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Das Geistliche Wort | 20.05.2012 | 08:40 Uhr

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Aus der Ferne

Ein Pilger ist ein Fremder. Ein Alltagsflüchtling. Ein Losgelöster. Ein Erwartender. Ein Stolpernder. Ein verlorener Finder.


Sein Weg sind Geschichten, die arm sind an bezahlten Erlebnissen und reich an geschenkten Erfahrungen. Sie werden erzählt von Menschen, die von der Seite dazu stoßen. Von Erinnerungen, die von hinten treiben. Von Plänen, die von vorne herüber wehen. Von Momenten, die nach oben ziehen.


Pilgern kann man zu Fuß. In Worten. Oder in Geschichten.


Guten Morgen, liebe Hörerin, lieber Hörer. Ich bin Dirk Brall und leite die evangelische Freizeitbildungsstätte Kirschkamperhof in Krefeld.
Die alte biblische Geschichte von Jakob ist für mich wie eine Pilgerreise. Jakobs Lebensweg
ist voll von Kehrtwenden, Abschweifungen, Umwegen, Aufbrüchen, Abbrüchen, Verlorensein und Verbundenwerden.
Und
wer könnte sie besser erzählen als sein Sohn Josef.


Musik


Ben-Jamin, mein kleiner Bruder, Sohn des Glücks, ich will dir von unserem Vater Jakob erzählen, weil das für dich wichtig werden könnte. Ich war auch selbst nicht immer dabei, aber ich will dir das erzählen, was ich von unserer Mutter weiß. Ich habe lange mit ihr gesprochen, als sie auf dem Lager lag und jeder sah, dass du auf die Welt gekommen warst, sie aber gehen würde.


Unser Vater Jakob kam als Dieb in das Land, aus dem sein Großvater Abraham viele Jahre zuvor aufgebrochen war. Er hatte seinem Bruder den Segen des Erstgeborenen gestohlen, seinen fast blinden Vater getäuscht und war in die Wüste geflohen.


Atmo Loscil


In einer dieser rastlosen Nächte fern von zu Hause hatte er einen Traum, in dem er Gott sah und eine Leiter, die den Himmel mit der Erde verband und auf der Engel auf und ab gingen. Unser Vater ahnte, dass der Traum ihm etwas zeigte, was sich erst viele Jahre später ereignen würde. Wahrscheinlich hat es ihn allen Mut gekostet, diesem Traum zu glauben; er war mitten in der Wüste und hatte nichts als sein kleines Bündel.



Unser Vater lief viele Wochen. Er überquerte Flüsse, wanderte über Berge und durch Täler. Er ging in der Nacht, um nicht gesehen zu werden. Er muss müde und abgemagert ausgesehen haben, doch als er ins Zweistromland kam und die Olivenbäume und Mandelbäume,


Atmo Zikadengesurre. Mittagstimmung


die Wiesen, die Rosen und den Flachs, die Feigen, Datteln und Granatäpfel sah, wusste er, dass er angekommen war. Er erreichte einen Brunnen, auf dem ein schwerer Stein lag, der das Wasser vor dem Verdunsten schützte. Es war Mittag, und Hirten saßen unter einem Strauch. Als sie ihm sagten, dass er in Haran bei seinem Onkel Laban angekommen sei, muss er in die Knie gesunken sein, sein Bündel und seinen Wasserschlauch neben sich legend.














Der Hirte stieß ihn an und zeigte mit seinem Arm auf eine Hirtin, die ihre Schafe zum Brunnen trieb. Das ist Labans Tochter, sagte er.












Er hat eine Tochter?












Er hat zwei, Lea und Rahel, sagte der Hirte. Rahel ist die jüngere.












Die Hirtin erreichte den Brunnen. Sie und unser Vater müssen beide was bemerkt haben. Etwas, was man in dem Moment nicht benennen kann, sondern nur fühlen, ohne zu wissen, woher es kommt. Kurz darauf lief Rahel zu ihrem Vater Laban, um anschließend mit ihm zur Wasserstelle zurückzukehren.












Laban nahm unseren Vater in die Arme und lud ihn in sein Haus ein. Er lachte laut, als er von der Blindheit seines Schwagers Isaaks hörte. Er muss so laut gelacht haben, dass unsere Mutter unruhig wurde, aber unser Vater bot sich als Arbeiter an und blieb. Er besuchte unsere Mutter auf der Weide, half ihr beim Schafe tränken, saß bei ihr beim Essen.


