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Das Geistliche Wort | 11.12.2022 | 08:40 Uhr

„Freude befehlen – geht gar nicht!?“

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer!

Kann man Freude befehlen? So ganz nach dem Motto: So – nun freu dich endlich! Mach schon! Du musst dich freuen!

Ich sage es in aller Klarheit: Das geht gar nicht! Zur Freude kann man niemanden zwingen. Freude kann man auch niemandem auferlegen. Freude stellt sich vielmehr ein, ist eine Reaktion, wenn ich positiv überrascht wurde, wenn ich eine gute Erfahrung gemacht habe, wenn ich etwas Gutes erwarte. Freude ist ein Geschenk. Und dieses Geschenk kann man sich wünschen, darum kann man werben oder dazu einladen, sich mitzufreuen. Aber befehlen? Das geht doch gar nicht!

Wie kann dann aber jemand befehlen: Freut euch!?

Der Befehl steht in der Bibel und verwundert mich jedes Mal, wenn ich ihn da lese. Und als ob das nicht genügt: Der Befehl hat dem heutigen Sonntag sogar seinen Titel gegeben. Er heißt auf lateinisch: „Gaudete!“ Zu Deutsch: „Freut euch!“ Selbst ich als katholischer Priester zucke zusammen, wenn vom Sonntag „Gaudete“ die Rede ist – so wie heute am dritten Advent.

Musik I: Choir of Clare College Cambridge & London Cello Orchestra, Medieval Carol 'Gaudete'


Ja, der heutige Sontag steht in der katholischen Kirche unter dem Titel eines Befehls: „Freut euch!“ Und er steht wirklich in der Bibel, beim Apostel Paulus, im Brief an die Gemeinde in Philíppi. Unglaublich. Und um es unmissverständlich zu machen: Dahinter steht ein Ausrufezeichen. Also wirklich ein Befehl. Einfach so, klar, da gibt es keinen Zweifel.

Bei Befehlen habe ich als moderner Mensch ein komisches Bauchgefühl. Das klingt nach Militär, nach Hierarchie, nach Überordnung und Unterordnung. Das klingt nach Geboten, die man umzusetzen hat. Das klingt nach Gehorchen-Müssen, nach Zwang. Und genau das passt doch überhaupt nicht zu dem, was inhaltlich hier gefordert wird: Freude. Zwang und Freude passen nicht zusammen – auch nicht in einem katholischen Gottesdienst.

Wie gesagt, es steht aber da im Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Philíppi ein Befehl, ein Appell, eine Aufforderung. Zunächst heißt es (Phil 4,4): „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit…“ Ausrufezeichen. Und dann geht’s weiter: „Noch einmal sage ich: ‚Freut euch!‘“ und natürlich wieder das Ausrufezeichen!

Ist denn der Paulus von allen guten Geistern verlassen? Hat der denn nichts kapiert von der nötigen Freiheit, die eine Voraussetzung ist, um sich zu freuen.

Mit der Freude ist es wie mit der Liebe: Stellen Sie sich einmal vor, ich bedrohe Sie mit einer Pistole und sage Ihnen: Los, du musst mich lieben! Fang endlich an! Ich zwinge dich, mach doch, lieb mich! Jeder weiß sofort, dass das nicht funktioniert. Selbst wenn dann jemand unter Angst um sein Leben stammeln würde: Ist doch klar, ich liebe dich. Natürlich. Keine Frage… – so wüsste jeder, dass es gelogen wäre.

Weder Liebe noch Freude lassen sich per Befehl umsetzen. Sie ereignen sich. Sie geschehen. Jeder Mensch, der schon einmal verliebt war, weiß, was ich meine. Bauchgefühl, Schmetterlinge, Wärme ums Herz. ... Der eine Mensch, der ist es, für den empfinde ich ein tiefes Gefühl. Es ist einfach da und packt mich und hat wesentlich auf einmal mit mir zu tun. Ebenso erinnere ich mich in diesem Zusammenhang auch an die Freude meines Bruders, als er das erste Mal seinen Sohn in den Armen gehalten hat – das kleine Kind, das Baby, das auf einmal einen gestandenen Mann zum Weinen brachte. Liebe, Freude kann man nicht befehlen, die sind plötzlich da und haben wesentlich mit mir zu tun.

