, heilsamen Gesten, die er den Menschen schenkt. Und er lädt seine Zuhörerinnen und Zuhörer ein, es ihm nachzutun. Wie wichtig ihm die konkrete Tat ist für den nächsten Menschen, der uns braucht, erzählt er im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 25-37):

Sprecher/in:

Ein jüdischer Gesetzeslehrer stand auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: „Rabbi, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ Jesus sagte zu ihm: „Was steht im Gesetz? Was liest du dort?“ Er antwortete: „Du sollst den Ewigen, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und deinen Nächsten wie dich selbst.“

Jesus sagte zu ihm: „Du hast richtig geantwortet. Handle danach, und du wirst leben.“

Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: „Und wer ist mein Nächster?“ Darauf antwortete ihm Jesus:

„Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen. Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter. Auch ein Tempeldiener kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter. Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am anderen Morgen holte er Geld hervor, gab es dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.

„Was meinst du“, fragte Jesus: „Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde?“ Der Gesetzeslehrer antwortete: „Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat.“ Da sagte Jesus zu ihm: „Dann geh und handle genauso!“[1]

Geh und Handle! Das ist eine klare Aufforderung, die mehr verlangt als einen frommen Spruch zu sagen. Der Schweizer Theologe und Bibelwissenschaftler Hermann-Josef Venetz hat das unterstrichen und noch eins draufgesetzt. Für ihn nützen beste biblische und theologische Kenntnisse nichts, wenn ihnen nicht entsprechende Taten folgen. Denn eigentlich hätte der Gesetzeslehrer es doch selbst wissen müssen. Ihm fehlte es ja nicht an Wissen der Heiligen Schrift, ihm fehlte es am beherzten Tun![2]

Für mich wird deutlich, dass es Jesus offensichtlich um die Praxis und nicht um theoretische Debatten und Definitionen geht. Daran lässt seine Geschichte vom barmherzigen Samariter keinen Zweifel.

Mich beeindruckt, wie genial diese Geschichte aufgebaut ist und erzählt wird. Sie diskutiert nicht abstrakt und theoretisch die Frage, wer denn meine Nächste, mein Nächster ist. Auf dieser Ebene hätte der Gesetzeslehrer gerne mit Jesus diskutiert und sich damit der Frage nach seinem konkreten barmherzigen, solidarischen Handeln entzogen.

Die Erzählung führt ganz eindeutig zu der Frage: Wer ist dem halbtoten Menschen am Wegrand zum Nächsten geworden? Und sie fragt mich: Wo werde ich selbst einem Menschen zum Nächsten, der mich braucht?

Musik IV: Blues Brothers, Everybody loves somebody

Die Geschichte vom barmherzigen Samariter fragt: Wer ist dem halbtoten Menschen am Wegrand zum Nächsten geworden? Und die Geschichte fragt mich an: Wo werde ich selbst einem Menschen, der mich braucht zum Nächsten?

In der Geschichte wird unverhohlen eine heftige Kritik am religiösen Establishment geübt: ein Priester und ein Tempeldiener gehen einfach an dem Halbtoten vorbei und leisten keine Hilfe. Interessant für mich ist allerdings: Der Evangelist Lukas, der die Geschichte aufgeschrieben hat, fällt kein moralisches Urteil. Und er nennt auch keine Gründe, warum beide weitergehen, obwohl sie doch die Not gesehen haben. Natürlich könnte man sagen: Welche Gründe kann es denn auch geben, einem Halbtoten nicht zu helfen? Hilfe müsste doch selbstverständlich sein! Ist es aber offensichtlich nicht.

Und ich? Wenn ich auf mich schaue, weiß ich, wie oft ich Gründe habe, gerade jetzt im Moment das Notwendige eben nicht zu tun.

