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Das Geistliche Wort | 19.02.2023 | 08:40 Uhr

„Kirche nach ´68 – Gemeinschaft und Nahbarkeit“

Guten Morgen!

Heute ist Karnevalssonntag – die Jecken im Rheinland laufen sich warm für den Rosenmontag. Ich selbst muss gestehen: Mir bedeutet der Karneval heute nicht mehr viel. In meiner Kindheit und meiner Schulzeit in Köln aber, ab den späten 1960-er und den 70-er Jahren, da war ich gern dabei. Neben dem Verkleiden und Kamellesammeln war das Highlight für mich die Karnevalssitzung meiner katholischen Kirchengemeinde.

Da war so richtig was los, mit einem Programm über mehrere Stunden. Der Kinderchor trat auf, die Frauengruppe, der Kirchenchor und ein Männerballett. Und zum krönenden Abschluss kam das Dreigestirn: „Seine Deftigkeit“, der „Kölsche Boor“ in Gestalt unseres kräftig gebauten Küsters, „Ihre Lieblichkeit“, der schmale Kaplan als Jungfrau mit Lippenstift und Spiegel und schließlich - winkend und Bützcher werfend – der Herr Pastor persönlich als Prinz Karneval!

Der Soundtrack dazu war natürlich der Kölner Karnevalshit der damaligen Zeit: „M´r losse d´r Dom en Kölle“.


Musik I: Bläck Fööss: „M´r losse d´r Dom en Kölle“


Dass es solch ausgelassene Karnevalsfeiern in unserer Kirchengemeinde gab, war damals erst durch unseren neuen Pastor möglich geworden: 1973 – das ist jetzt genau 50 Jahre her – war er zu uns gekommen. Unter seinem Vorgänger wäre so ein „tolles Treiben“ undenkbar gewesen. Der alte Pastor war ein machtbewusster Mann, der seine Gemeinde autoritär regierte. Und wie ich es heute sehe, unterband er lieber die Begegnungen der Pfarrangehörigen außerhalb des Gottesdienstes, als dass er sie förderte. In meinen Augen ist das ein Zeichen dafür, dass er insgeheim um seine Macht bangte und verhindern wollte, dass sich die Leute untereinander verständigten, Unzufriedenheiten feststellten und womöglich irgendwie aufmuckten. Der Geist der 68er lag ja noch in der Luft: Kritik am Establishment und Aufbegehren dagegen. Das ging auch an der Kirche nicht vorüber.

Schon mit der Ankunft zweier junger Kapläne, noch unter der Ägide des alten Pastors, wehte ein neuer Wind. Die beiden kannten sich aus dem Studienseminar. Der eine wurde in unserer Kirche eingesetzt und der andere in der gerade mal 400 Meter entfernt liegenden Nachbargemeinde. Und sie kooperierten miteinander und organisierten verschiedene Begegnungen zwischen beiden Gemeinden.

Selbst ich als Kind bemerkte, dass sich mit den jungen Kaplänen etwas veränderte: Man sah es schon daran, dass die beiden nicht im schwarzen Anzug herumliefen, wie der Pastor, sondern vergleichsweise leger gekleidet waren und hauptsächlich Cordhosen trugen. Außerdem brachten sie oft ihre Gitarren mit, zum Kommunion- und Beichtunterricht wie auch zum Religionsunterricht. Das war zu meiner Grundschulzeit zwischen 1969 und 1973. Wir Kinder liebten es, mit den beiden zu singen, und nicht nur fromme Lieder, wie in der Kirche. Sondern auch Schmissiges im Sound der 70-er Jahre: „Zeig mir den Platz an der Sonne, wo alle Menschen sich versteh´n“ von Udo Jürgens zum Beispiel.

Unser Kaplan machte uns damals klar: Alle Menschen sind gleich, Nächstenliebe und sich miteinander vertragen, das sind unsere wichtigsten Aufgaben als Kinder Gottes. Und die Sonne im Lied von Udo Jürgens kann man als ein Inbild für Gottes Liebe zu den Menschen und als ein Bild des Friedens und der Gleichberechtigung sehen. Das verstanden wir alle auf Anhieb und ließen uns davon begeistern.

Ich erinnere mich gut, wie ein Junge aus unserer Grundschulklasse, dessen Familie wahrlich nicht auf der Sonnenseite des Lebens stand, dieses Lied vor Freude geradezu glühend mitsang, während unser Kaplan auf der Gitarre Akkorde schrammelte.

