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Kirche in WDR 5 | 03.12.2022 | 06:55 Uhr
Warten
Guten Morgen!
Das dauert ja wieder eine Ewigkeit, denke ich. Ich bin mit der Bahn in Köln unterwegs und muss umsteigen. Mist, die Anschlussbahn ist weg. So sitze ich also auf dem Bahnsteig und warte auf die nächste. In fünf Minuten soll sie kommen. Wie die meisten anderen Leute um mich herum, ziehe ich mein Handy aus der Tasche. Ich schaue nach den Mails und Nachrichten. Nix neues. Also stecke ich das Handy wieder in die Tasche und schaue mich um. Die Uhrzeit auf der digitalen Fahrplananzeige ist um fünf Minuten weitergelaufen. Also müsste doch jetzt die Bahn kommen. Aber nichts passiert. Die angegebene Wartezeit auf der Anzeigetafel beträgt immer noch fünf Minuten. Also kommt sie auch heute wieder zu spät. Das dauert ja wieder eine Ewigkeit.
Ich erwische mich dabei, wie schwer es mir fällt, die Wartezeit auszuhalten. Ich bin es in meinem Alltag kaum noch gewohnt, solche leeren Warte-Zeiten zu haben. Irgendwie geht doch alles meist schnell. Oder muss schnell gehen, weil eigentlich keine Zeit ist.
Ich nehme mir Zeit. Ich halte mir Zeit frei. Ich habe Zeit. Und ich finde Zeit für etwas. Ich gehe mit Zeit um, als ob sie mir gehören würde. Ganz so als könne ich über sie verfügen, wie etwa über das Kleingeld in meiner Tasche. Dabei ist sie doch immer da. Die Zeit vergeht, egal ob ich will oder nicht.
In der Bibel heißt es im 31. Psalm: „Meine Zeit, Gott, steht in deinen Händen.“ (Psalm 31,16a, Luther 17) Die Zeit, die mir zur Verfügung steht, meine Zeit, liegt nicht in meinen Händen. Sie steht in Gottes Händen. Gott passt auf sie auf.
Ich kann die Zeit nicht sparen, sie für später aufheben oder alles auf einmal „benutzen“. Ich bin nicht der Herr über meine Zeit oder die Zeit allgemein. Aber ich kann entscheiden, wie ich meine Zeit fülle.
So sitze ich also an der Bahnstation und sehe mich um. So wie ich warten einige hier. Viele haben ihr Handy in der Hand. Eine junge Frau liest ein Buch. Ein älteres Ehepaar scheint sich zu unterhalten. Im Kinderwagen schläft ein Säugling. Und weiter hinten spielen zwei Jungs. Während ich mich so umschaue, reißt mich die Durchsage aus meinen Gedanken. Meine Bahn kommt. Wie? Eben dauerte es doch noch eine Ewigkeit.
In der Bahn lasse ich mein Handy jetzt auch einfach mal in der Tasche. Ich schaue mich weiter um. Erst in der Bahn und sobald wir über der Erde weiterfahren, sehe ich aus dem Fenster. Meine Gedanken hängen noch immer an dem Vers aus der Bibel:
„Meine Zeit, Gott, steht in deinen Händen.“ (Ps 31,16a Luther 17)
Ich finde das beruhigend. Ich bin für meine Zeit nicht alleine verantwortlich. Ich muss mir keine Zeit nehmen, sie nicht freihalten, haben oder finden. Bei Gott ist meine Zeit gut aufgehoben.
Bei all dem Nachdenken habe ich dann die Zeit vergessen und meine Station verpasst.
Eine gute Zeit wünsche ich Ihnen.
Ihr Pfarrer Oliver Mahn aus Köln.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze