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Das Geistliche Wort | 13.11.2022 | 08:40 Uhr

Dürfen Reformprozesse Veränderungen bringen?

Guten Morgen!

Mich fasziniert immer wieder, wie Kinder wichtige Fragen des Lebens spielerisch miteinander austragen. Komm, wir probieren aus, wer schneller ist! Das rufen sich Schulkinder manchmal zu und dann stürmen sie los. Wer kommt zuerst an der Schule, am Schwimmbad, am Fußballplatz an? Wer als erstes da ist, freut sich natürlich. Aber weil es ein Spiel ist, lachen auch alle andern mit, obwohl sie nicht so schnell mitgekommen sind. Im Spiel wird der Ernst des Lebens ernst genommen, doch es bleibt ein gemeinsames Spiel und darum haben sie auch gemeinsame Freude: Wäre es doch immer so im Leben!

Musik I: Chick Corea, Children’s Songs Nr. 2.

Komm, wir probieren aus, wer schneller ist! Zurzeit sieht es so aus, dass keiner von uns mehr wirklich mitkommen kann mit all dem, was geschieht – in der Welt der großen Politik, aber auch in unserem alltäglichen Leben. Wir können kaum Schritt halten mit den Entwicklungen, die sich überstürzen. Da sind die schrecklichen Bilder von Flutkatastrophen und Dürresommern, von Waldbränden und Gletscherschmel­zen, die uns die Folgen des Klimawandels immer drastischer vor Augen führen.

Da sind die immer schrecklicheren Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, die jeder vernünftigen Politik davongaloppieren. Ich denke an die willkürliche Verknappung von Getreide und Gas und die daraus resultierenden Preissteigerun­gen und wirtschaftlichen Einschränkungen.

Für mich ist klar: Die Ukraine hat das Recht sich zu verteidigen. Das ist bei allen die vorherrschende Meinung, die sich von der russischen Propaganda nicht beeinflussen lassen. Doch es geht doch um noch viel mehr: Die Ukrainer verteidigen nicht nur ihr Land, sondern sie verteidigen auch uns und unser Zusammenleben als freie Völker in der EU.

Die westlichen Regierungen haben alle Mühe, ihrerseits nichts zu tun, was die Kriegshandlungen noch weiter eskalieren lässt, und trotzdem die Verteidigung der Ukraine wirksam zu unterstützen und zugleich die Folgen des russischen Propaganda- und Energiekrieges gegen die EU abzuwehren.

Mir kommt das alles so vor wie der Wettkampf bei den Kindern, nur dass es hier kein gemeinsames Spiel ist, sondern bitterer Ernst: Wer ist schneller? Russland oder die westliche Welt? Wer ist schneller: Die immer neue Nachrichtenlage oder die Politik? Die Propaganda oder die bitteren Fakten? Das Ergebnis ist eindeutig: Immer laufen die hinterher, die Recht und Ordnung zur Geltung bringen müssen. Die also eine Politik erreichen wollen, die auf Regeln basiert, die alle gemeinsam anerkennen. Nein, es ist kein Spiel, es ist kein gemeinsamer Wettkampf, es ist böse und unsäglich schlimm, weil es um menschliches Leben geht, um Einzelne, um Familien, um Kinder, um Zivilisten und Soldaten. Angegriffene und Angreifer werden tausendfach in der Ukraine getötet. Und ein riesiges reiches Land wird immer gezielter zerstört.

Musik II: Chick Corea, Children’s Songs Nr. 11.

Das Bild vom Wettlauf passt derzeit irgendwie auch auf die Katholische Kirche. Auch die Geschehnisse in der Kirche sind in immer schnellere Bewegung gekommen. Hier hat es den Anschein, als ob nicht die gewinnen, die nach vorne wollen, sondern die, die langsamer sind und meinen Bremsen zu müssen.

Wer den Verlauf des Synodalen Weges in Deutschland verfolgt und die drängenden Rufe nach Veränderungen in der katholischen Kirche, die dort behandelt werden, auf sich wirken lässt, kann den Eindruck gewinnen, als ob die Einen den Anderen davonlaufen wollen. Je konkreter die Reformvorschläge sich abzeichnen, desto heftiger der Widerstand und die Kritik. Immer neue Mahnungen und Warnungen kommen aus Rom oder auch von anderen Stimmen aus anderen Ländern, und die zeigen sich überwiegend davon überzeugt, durch die vorgeschlagenen Reformen würden Recht und Ordnung in der Kirche eigensinnig und in verfälschender Weise abgeändert. Als ob die Kirche sich von sich selbst entfernen würde.