Gerade diesen Kindern, über die der bürgerlich orientierte Pastor eher hinwegsah, boten die beiden jungen Kapläne etwas ganz Neues: Nämlich Unvoreingenommenheit, gepaart mit Zuwendung und „Erreichbarkeit“. Bald rissen sich alle darum, neben ihnen her laufen zu dürfen, wenn sie uns auf Klassenausflügen begleiteten. Es war einfach richtig toll mit den beiden jungen Kaplänen!


Musik II: Udo Jürgens: „Zeig mir den Platz an der Sonne“


Ich möchte nicht behaupten, dass die beiden jungen Kapläne typische „68er“ waren. Aber immerhin hatten sie die Studentenaufstände hautnah erlebt. Denn auch die Priesterseminare waren davon nicht unberührt geblieben. Die angehenden Priester boykottierten ebenso wie die „weltlichen“ Kommilitoninnen und Kommilitonen die Vorlesungen, druckten Flugblätter und forderten ihre Professoren und Ausbilder zu Diskussionen heraus, die bislang in theologischen Fakultäten noch nicht geführt worden waren. Und die jungen Priester, die bereits im Amt waren, stellten sich häufig auf die Seite der Jugendlichen ihrer Gemeinden. Vor allem auf die Seite der Jugendlichen, die bereits Sympathien für einige Inhalte der Studentenproteste zeigten – ganz zum Schrecken ihrer Eltern. Das führte nicht selten zu Streit mitten in den Familien.

Aber nicht nur in den Familien gab es Reibereien, sondern auch in der Kirche: Es ging um die Forderung nach einem Abbau von Machtstrukturen und einem Mehr an echter Demokratie. Auf dem Katholikentag in Essen im Jahr 1968 zum Beispiel hatte das Aktionskomitee „Kritischer Katholizismus“ eine Pastoralsynode gefordert. Ähnlich wie beim synodalen Weg heute sollte das eine Zusammenkunft sein von Bischöfen, Ordensleuten und Vertretern von Laienorganisationen aus allen Bistümern der katholischen Kirche in der damaligen BRD. Auf ihr sollte es darum gehen, wie die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils in Deutschland umgesetzt werden könnten – vor allem: Wie könnte das gesamte „Volk Gottes“, zu dem nicht nur Kleriker, sondern auch alle gläubigen Laien gehören, gemeinsam für die Sendung der Kirche Verantwortung übernehmen?[1] Eine Frage, die auch heute noch, 55 Jahre später, immer wieder ein Thema ist. Der Synodale Weg ringt ja genau darum und macht hoffentlich die Erfahrung, so wie damals gemeinsam und auf gegenseitiger Augenhöhe unterwegs zu sein und im Gespräch zu bleiben.


Nach der Initialzündung auf dem Katholikentag 1968, fand dann tatsächlich von 1971 bis 1975 in Würzburg die von den kritischen Katholiken geforderte Synode statt; eine Zusammenkunft von über 300 Teilnehmern – darunter immerhin 140 Laien – aus allen Bistümern der damaligen BRD. Bei den Abstimmungen über die Beschlüsse von Würzburg hatte das Votum der Laien dasselbe Gewicht wie die Stimmen der Geistlichen.[2] So etwas hatte es bis dahin noch nie gegeben: eine echte Gleichberechtigung von Klerikern und Laien, von Männern und Frauen in der Kirche! Einige Beschlüsse der Synode wurden sogar zu entscheidenden Weichenstellungen für die Zukunft der Kirche. Und einer der größten Erfolge überhaupt war, dass die „Amtskirche“ und das „Kirchenvolk“ miteinander ins Gespräch gekommen waren. Die Kleriker hatten sich ansprechbar und „nahbar“ gezeigt für die Probleme der Gläubigen – und ihnen zugehört.


Musik III: Peter Janssens, Intro (Von der LP: Wir haben einen Traum.)


Was in unserer Gemeinde geschah, geht wohl zu einem guten Teil auf die Impulse durch die Würzburger Synode zurück: Als 1973 unser alter, hochwürdiger Herr Pastor starb, kam der neue, der spätere Prinz Karneval in unsere Gemeinde. Er trug zwar keine Cordhosen wie die Kapläne, aber er zeigte sich leutselig und gesellig, ohne dabei sein Ansehen als Respektsperson zu verlieren. Und er setzte sich dafür ein, dass die Menschen in der Gemeinde mehr zusammenfanden.

