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Reich Gottes - zuhause

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Das Geistliche Wort | 21.08.2022 | 08:40 Uhr

Reich Gottes - zuhause

Guten Morgen!

Wenn man mich fragt, was für mich „Zuhause“ bedeutet, dann muss ich an Omi Magda denken. Warum? Dazu möchte ich Sie heute Morgen mitnehmen in die alte Bauernküche von Omi Magda in Warendorf. In dieser stand ich vor 14 Jahren zum ersten Mal. Ich war damals 19 und lernte die Großeltern meines damaligen Freundes und heutigen Mannes zum ersten Mal kennen. So stand ich also ein bisschen aufgeregt in der alten Küche mit dem fast 50 Jahre alten Küchenschrank und seinen wunderschönen Aluschütten für Salz, Mehl und Zucker. Daneben der lange Holztisch, eine 100 Jahre alte Sitzbank, viele Stühle und bunte Sitzkissen. Mit ein bisschen Rücken und Rutschen passten an den Tisch fast 20 Leute. Die Tür zu Omi Magdas Bauernhaus war gefühlt nie abgeschlossen. Anmeldung zum Besuch war nicht nötig – es war eigentlich immer jemand zuhause. Neben einem duftenden Kaffee gab es für die Gäste auch ein offenes Ohr. Und wenn die Enkelkinder Ferien bei Oma und Opa machten, konnten sie gleich auch noch ihre Freundin mitbringen, so wie mich. Und ich kann nur sagen: Gleich vom ersten Besuch an fühlte ich mich bei Omi Magda zuhause.

Musik I: Lambert, As Ballad


„Zuhause“ hat was mit Offenheit und Geborgenheit zu tun, so wie ich es im Hause von Omi Magda erfahren habe. Mein erster Besuch bei ihr ist 14 Jahre her, aber das Thema „Zuhause“ beschäftigt mich bis heute. Wo fühle ich mich zuhause? Wir sind im Laufe der Jahre mehrfach mit unseren Kindern umgezogen, sodass ich persönlich sagen würde, dass mein Zuhause sich auch an Menschen fest macht, wie zum Beispiel an meinen Mann, meine Kinder und meine ganze Familie. Solange sie dabei sind konnte ich mich noch überall zuhause fühlen. Zuhause – das ist auch ein wichtiges Thema für die Schülerinnen und Schüler mit denen ich mittlerweile als Internats- und Schulseelsorgerin in der Nähe von Omi Magdas Bauernhof zusammen arbeite. Zu meinen Aufgaben gehört es, mit den 100 Internatsschülerinnen und -schülern alle zwei Wochen einen Gottesdienst vorzubereiten und zu feiern. Die Schülerinnen und Schüler stammen aus 14 verschiedenen Ländern und allen möglichen Kulturen. Viele konnten aufgrund der Einreise- und Quarantänebestimmungen für sehr lange Zeit nicht nach Hause fliegen. Das Thema „Zuhause“ bekommt dann noch einmal eine andere Relevanz – dazu wollten wir unbedingt einen Gottesdienst machen.

Das ist häufig eine echte Herausforderung. Denn es ist bei der Gestaltung mitunter schwierig, die Lebenserfahrung der Schülerinnen und Schüler mit dem christlichen Glauben in Verbindung zu bringen. Denn nur einige Schülerinnen und Schüler – ich würde sogar sagen die wenigsten – haben intensive Berührungen mit dem christlichen Glauben. Meine Hauptaufgabe bei den Vorbereitungen der Gottesdienste ist es, sprachliche Brücken zu bauen, gerade dann, wenn es darum geht, Lebenserfahrungen mit biblischen Begriffen in Verbindung zu bringen. Ehrlich gesagt: Das ist nicht nur für die Schülerinnen und Schüler ein Problem, es ist vielmehr eine Herausforderung der ganzen christlichen Verkündigungsarbeit. Für so viele Menschen heutzutage sind viele Begriffe aus der Bibel eher sperrig, schwierig und manchmal auch fremd.

Einer dieser schwierigen Begriffe, der auf den ersten Blick nichts mit „Zuhause“ zu tun hat, lautet: „Reich Gottes“. Dieser Begriff kommt über 130mal im Neuen Testament vor. Es fängt damit an, sich vorzustellen, was wohl mit „Gott“ gemeint ist. Das ist ja schon schwierig genug. Jeder Mensch hat wahrscheinlich eine andere Vorstellung von Gott. Und erschwerend kommt hinzu: nach christlich-jüdischem Verständnis hat ihn noch nie jemand gesehen. Und ich würde sogar sagen: selbst die größte Fantasie kann ihn nicht begreifen. Und dann „Gott“ auch noch in Kombination mit „Reich“? Spontan kommen mir da eher negative Assoziationen. Ich denke an „das Dritte Reich“ oder „Reiche“ in denen Diktatoren regieren. Das ist hier natürlich nicht gemeint. Offenbar hat sich Jesus selbst auch schwer getan, vom Reich Gottes zu sprechen. Denn wenn er davon gesprochen hat, dann waren es Bilder und Vergleiche. Und das überraschendste an den Vergleichen ist immer, es kommt anders als man denkt: Einmal ist das Reich Gottes, wie ein kleines Senfkorn. Für sich ist es unbedeutend, wenn es aber ausgesät wird und wächst, dann wird die Senfpflanze riesengroß, so dass sie sogar den Vögeln zum Zuhause wird. (vgl. Mk 4,30?32; Lk 13,18?21). Oder es ist ein anderes Mal eine kostbare Perle und ein Schatz im Acker, für die man alles verkauft (vgl. Mk 4,44-46). In den Gleichnissen ist das Reich Gottes oft ein Selbstläufer, weil es mit dem Wachstum zu tun hat.


MUSIK II: Whitetree, Koepenik


Das Reich Gottes ist aber auch davon abhängig, was Menschen tun. Und das zeigt sich an der Frage: Wann bricht das Reich Gottes an? Ich würde sagen: Immer dann, wenn Menschen so handeln, wie sie es von Jesus in der Bibel lernen können.

Jesus – und das ist das Neue an seiner Vorstellung vom Reich Gottes – lädt jede und jeden Einzelnen dazu ein, am Reich Gottes mitzubauen. Wichtigstes Kriterien, sich zunächst einmal klar zu machen: Was trennt mich eigentlich von den Anderen, von Gott und manchmal auch von mir selbst? Kein passives Warten auf das Reich Gottes, sondern es geht Jesus darum, aktiv und dynamisch dafür zu handeln. Diese Haltung zeigt sich in verschiedenen Regeln, wie zum Beispiel der Nächsten- und Feindesliebe und der Offenheit, mit der Jesus in der Bibel allen Menschen begegnet.

Ganz anders hatten sich das die Menschen noch früherer Generationen vorgestellt. Sie dachten, dass Reich Gottes beginnt dann, wenn Gott eingreift und die ganze Welt von Unrecht, Leid und Tod befreit. Teilweise erwarteten sie sogar, dass das Volk Israel auch politisch befreit wird.

Wenn es um das Reich Gottes geht, dann sind für Jesus vor allen Dingen die Menschen wichtig, die ganz klar am Rand der Gesellschaft stehen und deren Existenz täglich bedroht ist: Aussätzige, denen sich keiner nähern will, Blinde und Gelähmte die am Straßenrand um ihr Überleben kämpfen müssen. Aber nicht nur körperlich Beeinträchtigte will Jesus heilen. Er hört auch denen zu, die sich in irgendeiner Form mit Schuld beladen haben oder nicht den gesellschaftlichen und religiösen Normen entsprechen. Ich stelle mir das so vor: Er wendet sich denjenigen zu, die im Dorfklatsch und Tratsch eher mit einem „so gehört sich das aber nicht“ bedacht werden und wo schnell ein vernichtendes Urteil gefällt wird: „Schämen die sich denn gar nicht!“ Ich denke da zum Beispiel an ein Gespräch, dass ich bei Edeka in meiner alten Heimat mitbekommen habe über meine Freundin. Jemand sagte: „Ach nein wirklich, da ist die schon wieder schwanger? Wer ist denn der Vater? Also ich habe ja noch nie einen der Väter ihrer Kinder kennengelernt.“ Warum einer alleinerziehenden Mutter nicht einmal Hilfe anbieten, frage ich mich. Gleichzeitig habe ich nicht den Mut gehabt mich aktiv einzumischen und mich später über mich selber geärgert. Ich hätte es besser wissen müssen. Oder ein anderes Beispiel, das ich mitbekommen habe: Da ist die Mutter, die nach einer Corona-Erkrankung ihr negativ getestetes Kind nach zwei Monaten Auszeit wieder in den Kindergarten bringt und erst einmal böse Sprüche zu hören bekommt: „Also ich finde es ja gar nicht gut, dass die ihre Kind schon wieder in den Kindergarten bringt. Sie hustet immerhin noch.“ Warum fragt und hilft auch hier niemand: Ist das Kind vielleicht stark vorerkrankt, dass es so lange mit der Erkältung zu kämpfen hat? Nein, gefragt hatte keiner. Eine Zeit lang standen wir vor dem Kindergarten zusammen und sie erzählte mir, dass sie ihre Kinder neben der Arbeit seit Wochen am Limit betreut hat. Ich konnte helfen. Wir haben es in der Hand, ob wir für andere zu einem Fenster zum Himmel werden oder nicht. Das besingt auch Kim Churchill in seinem Lied „Window to the sky“. Darin beschreibt er einen Menschen, der für ihn so ein Fenster zum Himmel geworden ist. In dessen Nähe er sich zuhause fühlt.


