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Das Geistliche Wort | 01.01.2023 | 08:40 Uhr

Die Theologie Joseph Ratzingers

Zunächst wünsche ich Ihnen allen ein gutes, friedvolles und gesegnetes neues Jahr 2023. Auch wenn die Gedanken vieler Menschen zum Jahresbeginn nach vorne gerichtet sind und sie fragen, was wird wohl alles die Zukunft bringen, bin ich in Gedanken beim verstorbenen Papst Benedikt XVI. Ihm gilt dieser theologische Nachruf. Ich kannte ihn noch als Joseph Ratzinger, als Professor in Regensburg, wo ich ihn als Student hörte. Der erste Satz der ersten Vorlesung lautete: „War Jesus fromm oder liberal?“ Und daran fügte er die damals wichtig erscheinende Frage an: „War Jesus progressiv oder konservativ?“ Er tat uns – gottlob – nicht den Gefallen, Jesus kirchenpolitisch rechts oder links einzugemeinden. Der unveräußerbare „Markenkern“ der Theologie Joseph Ratzingers war und ist die Frage nach Jesus Christus, und zwar seit dem ersten Buch, mit dem er nach Promotion und Habilitation aus dem wissenschaftlichen Halbschatten trat, mit seiner „Einführung in das Christentum“ (1968) bis hin zur Jesus-Trilogie seiner späten Papst-Jahre „Jesus von Nazareth“ (2011/12).

Von einer „chemisch reinen“, historisch-kritischen Rekonstruktion der Person Jesu erwartete er sich nicht viel. Darin ist er dem Protestanten Albert Schweitzer gleich, der hundert Jahre vor ihm der Leben-Jesu-Forschung nachdrücklich die Grenzen aufzeigte.

Sprecher:

„Ich vertraue der Tradition in ihrer ganzen Breite. Und je mehr Rekonstruktionen ich kommen und wieder gehen sehe, desto mehr fühle ich mich in diesem Vertrauen bestärkt. (…) Ich weiß, dass der Jesus der Evangelien der wirkliche Jesus ist, dass ich mich ihm weit ruhiger anvertrauen kann als den gelehrtesten Rekonstruktionen, die er alle überdauern wird.“[1]

So äußerte sich der Mittvierziger als Professor und so äußerte sich der Achtzigjährige als Papst in seinem Werk: „Jesus von Nazareth“. Da findet sich eine grundlegende und durchgehende Kritik an der historisch-kritischen Methode, insofern diese theologischen Allwissenheitsphantasien Vorschub leistet. Dieser Jesus war nicht einfach ein Religionsgründer, nicht nur ein besonders erleuchteter Mensch, ein Buddha, Mohammed oder Mose. In diesem Jesus ist Gott selbst als Mensch in diese seine Welt eingetreten. Das galt es mit der Tradition festzuhalten. Und das Festhalten an diesem Unterschied zu allen anderen Religionen, auch wenn es ihm den Vorwurf einer theologischen Arroganz eintrug, war für ihn nicht verhandelbar. Da war er ganz Dogmatiker! Aber der Zweifel an aller nur angesonnenen theologischen Schlaumeierei galt auch seinem eigenen Werk, das er bis zum Ende umgeschrieben hat. Der alte Papst gab seinen Jesus-Bänden auch dies mit auf den Weg:

Sprecher:

„Gewiss brauche ich nicht eigens zu sagen, dass dieses Buch in keiner Weise ein lehramtlicher Akt ist, sondern einzig Ausdruck meines persönlichen Suchens ‚nach dem Angesicht des Herrn‘ (vgl. Ps 27,8). Es steht daher jedermann frei, mir zu widersprechen. Ich bitte (…) nur um jenen Vorschuss an Sympathie, ohne den es kein Verstehen gibt.“[2]

Musik I

In dieser menschlichen Bescheidenheit als Suchender ohne alles professorale und lehramtliche Gehabe habe ich ihn als jungen Professor erlebt und als alten Papst.

Politische Implikationen und Handlungsanweisungen aus dem Glauben an Christus waren Benedikt nicht wichtig. Darum war ihm die politische Theologie suspekt, gegen die er bereits als Kardinal zweimal intervenierte. Immer wieder stellte er dagegen die Schönheit und den Geschenkcharakter des Glaubens an Christus heraus. Das bezog er auf alle zentralen Aspekte des Glaubens, wie z.B. auf die Feier der Menschwerdung an Weihnachten:

Sprecher:

„Weihnachten feiern heißt (…): ein Fest annehmen, das wir nicht selbst gemacht haben (…). Die Wirklichkeit von Weihnachten (…) ist uns ein für allemal geschenkt in der Geburt des Kindes, in dem Gott zu einem der Unsrigen werden wollte. (…) Darin unverkrampft froh zu werden und so weitergeben zu können, was die Menschheit vorab und mehr als alles andere braucht: das Frohsein von innen her, das löst und erlöst (…)“[3]