Sie sind ein Geschenk. Und auch hier gilt: Erzwungene Geschenke sind keine Geschenke. Geschenke sind freiwillige Gaben, also Gaben aus einer Freiheit heraus. Wonach man allerdings fragen kann: Was ist denn der Grund für das freie Geschenk der Freude. Und genau darauf hat Paulus eine Antwort parat. In einem kleinen Satz nennt er den Grund zur Freude – und dieser Grund ist für ihn wirklich bedeutsam. Paulus schreibt nach den zitierten Befehlen an die Gemeinde in Philippi den kleinen Satz (Phil 4,5): „Denn der Herr ist nahe.“

Musik II: Jacques Loussier Trio, Jesus bleibet meine Freude (Johann Sebastian Bach)

Es gibt für Paulus einen zwingenden Grund zur Freude: Der Herr ist nahe. Gott ist nahe. Gott ist nicht weit weg, irgendwo hinter den Wolken, ganz fern und ich krebse hier auf dieser Erde alleine und verzweifelt durch die Gegend und kriege mein Leben nicht auf die Kette.

Nein, Gott ist nahe.

Und Paulus wusste, wovon er sprach. In einem anderen Brief schreib er einmal an die Gemeinde in Galatien (Gal 2,20): „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. Was ich nun im Fleische lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat.“ Das waren für Paulus keine Floskeln, sondern eine tief erlebte Wirklichkeit. Ursprünglich hatte er mit Jesus und den Christen gar nichts zu tun, im Gegenteil: er hat sie verfolgt und freute sich voller Eifer daran, sie zur Strecke zu bringen. Dann berichtet die Bibel von dem sogenannten Erlebnis vor Damaskus: Paulus wird ergriffen von einem Licht und fortan lebt er anders, für seine Mitmenschen völlig irritierend. Der Verfolger wandelt sich zum glühenden Freund Jesu: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“

Das ist bemerkenswert: Paulus ist davon überzeugt, dass Christus ihm so nahe gekommen ist, dass er in ihm lebt. Weil dieser Jesus Christus ihn geliebt hat und aus Liebe sogar für ihn gestorben ist. Was für ein Geschenk! Grund genug, sich zu freuen! Denn aus Liebe ist Gott den Menschen ganz nahe gekommen, ist er auch ihnen und mir ganz nahe gekommen.

Genau darum geht es im Advent: Gott kommt mir nahe. Gott sucht den Menschen auf. Gott drängt es leidenschaftlich, denen, die er „abgöttisch“ liebt, ganz nahe zu sein. Liebe kann Distanz nur schwer ertragen. Liebe braucht Nähe, die zärtliche Berührung, das Anschauen, das Hören und Wahrnehmen einer vertrauten Stimme, die Umarmung. Deswegen hat Gott nie aufgehört, sich zum Menschen aufzumachen. Er hat nie aufgehört, mit unendlicher Geduld an das Herz des Menschen zu klopfen, damit dieser ihn hineinlässt in sein Leben – in Leid und Freude, in Dunkel und Licht, in Tränen und Lachen, in Einsamkeit und Glück, in die Schicksale, die Müdigkeit, den Zorn, die Wut, die Angst, die Fragen, was das ganze überhaupt soll.

Musik III: The Swingle Singers, Jesus bleibt meine Freude (Johann Sebastian Bach)

