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Das Geistliche Wort | 09.04.2023 | 08:40 Uhr

Krieg und Frieden

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer!

Guten Morgen! Und zunächst Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Osterfest!

Es fällt mir nicht leicht, als Katholischer Militärbischof heute Ostern zu feiern, das Fest vom Sieg des Lebens über den Tod. Denn der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wirft seit über einem Jahr einen langen Schatten auf die ganze Welt. Dieser Schatten wird noch länger, wenn ich an die weiteren Kriege und mörderischen Konflikte denke, die unsägliches Leid über ganz viele Menschen weltweit bringen. Für mich ist Krieg wie der Schatten von Karfreitag. Er bringt so viel Dunkelheit, dass viele Menschen kaum noch an das Licht glauben können. Erst vor kurzem habe ich erlebt, wie weit der Schatten von Krieg und Tod reicht – bis hierher nach Deutschland.


Musik I: Johann Sebastian Bach, Johannespassion, BWV 245: Herr unser Herrscher


Es war im vergangenen November. In meiner Aufgabe als Katholischer Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr habe ich mit weiteren Verantwortlichen einen Gedenkstein enthüllt, und zwar in der Nähe von Berlin, in Schwielowsee bei Potsdam beim Einsatzführungskommando der Deutschen Bundeswehr. Dieser Gedenkstein war während der Jahre der schrecklichen Konflikte im Norden Afghanistans in einem Zeltlager der deutschen Soldatinnen und Soldaten in Massa-e Sharif aufgestellt. An diesem Stein wurde damals immer wieder um den Frieden gebetet. An ihm wurde um die gefallenen Soldaten geweint und geklagt. An ihm wurde ein Zeichen dafür gesetzt, niemals nachzulassen, unbedingt für den Frieden einzutreten und dafür zu arbeiten.

Mir persönlich bleibt dieser Stein unvergesslich. Denn kurz nach meiner Ernennung und Einführung als Katholischer Militärbischof hatte ich im Jahr 2011 Soldatinnen und Soldaten der Deutschen Bundeswehr dort in Afghanistan besucht. Damals dauerten die Kampfeinsätze am Hindukusch bereits 10 Jahre, und viele Auseinandersetzungen eskalierten mehr und mehr. Dabei hatte es auch verschiedene Anschläge auf deutsche Soldaten gegeben, bei denen Opfer zu beklagen waren. Damals stand ich an diesem Stein in Massa-e Sharif. Neben mir ein ranghoher Soldat, der einem solchen Anschlag entkommen war, nicht jedoch einige der Soldaten, die u. a. für seine Sicherheit abgestellt waren. Wir standen still nebeneinander. Wir hielten im Gedenken an die Toten inne und beteten sehr still und dann mit einem gemeinsamen Vater Unser für die gefallenen Soldaten und ihre Angehörigen und alle von diesem Konflikt Betroffenen. Das werde ich nie vergessen. Vor allem nicht das Gesicht des ranghohen Soldaten, der neben mir stand und die mörderische Gewalt der anderen überlebt hatte.

Seitdem habe ich immer wieder an solchen Gedenksteinen gestanden und gebetet für Verletzte, Tote, Gefallene, Ermordete, Gefolterte und für die vielen Verstorbenen ohne Namen. Selten habe ich allein da gestanden und gebetet, fast immer war ich da mit anderen zusammen.

Diese Gedenksteine stehen überall auf der Welt in verschiedenen Größen, manchmal ganz offiziell für Feierlichkeiten und öffentliches Gedenken, viele aber ganz einfach auf von Gräbern von erschossenen, brutal gefolterten und getöteten Menschen. An diesen Steinen weinen Menschen, klagen und trauern, bitten um Frieden, recken ihre Hände gen Himmel, halten einander fest. Wie viele Tränen dort vergossen, wie viele Not in Worten oder stumm zum Himmel geschrien worden sind, das ist alles unzählbar und nahezu unvorstellbar – und es bewegt mich.