Und sehr grundsätzlich sagte er über die Auferstehung Jesu an Ostern:

Sprecher:

„Nach dem Gesagten muss alle christliche Theologie, soll sie ihrem Ursprung treu bleiben, zuinnerst und zuerst Theologie der Auferstehung sein. Sie muss Theologie der Auferstehung sein, bevor sie Theologie der Rechtfertigung des Sünders ist; sie muss Theologie der Auferstehung sein, bevor sie Theologie der metaphysischen Gottessohnschaft ist. Sie kann und darf auch Theologie des Kreuzes jeweils nur als und in Auferstehungstheologie sein. Ihre erste und ursprunggebende Aussage ist die Botschaft, dass die Macht des Todes, die eigentliche Konstante der Geschichte, an einer Stelle durch Gottes Macht zerbrochen worden und damit der Geschichte eine gänzlich neue Hoffnung eingesenkt worden ist.“[4]

Von der Auferstehung her, also stets im alles erhellenden Licht von Ostern, war der christliche Glaube zu sehen und zu denken. Ratzingers Glaube und seine Theologie waren nicht existentiell zerquält und mühsam erkämpft. Sie strahlten im Glanz und in der Schönheit der Ostersonne. Das Schöne, Wahre, Gute, das wir als Menschen schon in dieser Welt erfahren, war – mit einem Lieblingswort Ratzingers gesagt -„gleichsam“ eine Vorerfahrung des Himmels. Seine philosophische und theologische Weltdeutung hatte eine durchgehend platonische Imprägnierung.


Musik II

Ratzinger als Professor und Benedikt als Papst war kein revolutionärer Theologe mit einem grundstürzenden theologischen Neuansatz, wohl aber ein Theologe, dem es wie nur wenigen gelang, die in der Tradition entwickelten, erarbeiteten, erkämpften Glaubensüberzeugungen neu und zeitgemäß zu formulieren und zu plausibilisieren. Der ergebnisoffene Diskurs gehörte zu seinen Seminaren, und in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung erfuhr man als nichtsahnender Student, welche Denkvoraussetzungen man unreflektiert mitgebracht und welche längst begangenen theologiegeschichtlichen Wege man mitbenutzt hatte.

So setzte er sich z.B. mit dem Agnostizismus auseinander, also der Position, welche die Existenz Gottes weder bejaht noch verneint, sondern die Frage nach Gott einfach glaubt offen halten und meint, den Atheismus oder Theismus elegant umgehen zu können. Dabei stützte er sich klassisch auf den Philosophen Pascal und unterzog den Agnostizismus einem lebenspraktischen Tauglichkeitstest:

Sprecher:

„Wenn ich in der Theorie den Agnostizismus gelten lasse, muss ich mich in der Praxis doch zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: leben, als ob es Gott nicht gäbe oder leben, als gäbe es Gott und als sei er die maßgebende Wirklichkeit für mein Leben. Tue ich ersteres, so habe ich praktisch eine atheistische Position bezogen und eine möglicherweise unwahre Hypothese zur Basis meines ganzen Lebens gemacht. Entscheide ich mich für die zweite Wahl, so bewege ich mich wiederum in einer rein subjektiven Gläubigkeit (…) Wie dem auch sei – der Glanz der agnostischen Lösung hält ganz offenkundig näherer Prüfung nicht stand. Als reine Theorie erscheint er höchst einleuchtend, aber Agnostizismus ist seinem Wesen nach mehr als Theorie – die Praxis des Lebens steht dabei zur Frage. (…) Vor der Frage nach Gott ist dem Menschen Neutralität nicht eingeräumt. Er kann nur Ja oder Nein sagen und dies jeweils in allen Konsequenzen bis in die kleinsten Dinge des Lebens hinein.“[5]

Mit den philosophischen Gottesbestreitungen wusste Ratzinger gut und kritisch umzugehen, aber die Naturwissenschaften waren sein Feld nicht.

Musik III

Es gab auch kirchenpolitische Auseinandersetzungen in der und mit der Theologie von Joseph Ratzinger und Benedikt XVI.

Hatte der Professor in den sechziger Jahren heftig gefochten für die Erneuerung der Liturgie nach Maßgabe des Konzils in der Landessprache, so hatte der Kurienkardinal und Papst Entscheidendes dafür getan, die vorkonziliare lateinische Liturgie wieder zu reetablieren. Ja, er wollte der Einheit dienen und die weitere Abspaltung der katholischen Traditionalisten durch ein liturgisches Entgegenkommen und durch die Wiederaufnahme ihrer vier Bischöfe verhindern.

