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Das Geistliche Wort | 12.02.2023 | 08:40 Uhr

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Als er aus der Zeit fiel

Sprecher: Nach einer Weile stand ich auf und ging durch den Park. Ich kam an einer Bronzestatue von einem Mönch in Kutte vorbei. Das alte Gesicht des Mönches wirkte auf mich diabolisch. Ich bekam Angst! Mich überkam das Gefühl, dass auch die Unterwelt ihre Fänge nach mir ausgebreitet hätte. Alle höheren Mächte schienen nach mir zu greifen.


Autor: Das ist kein Alptraum und auch kein Ausschnitt aus einem Fantasyroman. So klingt es, wenn jemand unter einer schweren Psychose leidet.


Sprecher: Ich ging weiter, verließ den Weg und schlug mich in ein Gebüsch. Ich wollte mich verbergen. Die Natur schien mich vor dem Überirdischen beschützen zu können. Die Wald- und Naturgeister wollten mich auch verbergen. Kobolde halfen mir, mich zu orientieren.


Autor: Jens Jüttner heißt der Mann, der diesen unheimlichen Parkbesuch mit Dämonen und Kobolden erlebt hat. Das war zu einer Zeit als die paranoide Schizophrenie den jungen Rechtsanwalt fest im Griff hatte. 10 Jahre lang war Jens Jüttner psychisch krank. Über diese schwierige Phase seines Lebens hat er später ein Buch geschrieben. Der Titel seiner Erinnerungen: „Als ich aus der Zeit fiel“.


O-Ton: „Ich fand das so ganz schön, die Vorstellung, dass die Zeit ohne mich weiterläuft. Alle anderen gehen ihren normalen Lebensweg weiter und entwickeln sich weiter und ich fühlte mich so, als wär‘ ich da rausgefallen durch meine Krankheit; als würd‘ ich in so einer Blase stecken. Die Welt läuft weiter, nur ich bin außen vor. Alles läuft an mir vorbei. Ich bin also quasi aus der Zeit oder aus der Welt gefallen.“


Autor: Gottseidank ist Jens Jüttner nicht für alle Zeit aus der Welt gefallen. Er hat einen Weg aus der Krankheit herausgefunden. Wie ihm das gelungen ist, welche Menschen ihn dabei unterstützt haben und welche Rolle sein Glaube bei seiner Gesundung gespielt hat, davon hat er mir erzählt.


Musik 1: In my life

Titel: In my life; Album: Rubber Soul, Interpret: The Beatles, Komposition/Text: Lennon/McCartney ; Verlag: Apple Corps. , Label: Apple (Universal Music), Bestell-Nr.: B00GJ7RP2O

Autor: Viele Menschen haben Angst, sich mit psychischen Krankheiten zu beschäftigen. Außerdem gibt es viele Vorurteile gegenüber psychisch Erkrankten. Deshalb ist Jens Jüttner Aufklärung so wichtig. Mich hat interessiert, was die Auslöser für seine paranoide Schizophrenie gewesen sind.


O-Ton: „Das sind verschiedene Gründe. Also bei der Schizophrenie oder bei Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis spielt auch immer die Genetik eine gewisse Rolle. Also man muss eine vererbte Veranlagung für diese Erkrankung haben, und im frühen Erwachsenenalter bricht sie dann aus, wenn irgendein Trigger dazukommt, also irgendein Auslöser. Und Auslöser ist vor allen Dingen Stress. Also stressige, emotional belastende Ereignisse. Alles, was dem Körper Stress auslöst, kann dazu führen, dass es dann zu einem psychotischen Schub kommt und die Krankheit zu Tage tritt. Natürlich kann er auch durch Drogen ausgelöst werden, zum Beispiel Cannabis. THC ist ein häufiger Trigger für Psychosen.“


Autor: Bei Jens Jüttner begann die Erkrankung vor seinem zweiten juristischen Staatsexamen. Damals war er 27 Jahre alt. Bis zu seinem 38. Lebensjahr hatte die paranoide Schizophrenie ihn fest im Griff, mit schwerwiegenden Auswirkungen auf seine berufliche Karriere und auf sein Privatleben. Mehr noch als die Gründe für seine Krankheit hat mich aber interessiert, wie er wieder gesund geworden ist.


O-Ton: „Nach über 10 Jahren wirklich heftigster Krankheit mit unterschiedlichen Phasen war glaub‘ ich wichtig, um wieder zu einem gesunden Leben zurückzukehren, dass man zunächst einmal für sich die Krankheit annimmt, sich eingesteht, dass man krank ist und dann auch bereit ist, sein Leben zu ändern; also sich auf etwas Neues einzulassen und von dem Alten, was bei mir der Job als Rechtsanwalt war, Abstand zu nehmen und sich neu zu orientieren.


Autor: Jens Jüttner arbeitet heute als Ex-In-Genesungsbegleiter für psychisch erkrankte Menschen. Gefragt, was zu seiner Genesung beigetragen hat, nennt er im Rückblick noch etwas Zweites:


O-Ton: Dazu gehört dann auch, dass man eine gute Struktur in seinem Alltag hat, … und … dass man das Gefühl hat, dass das, was man tut, einen Sinn hat. Ich glaube, jeder Mensch braucht eine Aufgabe und wenn man seine Aufgabe gefunden hat und so vielleicht seine Art „Bestimmung“ oder so etwas, dann gibt es ganz viel auch an Zufriedenheit im Leben.


Autor: Das Alte hinter sich lassen und etwas Neues beginnen. Den Alltag strukturieren und eine sinnvolle Aufgabe finden. Um diesen Weg einzuschlagen, um am Ende wieder gesund zu werden, war schließlich noch etwas wichtig:


O-Ton: … wichtig sind stabile Beziehungen, gute Beziehungen zu Freunden, Familie, Partnerin. Dass man da auch wirklich darauf achtet: Mit welchen Menschen umgebe ich mich? Sind das positive Beziehungen für mich? Also eigentlich Dinge, die für jeden Menschen wichtig sind, damit er psychisch gesund bleibt und dass es ihm gut geht.“


Autor: Hinzu kam eine gute medizinische Begleitung: die passenden Therapien und die richtigen Medikamente; Ärzte und Therapeutinnen, mit denen er offen über seine Krankheit sprechen konnte. Mich beeindruckt, wie offen er über seine Geschichte Auskunft gibt und wie er dabei auch unbequemen Fragen nicht ausweicht; zum Beispiel der Frage, ob seine Krankheitszeit auch für irgendetwas gut gewesen ist. Am Ende seines Buches geht er darauf ein.


Sprecher: Natürlich könnte man sagen, dass ich die besten Jahre meines Lebens an die Krankheit verloren habe. In den Lebensjahren von Mitte Zwanzig bis Mitte Dreißig legen andere den Grundstein für ihre Karriere, schauen sich auf Reisen die Welt an oder machen andere faszinierende Erfahrungen. Mich hat in diesen Jahren fast ausschließlich die Krankheit beschäftigt. Trotzdem sehe ich die Zeit nicht als verloren an. Ich habe durch die Krankheit viel über mich und die menschliche Psyche gelernt. (…) Heute geht es mir sehr gut und ich bin zufrieden mit dem Menschen, der ich bin. Auch dies ist schließlich ein Ergebnis der Krankheit. Ich weiß nicht, ob ich glücklicher wäre, wenn mein Leben den üblichen Gang gegangen wäre und ich immer noch als Rechtsanwalt arbeiten würde. Keiner kann sagen, was für ein Mensch dann aus mir geworden wäre. Ich bin mit meiner Vergangenheit im Reinen.


Musik 2: Time after time, Eva Cassidy

Titel: Time after time; Komponist: Rob Hyman; Interpretin: Eva Cassidy; Album: The Best of Eva Cassidy, Track 7; Label: Blix Street Records; LC: 20040


O-Ton: „Für mich war ganz wichtig auf dem Weg zur Genesung, dass ich Altes loslassen konnte; dass ich Dinge hinter mir lassen konnte, die mich verstrickt haben, die mich vielleicht auch noch zurückgehalten haben. Und da, glaube ich, ist auf jeden Fall der christliche Glaube ein guter Weg, weil es ja im Glauben angelegt ist, dass man durch Gebet, durch Bitte um Vergebung der Sünden auch Altes abstreifen kann und immer wieder, eigentlich jeden Tag, die Chance zum Neuanfang hat. Und da gehört dann auch ganz viel Vertrauen zu: dass man, ja, das Vertrauen, hat loszulassen. Vertrauen hat, es wird schon irgendwo hinführen, wenn ich jetzt die alten Bahnen verlasse. Und da hilft es, wenn man glaubt, dass da jemand ist, der ja vielleicht die Kontrolle übernimmt. Dass man selber Kontrolle abgibt und einfach vertraut, und Glauben hat, dass es besser wird.“


Autor: Vertrauen haben. Neben stabilen Beziehungen und der medizinisch-therapeutischen Begleitung spielte auch der Glaube bei Jens Jüttners Gesundung eine wichtige Rolle. Die Art und Weise, wie er vom Loslassen und Neuanfangen spricht, lässt mich an einen Menschen aus der Bibel denken. An Elija, einen Propheten aus dem Alten Testament. Der ist lange Zeit ein sehr erfolgreicher Gottesmann. Auf dem Höhepunkt seines Wirkens besiegt er 400 falsche Propheten im Alleingang. Doch kurze Zeit später wird Elia von einer tiefen Lebenskrise heimgesucht. Auch er fällt aus der Zeit. Lebensmüde legt er sich in der Wüste unter einen Strauch und will einfach nur noch sterben. Ein Psychotherapeut würde bei Elija heutzutage vielleicht eine schwere Depression oder einen Burnout diagnostizieren. Ein Burnout ausgerechnet bei ihm, der doch früher so für seinen Gott gebrannt hat! Elijas Auszeit in der Wüste erinnert mich daran, dass auch der Glaube einen Menschen nicht vor seelischen Krisen bewahrt. Seine Geschichte erzählt aber auch davon, wie ein Mensch wieder aus einer Krisenzeit herauskommen kann.

Musik 3: Meine Zeit steht in deinen Händen. (Sarah Kaiser)

Meine Zeit steht in deinen Händen; Album: Gott ist da – 12 Klassiker von Peter Strauch, Interpret: Andreas Volz, Dania König, Sarah Kaiser, Komposition/Text: P. Strauch; Verlag: Hänssler; Label: SCM Hänssler, LC: 98808


Sprecherin: Lesung 1. Könige 19, 3-7 (Übersetzung BasisBibel)

Da geriet Elija in große Angst. Er sprang auf und lief um sein Leben. So kam er nach Beerscheba
an die Grenze von Juda. Dort ließ er seinen Diener zurück. Er selbst ging noch einen Tag lang weiter – tiefer in die Wüste hinein. Dann setzte er sich unter einen Ginster-strauch und wünschte sich den Tod. »Es ist genug!«, sagte er. »Herr, nimm mir doch das Leben! Denn ich bin nicht besser als meine Vorfahren.“ Schließlich legte er sich hin und schlief unter dem Ginsterstrauch ein. Plötzlich berührte ihn ein Engel und forderte ihn auf: »Steh auf und iss!« Als Elija
um sich blickte, fand er etwas neben seinem Kopf: frisches Fladenbrot und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank, dann legte er sich wieder schlafen. Doch der Engel des
Herrn
erschien ein zweites Mal. Wieder berührte er ihn und sprach: »Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir!«


Autor: Jens Jüttner sprach davon, dass bei seinem Weg aus der Krankheit das Loslassen von alten Überzeugungen eine wichtige Rolle gespielt hat. Der Prophet Elijas verabschiedet sich in der Wüste von dem Aberglauben, dass sein Leben eine One-Man-Show ist. Dieser Abschied fällt ihm nicht leicht. Der hilfsbereite Engel muss ihn gleich zweimal wachrütteln und zum Weitergehen auffordern. Ich finde es wunderbar, dass der Engel in dieser Geschichte keine Wunder vollbringen muss, um Elija zu helfen. Der Engel gibt Elija etwas zu essen. Er bittet ihn weiterzumachen. Er bleibt hartnäckig an seiner Seite. Das sind sehr einfache Hilfen, mit denen man einem anderen Menschen zu einem Engel werden kann. Menschen mit psychischen Erkrankungen können diesen Beistand besonders gut gebrauchen. Zum Glück gibt es berufliche und ehrenamtlich Mitarbeitende, die Menschen mit psychischen Erkrankungen genauso ausdauernd und hartnäckig begleiten wie der Engel den Elija.