Musik II: Johann Sebastian Bach, BWV 245a: Himmel reiße, Welt erbebe


All` die Not der Opfer von Krieg und Zerstörung drückt sich für mich in einem zentralen Satz aus, den Jesus mit einem Schrei am Kreuz ausgedrückt hat (Ps 22,2): „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Bedrückender kann die existentielle Not eines Menschen kaum beschrieben werden. Und für mich ist dieser Schrei wie die Antwort Jesu auf ein Wort des römischen Stadthalters Pilatus im Evangelium des Johannes. Pilatus hatte Jesus foltern lassen und führte ihn der geifernden und schreienden Volksmenge vor mit dem Hinweis (Joh 19,5): „Ecce homo – Seht, der Mensch.“

„Ecce homo!“ Das können wir heute hunderttausendfach sagen, wenn es um die Opfer von Krieg, Verbrechen, von Not und Leid geht. Wir können es sagen mit ganz vielen und für ganz viele, können weinen, beten und klagen, zu Gott schreien und rufen, – aber auch verstummen.

Es geht immer um den Menschen in seinem Leiden, wie immer es auch aussieht. Es geht um den Blick auf den Menschen: auf den leidenden, verwundeten, getöteten Menschen. Entsetzt von der rohen Gewalt, die ihn geschlagen, oft auch umgebracht hat. Die gestorbenen und verstümmelten Menschen dürfen hinter den Nachrichten und Zahlen von Getöteten in Kriegen und anderen Auseinandersetzungen niemals verschwinden.

Daher ist es so wichtig, an der Seite der Angegriffenen und der Stummen zu stehen, um sie nicht zu vergessen und um die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Alle getöteten Menschen haben ihr eigenes Recht, ihre eigene Geschichte, ihr unverwechselbares Gesicht. Sie alle werden sichtbar am „Ecce homo“, am leidenden Jesus von Nazareth vor Pilatus und dem Volk.


Musik III: Johann Sebastian Bach, Johannespassion, BWV 245: Erwäge wie sein blutgefärbter Rücken


„Ecce homo – Seht, der Mensch.“ Eine Frau, die Jesus bis unter das Kreuz begleitet hatte und von seinem Leiden geprägt war, ist Maria Magdalena. Sie ist es auch, die in der Frühe des ersten Tages der Woche zum Grab Jesu geht und sich, wie die anderen Frauen gefragt haben mag: Wer wälzt wohl den Stein vom Grab weg? Ich verstehe den Stein nicht bloß als den Stein vor dem Grabe Jesu, sondern als den Stein der Klage, der Trauer, der Tränen und der Verzweiflung. Als Maria dann in der Dunkelheit zum Grab kommt, sieht sie, dass der Stein bereits vom Grab weggenommen ist (vgl. Joh 20,1), doch kann sie das Ganze noch nicht verstehen. Sie bleibt mit ihrer Trauer um Jesus, dem Ecce homo, am Grab stehen (vgl. Joh 20,1.2-9.10) – allein und in sich verschlossen, als wäre sie selbst mitbegraben. Es bedarf auch bei ihr anderer Personen, die ihr zur Seite stehen. Es heißt: Maria habe sich ins Grab gebeugt und zwei Engel im Grab gesehen, die sie fragten: Warum weinst Du?

Und genau das ist die wunderbare Geschichte voll von Leben, die hier einsetzt. Sie zeigt Jesus, den Ecce homo, in einem ganz neuen Licht. Denn da erscheint ihr ein Mann, von dem sie glaubt, es sei der Gärtner. Jesus, den sie so oft gesehen hat, erkennt Maria Magdalena in ihm nicht. Dann aber spricht er sie mit ihrem Namen an: Maria! „Da wandte sie sich um und sagt auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, d. h.: Meister.“ (Joh 20,16). Sie erkennt Jesus im Hören. Durch die Beziehung, die dadurch entsteht, dass sie bei ihrem Namen genannt wird, lernt sie neu zu sehen und zu verstehen. Ja, mehr noch: Sie lernt Jesus neu zu lieben, denn genau genommen bedeutet ihre Antwort „Rabbuni“, „mein lieber Meister“. Der, der alles Leiden auf sich genommen und ausgetragen hat, gibt sich zu erkennen durch die Beziehung, die er zu Maria Magdalena aufbaut. Ihr Name dringt in ihr Herz und macht auf neue Weise deutlich, in welcher innigen Beziehung beide miteinander stehen. Hier wird im Namen das Menschliche hörbar. Und es ist nicht nur Jesus, der zu neuem Leben auferstanden ist, sondern auch Maria Magdalena erwacht zu neuem Leben. Sie wird mit allen Fasern ihres Herzens und Körpers wieder lebendig. Es ist darum mehr als sinnenfällig, dass im Evangelium der Stein vom Grab weckgewälzt ist. Das letzte Wort hat das Leben.