Gott drängt es, dem Menschen nahe zu sein. Denn er liebt den Menschen, egal, was dieser auch getan hat. Dieser Wunsch nach der Nähe zu den Menschen wird sehr anschaulich beschrieben in einem mittelalterlichen Bildmotiv, dem sogenannten „Ratschluss der Erlösung“. Der geht zurück auf eine Predigt des großen Theologen Bernhard von Clairvaux zum Fest der Verkündigung der Geburt Jesu. Bernhard sagt da: Wahrheit und Gerechtigkeit beschweren sich bei Gott über die Menschen. Die seien allesamt verdorben. Da treten Barmherzigkeit und Friede auf und verteidigen die Menschen. Es kommt zum Streit darüber, wie den Menschen geholfen werden kann. Schließlich entscheidet Christus: Nur der Tod eines Unschuldigen kann der Menschheit Erlösung bringen. Daraufhin sucht die Wahrheit auf der Erde nach einem Unschuldigen. Ebenso sucht die Barmherzigkeit unter den Engeln im Himmel. Doch beide kehren unverrichteter Dinge zurück. Da nun kniet sich Jesus vor seinem Vater nieder, und bittet ihn: Sende mich, die Menschheit zu erlösen. Und begleitet vom Heiligen Geist bricht Jesus auf, um bei den Menschen zu sein, um ihnen seine Liebe zu zeigen.

Den weiteren Fortgang der Geschichte sieht Bernhard dann in der Menschwerdung Jesu und seinem Tod am Kreuz, als ein Zeichen des Opfers und der liebenden Hingabe für die Menschen.

Auch wenn das eine mittelalterliche Predigt ist. Mich fasziniert der Gedanke: Da ist jemand bereit, sich selbst hinzugeben aus Liebe für die Menschen. Und Hingabe aus Liebe für andere, das gibt es doch auch heute noch. Ich denke an die vielen Pflegerinnen und Pfleger, die bereit sind, die schwer Corona-Erkrankten auf den Intensivstationen zu pflegen. Ich denke an die vielen Menschen, die den Flüchtlingen Obdach gewähren und sich selbst dabei zurücknehmen. Und was ist mit den vielen Helferinnen und Helfern, die wie selbstverständlich ihre Zeit opfern, damit andere besser zurechtkommen – ob in Pflegeeinrichtungen, bei der Tafel oder sonst einem sozialen Hilfsprojekt. Überall hier scheint etwas davon auf, dass Gott zu den Menschen kommt.

Musik IV: Johann Sebastian Bach, Jesu bleibet meine Freude BWV 147

Gott kommt nahe – Gott kommt an. Genau darum geht es jetzt in den Tagen des Advents. Gott kommt auch auf uns, auf mich zu. Er ist immer unterwegs zu dir und mir und jedem Menschen. Er hält die Distanz nicht aus. Er möchte bei jedem Menschen sein. Ganz wichtig: Seine Nähe bedroht nicht. Seine Nähe engt nicht ein. Seine Nähe macht nicht klein, raubt nichts an Weite, Freiheit, Selbstverwirklichung. Ich weiß natürlich auch, dass viele Generationen sehr gelitten haben unter einer moralischen Predigt der Kirche, die mehr Droh- als Frohbotschaft war. Wie viele Menschen sind bis heute noch traumatisiert und fürchten die Nähe Gottes, der als Richter erscheint.

Zum Glück hat sich die Perspektive geändert. Die Kirche ist jetzt gerade dabei, das Arbeitsrecht so zu verändern, dass die Anstellung in den kirchlichen Dienst nicht von der sexuellen Veranlagung abhängig ist. Dies war überfällig und ist eine Befreiung für viele Betroffene, gerade wenn sie sich für Gott und seine Kirche engagieren.

Gottes Nähe berührt und wenn ich das spüre, dann macht mich das… froh!

Ich kann das in meiner Arbeit als Priester im Blick auf die letzten 21 Jahre festmachen an Begegnungen, wo ich gespürt habe: Hier ist Gott am Werk. Hier führt er Menschen zusammen. Hier tun sich Wege auf. Hier kann jemand durchatmen. Hier gewinnt jemand neue Perspektiven. Hier empfindet jemand zutiefst Trost und kann neu anfangen. Das ist trotz aller Krisen der Gegenwart in Gesellschaft und Kirche meine tiefe Überzeugung: Gott ist auch heute noch am Werk. Auch diese Zeit ist Seine Zeit. Er hat es nie aufgegeben und wird es nie aufgeben: Mit großer Kraft klopft er unermüdlich an die Tür unserer Herzen und unserer Gegenwart, um Menschen zu stützen, sie zu ermutigen, sie zu trösten, sie zu führen und sie zu heilen!