Musik 4: Time after time (Miles davis)

Titel: Time after time; Album: You`re under arrest, Interpret: Miles Davis, Komposition/Text: Lauper/Hyman/Everhart; Verlag: Col.; Label: Sony Music; LC 02604


Autor: Alte Überzeugungen loslassen und neue Wege gehen. Das sollte auch unsere Gesellschaft beim Umgang mit psychischen Erkrankungen beherzigen. Psychisch erkrankte Menschen können unserer Gesellschaft viel geben, wenn wir sie mehr teilhaben lassen.

Ich wünsche mir, dass wir in ihnen Menschen sehen, mit denen Gott noch viel vorhat!

Jens Jüttners Wünsche gehen in eine ähnliche Richtung....


O-Ton: „Ich arbeite ja jetzt seit zwei Jahren in einer psychiatrischen Klinik als Ex-In-Genesungsbegleiter, hab die Ausbildung gemacht, und ich finde, das sind ganz tolle Menschen, mit denen ich da arbeiten darf, viele sind schwerkrank, aber ich würde mir wünschen, dass auch andere Menschen mit weniger Vorurteilen und Vorbehalten Menschen mit einer psychischen Erkrankung begegnen .

Dass sie mehr Teil unserer Gesellschaft werden. Sie werden noch zu sehr ausgegrenzt und, ja, dadurch dass die Krankheit, vor allen Dingen Schizophrenie, Psychose aber auch andere Krankheiten, so tabuisiert ist, weiß man so wenig und es gibt so viele Vorurteile. Und, ja, das Stigma, das den Menschen dann anhaftet, dass sie vielleicht irgendwie bösartig, gefährlich oder sonstiges sein könnten, belastet die Menschen sehr.


Autor: Dass Menschen mit psychischen Erkrankungen etwa gewalttätig werden, kommt tatsächlich vor. Aber das sind Ausnahmefälle. Oft aufgebläht von den Boulevardmedien.


O-Ton: Das kann passieren. Das kann auch passieren bei Menschen, die keine psychische Erkrankung haben. Das passiert viel eher bei alkoholisierten Menschen als Menschen mit einer Psychose.


Autor: So Jens Jüttner.


O-Ton: Und es sind immerhin 500.000 Menschen in Deutschland, die mit Psychose oder Schizophrenie zu tun haben. Und die alle dann mit über einen Kamm zu scheren und dafür zu verurteilen, dass die Leute Angst haben und sich kaum auf die Straße trauen, das finde ich schade. Denn ich möchte in einer Gesellschaft leben, wo sich keiner dafür schämen muss, krank zu sein und wo wir offen und tolerant auch mit Menschen umgehen, die vielleicht ein wenig abseits der Norm leben.


Autor: Abseits der Norm passiert viel Gutes. Als Seelsorger mache ich immer wieder die Erfahrung, dass man eine Menge von Menschen lernen kann, die mit psychischen Erkrankungen umgehen müssen. Immer wieder staune ich über die Kreativität, die viele psychisch Erkrankte haben. Denen wünsche ich viel Kraft zum Leben mit ihren Krankheiten und noch viel mehr, dass sie wieder gesund werden! Uns allen wünsche ich einen gesegneten Sonntag mit Zeit für das, was unserer Seele guttut. Ihr Pfarrer Peter Krogull von der evangelischen Kirche in Düsseldorf.


Musik: Badbadnotgood, Time moves slow

Titel: Time moves slow; Album: IV, Interpret: Badbadnotgood, Komposition/Text:
A. Sowinski/C. Hansen/L. Whitty /M. Tavares/S. T. Herring; Verlag: Round hill ; Label: Innovative leisure; LC: 51774


Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

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