Atmo Einzelnes Blöcken


Nach einem halben Jahr rief Laban unseren Vater zu sich und bot ihm einen Lohn an. Unser Vater hatte schon so oft auf eine Gelegenheit gehofft und schlug ihm vor sieben Jahre zu arbeiten, wenn Laban ihm seine Tochter Rahel zur Frau geben würde.

Laban lachte. Ich dachte, du willst eine Herde und reich werden, um unabhängig zu sein. Er goss ihm einen Becher Wein ein. Trink, du sollst sie haben. Besser du, als irgendein anderer. Sieben Jahre, du hast mein Wort.


Atmo ..sieben Schläge Metronom o.ä.


Sieben Jahre können wie eine Ewigkeit oder wie ein paar Tage sein. Unser Vater arbeitete hart in den Jahren. Er schaute selten den Weg zurück, den er gekommen war, und blieb trotz Frost und Hitze auf den Weiden. Die Herden wuchsen. Er ertrug es, dass Laban ihm schwere Arbeit gab.

Nach sieben Jahren ging unser Vater zu Laban und bat ihn um seine Tochter.












Laban bejahte und dann legte er den Arm um unseren Vater und redete mit ihm über das Fest und den Wein, den Tanz, das Essen und die Musik.


Atmo: Musik..orientalisch sehr kurz. Frauengekicher?


Am Abend des Festes brachte Laban seine Tochter zu unserem Vater, und er muss damals viel getrunken haben, denn er merkte nicht, dass sich eine neben ihn legte, die er nie gewollt hatte.

Weißt du, wie das ist, wenn die Welt ihre Schatten zeigt? Weißt du, wie das ist, alles zu verlieren, worauf du Jahre gewartet hast?


Am nächsten Morgen erwachte unser Vater und fand nicht Rahel, sondern Lea neben sich liegen. Vielleicht hat er geschrien, vielleicht hat er geschwiegen, vielleicht hat er geweint. Aber dann sprang er auf und weckte Laban. Dieser nahm unseren Vater mit vor das Zelt. In unserem Land wird erst die Ältere verheiratet. Dann die Jüngere.

Unser Vater war verzweifelt. Was muss ich tun?












Arbeite noch einmal sieben Jahre für mich. Und feiere eine Woche mit Lea Hochzeit, und dann ­werden wir ein zweites Fest anschließen.












An diesem Abend spürte unser Vater zum ersten Mal die Anstrengungen der vergangenen sieben Jahre.


Nach einer Woche bekam unser Vater Rahel zur Frau. Das Loch in seinem Herzen heilte, aber es blieb eine Narbe zurück.


Atmo Loscil


Unser Vater baute Hütten und Feuerstellen. Lea bekam eine Magd, die Silpa, und Rahel bekam eine Magd, die Bilha. Unser Vater war nicht oft bei Lea, denn er liebte Rahel, aber Lea wurde als Erste schwanger und bekam einen Sohn, unseren Bruder Ruben. Dann bekam sie weitere Söhne, ebenso die Mägde. Unsere Mutter hatte keine Kinder, bis ich geboren wurde.


Das war ein großes Fest für unsere Mutter. Sie legte mich in ein Bett aus Fellen und sagte zu unserem Vater: Gott hat mich aufgerichtet. Ich will ihn Josef nennen! Und dann sagte sie, was kaum einer glauben konnte und worüber viele lächelten: Gott wird mir noch einen Sohn schenken. Als ob sie von dir, lieber Ben-Jamin, schon gewusst hätte.

Unser Vater hob mich empor. Mein elfter Sohn, sagte er.


Er muss sehr stolz gewesen sein, denn er hatte endlich, was er wollte, und dennoch spürte er wieder einen Schmerz in sich, und als der Frühling kam


Wind. Einzelner Vogel.

und die Mandelbäume blühten und der Wind über die Wiesen strich, ging er zu Laban. Doch statt unseren Vater in seine Heimat ziehen zu lassen, überredete Laban ihn, weitere sechs Jahren zum Lohn einer eigenen Herde zu bleiben. Erst dann ließ er ihn nach Hause kehren.


Manchmal habe ich mich gefragt, woher unser Vater überhaupt den Mut nahm, in seine Heimat zurück zu gehen, als es endlich so weit war. Oft lief er voraus, schaute von den Bergen herab in die Ferne und murmelte etwas. Er drängte nicht, aber wir machten auch keine langen Pausen. Wir spürten alle, dass es nicht mehr weit war. Unser Vater wurde schweigsamer. Er ließ zwei Arbeiter zu sich holen und befahl ihnen, vorauszulaufen, um ihn anzukündigen.