MUSIK III: Kim Churchill, Window to the sky


Ich bin davon überzeugt, Reich Gottes fängt da an, wo ich einem anderen Menschen etwas Gutes eröffne, ihm beistehe und helfe, statt zu tratschen und zu verurteilen. Und genau da würde ich sagen: Reich Gottes fängt da an, wo ich einem anderen Menschen ein „Zuhause“ eröffne in den vielen kleinen und großen Momenten, wo Menschen das Gefühl entwickeln können, dass sie willkommen und geliebt sind. Ich denke da an einen Lehrer meiner Schule, der beherzt sehr, sehr kurzfristig seinen Keller für eine ukrainische Mutter mit ihren Kindern umfunktioniert hat. Er wusste nicht, wie lange sie bleiben. Und doch haben er, seine Frau und seine Kinder das einfach gemacht: den Fremden ein „Zuhause“ geschenkt.

Dabei muss es gar nicht eine so weitreichende Hilfestellung sein. Manchmal sind es gerade auch die kleinen Gesten, die die Welt zum Glänzen bringen. Da sind die zwei Schülerinnen vor meiner Bürotür in der Schule, wo ich als Seelsorgerin tätig bin. Sie machen sich Sorgen um ihre Freundin und bitten um Hilfe für sie. Damit zeigen sie Empathie und engagieren sich, handeln und – um es etwas biblischer zu formulieren: sie schaffen etwas vom Reich Gottes. Und ich denke heute noch an die fünfwöchige Quarantäne meiner Familie in einer der ersten Corona-Wellen. Die Blumen, Spielsachen und selbst gekochten Aufläufe vor unserer Tür waren einfach deutlich mehr wert, als ihr Einkaufswert im Supermarkt. Da haben unsere Freunde und Eltern unsere Welt zum Glänzen gebracht. Ja, da wurde der Ort wo ich und meine Familie wohnen zum „Zuhause“. Da war etwas von diesem Reich Gottes zu erfahren. Danke!

Ich muss noch einmal an das Bauernhaus mit der offenen Tür von Omi Magda denken. In ihrer Küche gab es immer einen Platz für mich, meine Familie und jeden der da kam und anklopfte. Und es gab immer einen heißen Kaffee und ein offenes Ohr. Das war „Zuhause“, und das war für mich etwas vom Reich Gottes.

Klar – ich weiß natürlich auch: Man kann sich noch so sehr mühen, es wird auch Momente geben, wo wir Menschen die Welt mit unseren Mitteln nicht zum Glänzen bringen. Dabei können wir jedoch eines von Jesus lernen – davon bin ich überzeugt: Er hat den Menschen erst mal zugehört und sie angenommen, und zwar so wie sie sind. Ohne zunächst irgendwelche Forderungen zu stellen. Das heißt für mich: Den Menschen erst mal zuhören, ihnen Raum lassen, ohne gleich zu erwarten, dass sie sich ändern müssen. Jesus ist den Menschen erst mal vorurteilsfrei begegnet und hat ihnen zugehört. Natürlich kennen wir auch Forderungen in diesem Kontext. Jesus ruft die Menschen dazu auf, ebenso zu handeln, wie sie es von ihm erfahren haben. Ich denke hier ist die Reihenfolge wichtig! Er schafft für die Menschen erst einmal Platz, lässt sie reden und kommt dann ins Handeln. Kein Wenn und kein Aber – voraussetzungslose Hilfsbereitschaft und zweckfreie Gastfreundschaft. Dort entsteht ein „Zuhause“, dort beginnt das Reich Gottes. Dort kann uns Gott durch Menschen seine Nähe zeigen.