Ihm allerdings aus seiner unglücklichen Formulierung der Karfreitagsfürbitte, wo um die Erleuchtung der Juden gebet wird, und aus der voreiligen Wiederaufnahme von Bischof Williamson, der sich als Holocaust-Leugner entpuppte, einen Antijudaismus anhängen zu wollen, ist nicht anständig. Auch als Kanzlerin Angela Merkel den Papst ermahnte, sich deutlicher von den Holocaustleugnern zu distanzieren, war dies höchst unglücklich.

Als Leiter der Glaubenskongregation beschrieb Ratzinger das Verhältnis von Judentum und Christentum aus seiner auf Christus ausgerichteten Theologie so:

Sprecher:

„Als Christen sind wir davon überzeugt, dass das Alte Testament inwendig auf Christus hin ausgerichtet ist, und dass es seine eigentliche Antwort, seine ganze Zielrichtung erst findet, wenn es von Christus her gelesen wird. Das Christentum ist ja keine andere Religion gegenüber der Religion Israels, sondern es ist das mit Christus neu gelesene Alte Testament.“[6]

Ohne die bleibende Sendung Israels, oder die Bedeutung des Alten Testaments, oder die Tatsache, dass Jesus Jude war, zu bestreiten, sah er, als Dogmatiker, doch gerade in Jesus Christus das Verbindende wie auch das Unterscheidende zwischen Judentum und Christentum:

Sprecher:

„Das Neue Testament ist also nicht etwas Aufgepfropftes. Und unser Verhältnis zum Alten Testament besteht auch nicht darin, dass wir uns sozusagen widerrechtlich etwas, was eigentlich anderen gehört, aneignen. Sondern es besteht darin, dass da wirklich ein inneres Unterwegssein da ist und das Alte Testament ein unfertiges Fragment bleibt, wenn es nicht ins Neue übergeht. Das ist unsere christliche Grundüberzeugung.“[7]

Auch eine plurale Religionstheologie, insoweit sie Gleichwertigkeit aller Religionen behauptet, war seine Sache nicht – eben wegen des Glaubens an Christus. Man mag die an der Dogmatik orientierten Unterscheidungen in einer Hierarchie der Wahrheiten für unzureichend halten. Antijudaismus oder fehlender Respekt vor anderen Religionen war das gewiss nicht.

Ohne das selbst so apostrophiert zu haben, war auch Benedikts Rücktritt 2013 als Pontifex ein amtstheologischer Schritt zu weniger Zentralismus, zu mehr Ökumene und Partizipation in der Kirche, – sein letzter, kirchenpolitisch-lebenspraktischer Beitrag zur Theologie.


Musik IV

In den letzten Jahren, in denen er als „Papa emeritus“ im Vatikan gelebt hat, ist ein nicht zu übersehender und nicht zu übergehender Schatten auf sein Lebenswerk gefallen. So hat er manche seiner früheren als wohltuend fortschrittlich eingestuften theologischen Positionen wieder zurückgestutzt in der Werkausgabe letzter Hand.

Ohne Frage hat er, der von Hause aus kein mutiger Mann war, dennoch als Papst entschieden gegen die Priester und Bischöfe, die sich des Missbrauchs oder seiner Vertuschung schuldig gemacht haben, interveniert. Ob er sich als Erzbischof von München und Freising 1980 selbst in zwei Fällen durch Versetzung der Täter wissentlich oder unwissentlich der Vertuschung schuldig gemacht hat, mag der spätere genauere, weil unaufgeregtere Historikerblick entscheiden.

Ihm, dem ich früh als Professor und spät als Papst begegnen durfte, und der bei der Wahl seiner Ratgeber bis zuletzt nicht immer eine glückliche Hand hatte, möchte ich persönlich dennoch eine große Aufrichtigkeit bescheinigen.

Jetzt hat Josef Ratzinger, Papst Benedikt XVI. gleichsam das Tor ins Jenseits durchschritten. Möge er den Glanz Gottes erblicken, den er auf Erden ersehnt hat und Gottes Barmherzigkeit und Güte erfahren.

Das wünscht ihm Professor Ulrich Lüke aus Münster

[1] Ratzinger, J.: Dogma und Verkündigung. München 1973, 138 f.

[2] Ratzinger, J./ Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. (I. Teil) Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Freiburg/ Basel/ Wien 2007, 22

[3] Ratzinger, J.: Dogma und Verkündigung, München 1973, 392 f.

[4]
Ratzinger, J.: Theologische Prinzipienlehre. Bausteine zur Fundamentaltheologie. München 1982, 193 f.

[5] Ratzinger, J.: Auf Christus schauen. Einübung in Glaube, Hoffnung, Liebe. Freiburg/ Basel / Wien
2006, 20 f.

[6] Ratzinger, J.: Gott und die Welt. Glauben und Leben in unserer Zeit. Gespräch mit Peter Seewald. Stuttgart/ München 2. Aufl. 2000, 127 f.

[7] Ebd. 127 f.

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