Ganz anders dagegen der Samariter. Er schaut und lässt sich anrühren. Ist offenbar ganz präsent und verdrängt nichts. Noch einmal der Schweizer Theologe und Bibelwissenschaftler Hermann-Josef Venetz. Für ihn ist die Begegnung mit dem Zusammengeschlagenen die „Stunde der Verbindlichkeit“![3]

Und das außergewöhnliche: Dieser Samariter galt im Verständnis des Gesetzeslehrers in der Geschichte eigentlich als jemand, dem man diese Hilfsbereitschaft genau nicht zugetraut hätte. Denn Samariter waren in den Augen der Jerusalemer Gesetzeslehrer sozusagen Sektierer, Abtrünnige. Mit denen wollte man keinen Umgang haben. Aber gerade derjenige hilft. Ich finde das sehr beschämend und auch eine Anfrage bis heute: Wem traue ich eigentlich was zu? Sind es nicht auch oft Migranten und Ausländer, die sich da engagieren, wo ich es nicht tue? Ich denke an eine syrische Familie in meinem Wohnort, die, selbst vor einigen Jahren zu uns geflüchtet, zu den Ersten gehörte, die sich um ukrainische Flüchtlinge bei uns kümmerte.

Musik V: Kalush Orchestra, Stefania

Noch ein letztes aus der Geschichte vom barmherzigen Samariter, dem man nicht viel zutraute, der aber doch half. Wie so oft erzählt Jesus eine Alltagsgeschichte, in die sich seine Zuhörerinnen und Zuhörer gut hineindenken können.

Für mich ist dabei bemerkenswert, dass Jesus in der Geschichte das Wort Gott nicht ein einziges Mal in den Mund nimmt. Und doch ist die Nähe Gottes überall zu spüren: vor allem natürlich im Mitleid und in der konkreten Hilfe des Samariters für den Zusammengeschlagenen und Überfallenen, aber auch in der Art, wie Jesus dem Gesetzeslehrer eine neue Perspektive eröffnet.

Das wird sehr deutlich dadurch, dass Jesus zur Tat bewegen will. Gleich zweimal sagt er dies dem Gesetzeslehrer. „Handle nach dem Liebesgebot!“ „Handle wie der Samariter!“ Das sind nicht fromme Worte, sondern Appelle, so dass durch menschliche Gesten Gott hörbar, erlebbar, spürbar wird.[4]

„So verstehe ich Christsein: Ich muss nicht viel von Gott reden. In der Art, wie ich lebe, wie ich zuhöre, wie ich auf andere zugehe, kann er zum Vorschein kommen.“[5]


Ein anderer Schweizer Theologe und Schriftsteller hat das sehr schön auf den Punkt gebracht, Kurt Marti. Er sagt: „Dass Gott ein Tätigkeitswort wird.“[6] Das ist ein echter Wunsch. Und auch ich wünsche mir das.

Oder – um es noch einmal anderes zu sagen: „Gott ist LIEBEN und wir sind eingeladen MIT-ZU-LIEBEN.“[7]


Musik VI: Adele, Make you feel my love


Diese Worte sind für mich wie ein bleibender Auftrag, damit es nicht bei frommen Sprüchen bleibt.

Aus Grefrath grüßt sie Pfarrer Frank Reyans und wünscht Ihnen einen schönen und gesegneten Sonntag.


[1] Übersetzung aus: Hermann-Josef Venetz, Der Evangelist des Alltags. Streifzüge durch das Lukasevangelium, Kevelaer 2006, S. 89/90.

[2] Vgl. Hermann-Josef Venetz, Der Evangelist des Alltags. Streifzüge durch das Lukasevangelium, Kevelaer 2006, S. 91-92.

[3] Vgl. Venetz, S.94.

[4] Vgl. Wolfgang Raible, Predigten. Für die Sonn- und Feiertage im Lesejahr C, Freiburg in Breisgau 2012, S. 185.

[5] Wolfgang Raible, Predigten. Für die Sonn- und Feiertage im Lesejahr C, Freiburg in Breisgau 2012, S. 185.

[6] Zitiert nach Raible, S.185.

[7] Hans-Günter Bender in einem Gespräch mit dem Autor.

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