Erzählt Esau, dass sein Bruder Jakob kommt, mit seiner Familie und allem, was er hat. Sagt ihm, ich wäre lange in der Fremde bei Laban gewesen, und ich sei reich und bräuchte nichts, und ich wünschte mir, ihn zu sehen. Ich sei sein Knecht.

Die beiden Männer banden sich ihre Wasserschläuche um und liefen los.


Unser Vater blieb am Rand des Lagers. In der Nacht zündete er ein Feuer an und wachte. Am nächsten Tag setzte er sich auf einen Stein und starrte in den Himmel.

Als die Boten zurückkamen, ging er mit ihnen in sein Zelt. Mich nahm er mit hinein.












Und, fragte er, was sagt er?












Er kommt dir entgegen.












Er ist schon auf dem Weg?












Ja, und er kommt mit vierhundert Mann.


Er stellte eine Herde zusammen. Er sprach zu einer Handvoll Knechten: Ihr geht uns voraus. Die Tiere sind Geschenke für meinen Bruder. Und wenn er euch fragt, wer ihr seid und wohin ihr wollt und wem die Tiere gehören, dann sagt ihm: Die sind von deinem Knecht Jakob. Sie gehören dir. Er kommt hinter uns her.












Sie nickten.












Wir lassen euch einen Vorsprung. Dort drüben ist ein Fluss. Wenn ihr flussaufwärts geht, findet ihr eine Furt. Wir folgen euch morgen.


Jeder spürte, worum es ging. Jedes Tier, jedes Kind, jeder Arbeiter, jede Frau. Er selbst wusste es, und er wollte seine Geschichte wiedergutmachen.


Ben-Jamin, noch heute erinnere ich mich an diese Nacht ganz genau. Noch heute weiß ich, wie er uns nachts durch den Jabbok trieb.

Wassergeplätscher. Frauengesang.


Der Fluss war dunkel und kalt. Unsere Mutter sang in der Nacht, ein Feuer brannte, und noch heute weiß ich, wie er zurück zum Ufer ging und erst am Morgen wieder auftauchte. Ich weiß noch, dass er nicht mehr richtig gehen konnte und hinkte. Was in dieser Nacht am Jabbok geschah, weiß ich nicht.


Atmo Loscil


Er rief uns im
Morgen­grauen zusammen, und wir brachen auf. Er hat nie darüber gesprochen, was er in der Nacht erlebt hat. Doch dieses Schweigen war anders als sonst. Vielleicht hatte er keine Worte dafür, denn ein Schrecken lag in seinen Augen. Vielleicht konnte er es selbst kaum glauben, denn neben dem Schrecken lag auch ein Staunen in seinem Blick.


Dann machten wir uns auf das letzte Stück unserer langen Reise. Auf dem Weg nach Efrata kamst du auf die Welt. Es war eine schwere Geburt, und unsere Mutter verlor viel Blut. Die Hebamme sagte ihr, sie würde einen Jungen bekommen. Daraufhin sagte unsere Mutter, dass ihr Kind Ben-Oni heißen solle, Sohn des Unglücks.


Atmo…sehr zart


Unser Vater setzte sich zu ihr. Lass es uns Ben-Jamin, Sohn des Glücks, nennen. Das Kind ist mein Glück, denn es ist von dir.

Dann g ing es ihr plötzlich besser und sie konnte ­sitzen, doch sie wusste, dass diese Kraft dazu war, sich zu verabschieden. Sie rief mich ins Zelt und bat, mich neben sie zu setzen.












Josef, sagte sie, mir über den Kopf streichelnd. Ich wünsche mir, dass du eines Tages Ben-Jamin erzählst, wer seine Mutter war. Er soll wissen, was vor ihm geschehen ist.

Ich nahm ihre Hand.












Warte, bis er groß genug ist, um unsere Geschichte zu verstehen. Sage ihm, dass ich ihn sehr geliebt habe.












Wie hat alles begonnen?, fragte ich. Wie ist unser Vater zu euch gekommen?

Sie lächelte. Und dann erzählte sie von der Flucht, dem Brunnen und ihrer ersten Begegnung. Ich saß neben ihr, hielt ihre Hand, kühlte ihre Stirn, gab ihr zu trinken und hörte ihr zu. Und in der folgenden Nacht starb sie, und wir vergruben sie unter einem Baum. Unser Vater saß tagelang dort, und ich irrte umher und wusste, dass die Geschichten, die ich gerade erst gehört hatte, jetzt in mir wohnten und ich auf sie aufpassen musste.


Schlussmusik



Und bis heute wohnen diese Geschichten in uns weiter.

Es verabschiedet sich Dirk Brall von der evangelischen Kirche.


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