Ab nun wurde bei uns gefeiert, und das nicht nur an Karneval. Sondern auch in den Gottesdiensten brach etwas auf: Sie wurden lebendiger, waren weniger starr. Zahllose Gruppen bildeten sich, die sich gegenseitig unterstützten und in ihrer Zielsetzung ergänzten: Nämlich Gemeinde und Gemeinschaft zu leben, als eine große Pfarrfamilie, wie es damals hieß. Es ging darum, Freude und Feste miteinander zu teilen und dem Pastor auf Augenhöhe zu begegnen. Wahrscheinlich war das der Grund, ihn umso mehr zu schätzen.

Sicher ist meine Euphorie, mit der ich von dieser Zeit erzähle, unüberhörbar. Und vielleicht klingt es auch ein bisschen zu sehr nach einer „guten alten Zeit“. Denn ich weiß natürlich sehr gut, dass gerade damals absolut nicht alle Kinder- und Jugendlichen solch positive Erfahrungen gemacht haben, sondern dass sie Opfer von Missbrauch und sexueller Gewalt innerhalb kirchlicher Strukturen wurden.

Und gleichzeitig gab und gibt es auch heute noch durchaus Gemeinden, in denen sich die Menschen füreinander engagieren, wo christliches Leben in der Gemeinschaft spürbar wird, wo miteinander gefeiert wird und wo es Pastöre gibt, die nahbar und aufgeschlossen sind, eben echte Seelsorger.

Aber strukturell ist zurzeit so viel im Umbruch und ich frage mich, ob es auf Dauer gelingen wird, das Gemeinschaftsleben und Gemeinschaftserleben in den Gemeinden aufrechtzuerhalten. Die Zusammenlegung der Gemeindebezirke zu immer größeren Seelsorgeeinheiten bis hin zu den „Sendungsräumen“ in meinem Heimatbistum Köln bringt unweigerlich eine Entfernung mit sich zwischen Seelsorgern und den Gläubigen. Ganz einfach, weil man sich kaum noch sieht und kennt. Im schlimmsten Fall wird aus der Entfernung sogar eine Entfremdung. Und das gilt nicht nur für das Verhältnis zwischen den hauptamtlichen Seelsorgern und den Gemeindemitgliedern, sondern auch für das Verhältnis der Gemeindemitglieder untereinander. Und was wird sein, wenn es schließlich nur noch ein paar Pastöre gibt, die alles entscheiden sollen? Sind wir dann wieder in der Zeit vor der Würzburger Synode, wo der einzelne, seltene Pastor machtbewusst seine Gemeinde autoritär regiert, weil er keine Kontakte mehr zu den Menschen in der Gemeinde hat?


Musik IV: Herbert Grönemeyer, Mensch


Natürlich haben wir heute andere Bedingungen als in den 1960-er und 70-er Jahren, in denen ich meine erste kirchliche Sozialisation erhalten habe. Damals gab es weder Priestermangel noch die scharenweisen Kirchenaustritte. Wenn Gemeinden sich aber nun ausdünnen und zusammengelegt werden, wenn Strukturveränderungen nicht nur territorialer Art notwendig werden, müssen neue und müssen andere Gemeindekonzepte her.

Und dann wird es ganz wichtig sein, Laien – Frauen wie Männern – an entscheidenden Positionen mehr Befugnisse einzuräumen, um Gemeinden und damit christliches Leben mehr mitzugestalten. Vor allem aber denke ich, es geht letztlich nicht nur um Ämter und ihre Besetzung, sondern es geht darum, einander zuzuhören und für den anderen „nahbar“ zu bleiben. Das ist der Schlüssel für die Zukunft der Kirche als Gemeinschaft.

Die offene Kommunikation. Sie war einer der Haupterfolge der Würzburger Synode in den 1970-er Jahren. Sie eröffnet den Weg für eine Kultur des Austauschs und damit den Neugewinn von verlorenem Vertrauen.

Ohne wechselseitiges Vertrauen ineinander und Empathie füreinander wird es nicht gehen, gesellschaftlich nicht und schon gar nicht kirchlich.

In der Hoffnung, dass Zuversicht und Zugewandtheit die derzeitigen Veränderungen und Umbrüche in unserer Kirche begleiten grüßt Sie sehr herzlich

Dorothee Haentjes-Holländer aus Bonn.


Musik V: Peter Janssens, Ouvertüre (Von der LP: Franz von Assisi)



[1] Vergl. Demel, Sabine: „Die Würzburger Synode – ein unübertroffenes Vorbild für dialogische Strukturen in der katholischen Kirche“, in: Demel, Sabine: „Handbuch Kirchenrecht. Grundbegriffe für Studium und Praxis“, Freiburg 2010, S. 240 – 244. http://imprimatur-trier.de/2011/imp110602.html, abgerufen am 29.12.2022.

[2] Ebd.

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