Musik IV: Karla Adolphe, You are mine (Isaiah 43)


Voraussetzungslose Hilfsbereitschaft und zweckfreie Gastfreundschaft als der Beginn vom Reich Gottes, als Ort eines „Zuhauses“. Das hört sich schön an. Aber das bleibt in meinen Augen immer auch ein ganzes Stück Arbeit. Klar bei manchen fällt es leichter als anderen. Bei der Lieblingsschwester, meinem Lieblingsnachbarn oder Freunden ist es einfacher. Komplizierter wird es bei Menschen, deren Lebenseinstellung ich vielleicht gar nicht verstehen kann oder sogar für falsch halte. Solche Menschen fordern mich heraus, weil sie im sozialen Miteinander vielleicht ganz andere Maßstäbe haben als ich sie für richtig halte. Und für die noch da sein? Jesus ist dann doch schon ganz schön anspruchsvoll. Immerhin fordert er auch (Mt 5,44): „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“ Das ist nicht ohne. Und ich bleibe da sicherlich oft genug hinter zurück.

Und dennoch: Das Reich Gottes kann man hier auf dieser Erde schon schaffen, aber natürlich nur in unseren Grenzen. Keiner von uns wird das jemals perfekt beherrschen. Und das darf so auch sein – wir sind bloß Menschen. Und ich muss auch zugeben In der großen Bauernküche von Omi Magda war auch nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Auch da gab es mal unterschiedliche Meinungen und sogar Streit. Und manchmal war auch keine Zeit da, wenn zum Beispiel die Ernte auf dem Bauernhof eingefahren werden musste. Trotzdem hat mir Omi Magda eine Idee vermittelt, was „Zuhause“ ist und was das Reich Gottes bedeutet.

Und als Christin glaube ich: Etwas davon wird sich auch über diese Welt hinaus bewahrheiten: Denn den Menschen ist nach christlicher Vorstellung das Reich Gottes auch noch nach ihrem Tod versprochen.

Dabei denke ich wieder an die Bauernküche, wo Kaffeeduft, beherzte Gespräche und Lachen durch den Raum ziehen. Hier pulsierte das Leben! – Pulsierte, denn im April diesen Jahres ist nach ihrem Mann auch Omi Magda verstorben, die die Küche herzlich und bestimmt mit ihrer Atmosphäre der Gastfreundschaft gefüllt hat.

Jahre nach meinem ersten Besuch in ihrer Küche stehe ich nun mit meinem Mann nach der Beerdigung traurig in der leeren Küche. Es weht zwar kein Kaffeeduft mehr durch den Raum, aber uns tröstet der Gedanke, dass sie jetzt ganz im Reich Gottes ist und dort auch ihr „Zuhause“ ist. Den stelle ich mir nämlich als einen Ort vor, der ein bisschen so ist, wie ihre große Bauernküche: Hier werde ich so angenommen und geliebt wie ich bin. Es darf jeder kommen. Für jeden ist ein Plätzchen frei und ein Ohr, das ihm zuhört. Ein echtes „Zuhause“ eben – nach diesem Leben.

Wie gut, wenn man schon hier und jetzt solch eine Erfahrung machen kann von einem „Zuhause“. Und was erst, wenn das nur ein Vorgeschmack ist auf etwas Größeres und Schöneres, was jetzt noch aussteht.

Ich wünsche Ihnen und mir, dass wir immer wieder echte Zuhause-Erfahrungen machen und auch anderen ein Zuhause sind. Dann könnte es so werden wie Adel Tawil singt: Komm wir bringen die Welt zum Leuchten! Aus meinem Zuhause in Ostbevern grüßt Sie Franzis Niehoff.


Musik V: Adel Tawil, Zuhause

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