Die Einen haben Angst vor Veränderungen. Die Anderen aber halten das, was bisher vereinbart wurde, für viel zu langsam und zu mutlos. Wer erreicht mehr: die das Bisherige verteidigen oder die auf Veränderungen drängen? Beide Seiten in der katholischen Kirche, die Bewahrer und die Veränderer, entwickeln eine tiefe Angst davor, die jeweils andere Seite könnte sich durchsetzen und zuerst ans Ziel kommen! Beide Seiten befürchten für diesen Fall das Schlimmste: Wenn wir nicht gewinnen, sondern die anderen, verlieren alle! Denn dann drohen Spaltung, Abwanderung und Bedeutungsverlust der ganzen Kirche.

Musik III: Chick Corea, Children’s Songs Nr. 13.

Bewahren oder Verändern, wie sieht der Weg der katholischen Kirche in die Zukunft aus? Papst Franziskus wird nicht müde zu betonen, dass Synodalität der Weg der Kirche im dritten Jahrtausend ist und dass Synodalität keine Verlierer hervorbringt.

Denn Synodalität bedeutet: gemeinsamen einen Weg gehen. Einen Weg, den alle gemeinsam als gut und richtig finden. Gut und Richtig für jetzt, für das nächste Wegstück, für das, was jetzt dran ist und kommen soll.

Ich träume davon, dass meine Kirche diese Anstrengung auf sich nimmt und besteht: einen Weg gemeinsamen zu gehen.

Doch dazu müssen alle Beteiligten zwei Wahrheiten anerkennen:

Die Erste: Das Leben selbst ist immer schneller als die Reformen und größer als die Gewissheiten von heute.

Immer sind Entwicklungen im Gange, die neue Fragen entstehen lassen. Sie zufriedenstellend zu beantworten, dafür reichen die bisherigen Antworten nicht mehr aus.

Ein paar Beispiele dazu, die derzeit beim Synodalen Weg eine wesentliche Rolle spielen: Wie können Frauen und Männer in der Kirche gleichberechtigt agieren? Ohne diese Frage gemeinsam neu zu beantworten, wird die katholische Kirche in unserer Gesellschaft nicht mehr ernst genommen werden.

Oder: Wie kann das geistliche Amt der Priester und Bischöfe ausgeübt werden als ein aufbauender Dienst an allen und nicht als ärgerliches Vorrecht der Einen über die Anderen? Ohne diese Frage gemeinsam neu zu beantworten, wird in unserer Kirche keine Freude an der Verschiedenheit der Berufungen und der geistlichen Begabungen entstehen, sondern Ärgernis und Misstrauen alles durchziehen.

Oder: Wie können queere Menschen Jesus nachfolgen und unangefochten katholisch sein, ohne sich verstellen zu müssen?

Ohne diese Frage gemeinsam neu zu beantworten, werden Menschen in unserer Kirche nicht als die angenommen, die sie in Wahrheit sind, und wenn sie in den kirchlichen Dienst treten wollen in den Gemeinden oder in den Schulen, werden sie in Angst und Not getrieben, sich verstecken zu müssen.

Und nun die zweite Wahrheit, die alle anerkennen müssen, um synodal zu sein, sie lautet: Nur wenn Gott gewinnt, gewinnen alle!

Gerade das muss uns doch in unserer Kirche geistlich zusammen halten: Nicht die Einen besiegen die Anderen, nicht die Mehrheit weist die Minderheit in die Schranken oder die Minderheit bremst und sperrt die Mehrheit aus, sondern unsere gemeinsame Sehnsucht ist: Gott soll zeigen, dass er mit uns vorangeht!

Wirklich an das Ziel mit uns allen und für uns alle gelangt Gott in Jesus Christus, seinem Sohn, der einer von uns gewordenen ist. Durch den Tod am Kreuz hindurch ist er als Erster in das neue Leben gelangt. Er hat gewonnen, nicht die, die ihn aus dem Weg räumen wollten. Er hat gewonnen, und mit ihm alle, die in ihrem Leben an Grenzen stoßen, die unerbittlich und unüberwindbar sind: die Menschen, die Unrecht erleiden, die verraten werden, deren Vertrauen missbraucht wurde, die in ihrer Liebe verkannt werden, die an ihren Gräbern weinen, weil das Leben nicht mitgekommen war, wohin ihre tiefste Sehnsucht sie zieht.

Der Gekreuzigte ist der Auferstandene, der Festgenagelte und total Ausgbremste ist zum Ersten geworden, das geht über alles hinaus, was wir uns in dieser Welt vorstellen können! Und das ist die immer größere Wahrheit, die zu allen Zeiten antritt gegen jede Angst vor der Gegenwart und gegen jede Angst vor der Zukunft.

Musik IV: Chick Corea, Children’s Songs Nr. 3.