Musik V: German Brass, Jesus Bleibet Meine Freude (Johann Sebastian Bach

Gottes Nähe kann froh machen. Gottes Nähe kann glücklich machen. Gottes Nähe kann trösten. Gottes Nähe kann neue Kraft schenken. Gottes Nähe kann Veränderung bewirken. Der bereits erwähnte Apostel Paulus hat genau diese Erfahrung gemacht. Er hat sich wirklich verändert. Ich stelle mir seine Bekehrungsgeschichte so vor. Da ist er wie vom Blitz getroffen und fällt vom Pferd. Und dann spricht zu ihm Christus, den er ja verfolgt in den Christen. So kommt Christus ihm nahe, wird sein Freund und Vertrauter, als zärtlicher und aufmerksamer Begleiter, als überwältigende Berührung. Dies hat eine Freude in ihm ausgelöst, die nicht von außen befohlen wurde. Er hat sie einfach gespürt und seitdem kann er den Menschen dies mitteilen: „Freut euch! Denn der Herr ist nahe.“ Er konnte nicht anders.

Aber gilt diese Erfahrung auch noch heute? Das ist für viele Christinnen und Christen eine bleibende und ganz wesentliche Frage: Teilt Gott sich mit und kann man das merken? Mir kommt es so vor, als ob es heute schwieriger denn je ist, Gott wahrzunehmen. Dafür laufen wir zu sehr im alltäglichen Hamsterrad. Kann ich da noch etwas spüren, was mich zunächst irritiert und dann doch einfach froh macht? Ich frage mich das als moderner Mensch: Was lasse ich überhaupt an mich heran in aller Hektik, in allem Busy-Sein, in der Komplexität der Gegenwart, im Reagieren auf Whatsapps und unendlich viele Mails, bei den ganzen Reizen, die meine Sinne ansprechen und zuweilen überfordern, bei allem Lauten und allen Eindrücken? Wenn es schon schwierig ist, mich im alltäglichen Trott berühren zu lassen, wie soll ich dann Aufmerksam sein, um die Berührung Gottes zu spüren, sie zu bemerken und sie unterscheidend wahrzunehmen von all den vielen täglichen Eindrücken?

Ich glaube ja, der Advent ist eine Zeit, die mich sensibel machen kann – auch für die Berührungen Gottes, für seine Nähe, dafür, dass er sich bemerkbar macht. Dazu verhilft Stille und Aufmerksamkeit. Und ich glaube, der Advent ist eine Zeit, in der durch eine solche Berührung Freude ausgelöst werden kann, die mir keiner von außen aufzwingen oder mir befehlen kann.

„Freut euch im Herrn zu jeder Zeit“, noch einmal sage ich: „Freuet euch. Der Herr ist nahe“. Nein, Freude kann man nicht befehlen. Freude muss man erfahren. Freude hat nämlich immer einen konkreten Grund, ganz real. Für mich ist es die Überzeugung, dass Gott nahe ist. Und mir zeigt sich das in den vielen Begegnungen, wo Menschen mir mit Wohlwollen und Vertrauen begegnen. Wo Menschen zu ihren Zusagen stehen, wo sie Licht in die Dunkelheit des Lebens bringen, weil sie für Wahrheit, Friede, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit einstehen. Denn in all dem zeigt sich für mich etwas von der Nähe Gottes.

Übrigens: An Weihnachten lautet die Botschaft, die für die Nähe Gottes in der Welt steht, folgendermaßen (Joh 1): „Licht leuchtet in der Finsternis.“ Daher ist für mich der Advent, die Zeit bis Weihnachten die Zeit, die Spur dieses Lichtes zu bemerken, Gott zu bemerken, seiner Nähe zu trauen und den Funken der Freude in mir entfachen zu lassen. Damit Licht werde, damit ich froh werde, damit Weihnachten ist.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten und frohen dritten Advent.

Ihr Pfarrer Mike Kolb

Musik VI: Pentatonix, Joy to he world

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