Ich bin überzeugt: Weil Jesus, den Wettlauf zwischen dem Leben und dem Tod gewonnen hat, kann ich zuversichtlich in die Zukunft schauen. Denn Einer von uns ist schon längst am Ziel allen Lebens angekommen: Christus. Weil Christus durch den Tod am Kreuz hindurch als Erster in das neue Leben gelangt ist, kann er es uns allen in seiner Kirche von der Zukunft her aufmachen.

Wer an ihn glaubt, muss keine Angst vor dem Leben haben und dem Tempo der Ereignisse, die uns bedrängen.

Auch die Kirche muss keine Angst vor dem Leben haben. Das Leben, die Geschichte, die Konflikte der Menschen, die Probleme, das Leiden so vieler Unschuldiger und die Sehnsucht nach Frieden, nach Gerechtigkeit und Versöhnung hören ja nie auf und werden nie ein für alle Mal geklärt. Und sie fordern uns ständig heraus, weiterzugehen und nach Lösungen zu suchen.

Darum träume ich davon, dass Gott seine Kirche als ein Werkzeug und als ein Zeichen mitten hinein stellt in unsere Zeit und an ihr deutlich macht, was alle Menschen hoffen dürfen, nämlich: Es gibt einen gemeinsamen Weg! Es gibt einen gemeinsamen Weg für Arme und Reiche, einen Weg für die Bewahrung des gemeinsamen Hauses der Schöpfung, einen gemeinsamen Weg für Geborene und Ungeborene, für Junge und Alte, für Binäre und Nicht-Binäre, für Weiße und Farbige, für Glaubende und Nicht-Religiöse.

Ist das nicht ein Traum von der Kirche, wie sie heute sein müsste mitten in dieser Welt, die auseinanderdriftet? Wie sie ein Hoffnungszeichen werden kann, weil sie mehr das Gemeinsame sucht und sieht als das Trennende? Wie sie neu die Kraft entfaltet, Menschen einzubeziehen, statt auszugrenzen, Menschen zum Wachsen und Blühen zu bringen, statt Ärgernis zu geben, Menschen den Gott Jesu Christi als ihren Gott zu verkünden, statt zerstritten zu sein.


Ja, Gott liebt es, an unerwarteten Stellen Beispiele zu zeigen für das, was er tut und erreicht für alle. Gott hat die Kraft und die Phantasie, uns alle immer wieder zu überraschen von dem Neuen, das er tut und zustande bringt.

Auch für den Synodalen Weg habe ich dieses Vertrauen in Gott. Und deshalb setze ich mich auch dafür ein, dass dort gute gemeinsame Ergebnisse erreicht werden.

Wo immer solche Gemeinsamkeit im Glauben synodal erfahren wird, fangen Menschen an zu staunen und sich zu freuen, nicht nur über sich selbst, sondern darüber, wieviel größer Gott ist.

So werden wir auch fähig, ihn neu anbeten zu lernen als den, der in Christus nichts für sich, sondern alles für uns, seine Kinder, erreicht.

Musik V: Chick Corea, Children’s Songs Nr. 5.

Christus, der Auferstandene, ist der Sieger für alle. Nichts läuft ihm davon, auch unsere Zeit und die Schnelligkeit ihrer Probleme hängen ihn nicht ab, können aber neu Anlass zum Glauben, Hoffen und Lieben werden.

Denn das Leben, das Christus lebt und verbreitet, schließt niemand aus, sondern lässt immer größere Kreise entstehen, in denen Men­schen dazugehören und Anerkennung finden: Wie schön, dass es dich gibt, wie gut, dass du und ich gemeinsam unterwegs sind!

Dieses Zeichen des Glaubens muss die Kirche heute neu hervorbringen, ja das schuldet die Kirche jeder Zeit, auch unserer: das Zeichen nämlich, wie wir miteinander umgehen, dass wir verschieden sind ohne Angst und Abscheu voreinander, das Zeichen, dass wir gut voneinander denken und reden und fair streiten, ohne uns über die anderen zu erheben und besser zu wähnen, das Zeichen, dass wir einander zuvorkommen, nicht um uns zu überholen, sondern um in verfahrenen Situationen den ersten Schritt aufeinander zu zumachen.

Wie wäre es, wenn wir es damit so machen wie die Schulkinder: Komm, wir probieren, wer schneller ist! Wer schneller zuvorkommend, demütig, gutmütig, fröhlich füreinander sein kann, wer schneller die Angst vor dem Anderssein und dem Fremdsein verliert, wer schneller die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten für heute konkret vorleben kann.

Dann finden wir neu den Grund zu lachen und uns in die Arme zu fallen wie Schul­kinder, die einen Wettlauf gemacht haben und spüren: das Leben ist schön!

Ich wünsche Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute neue Woche!

Ihr Helmut Dieser, Bischof von Aachen

Musik VI: Chick Corea, Children’s Songs Nr. 1.


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