Musik IV: Johann Sebastian Bach, Oster-Oratorium, BWV 249: Adagio


Gottes Güte und seine Kraft sprechen am Ende das Wort des Lebens – durch den, der das Herz des Menschen anrührt und damit neues Leben schenkt, durch Jesus Christus. Genau das feiern Christen am heutigen Osterfest: Mensch, du bist von Jesus bei deinem Namen gerufen, damit du herauskommst aus dem Grab deiner Verzagtheit, Angst und Traurigkeit. Jesus will in eine Beziehung mit dir treten.

Und genau dies zeigt sich mit einem andern Wort, das Jesus als Auferstandener immer wieder seinen Jüngern – und damit letztlich auch uns – zuruft: „Der Friede sei mit euch“ (vgl. Joh 20,21 u.a.). Am Wort vom Frieden erkennen die Jünger das Leben. Da hören sie auf zu klagen. Oder, um es mit einem Vers aus dem Buch der Psalmen zu sagen (Ps 30,12): „Da hast du mein Klagen in Tanzen verwandelt, mein Trauergewand hast du gelöst und mich umgürtet mit Freude.“ Und ich würde am heutigen Ostersonntag sagen: „Halleluja!“

Weil es um diesen österlichen Frieden geht, der den Jüngern, Maria Magdalena, aber zugleich jedem Menschen und jedem Volk zugesagt ist, geht es ebenso heute darum, alles zu tun, was dem Frieden dient. Was an Ostern geschehen ist, das ist doch eine Verpflichtung: Wir müssen im Namen der Menschlichkeit überall diesen Frieden einfordern und dafür eintreten.

Wir sehen es doch in der Ukraine. Die Menschen dort verteidigen zu allererst sich selbst: ihre physische Existenz, ihr Recht auf Selbstbestimmung, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, vor allem, damit sie in Zukunft frei und sicher leben können. Bei diesem Kampf ist klar: Alle in der Ukraine kämpfen um und für ihre Freiheit. Aber Waffen allein werden diesen Frieden nicht schaffen. Und auch kein Sieg über den Gegner wird schon wirklich Frieden bringen. Es ist aber alles zu tun, was dem Frieden dient, auch wenn wir noch nicht sehen können, wie er aussehen wird.

Dabei können wir als Kirche und als Christinnen und Christen auf etwas sehr Wesentliches hinweisen. Und das führt mich noch einmal zurück zu dem Statthalter Pilatus. Er war es nicht nur, der den Blick auf den Menschen richtet in seiner Endlichkeit und Begrenztheit im Sinne von: „Ecce homo“. Pilatus stellt Jesus auch die Frage der Fragen und macht deutlich, dass auch er sich selbst seiner Sache nicht ganz sicher ist (Joh 18,38): „Was ist Wahrheit?“ Auch Pilatus, dieser Machtmensch, kommt nicht um die Frage nach der Wahrheit herum und zeigt, dass auch in ihm ein unruhiges Gewissen ist. Wer die Frage nach der Wahrheit stellt, der hat im Innersten noch eine letzte Ahnung von der Würde eines jeden Menschen, die unantastbar ist. Selbst dann, wenn sie mit Füßen getreten wird. Und deshalb ist es wichtig, immer wieder die Frage nach der Wahrheit zu stellen. Denn von der Wahrheit heißt es an einer anderen Stelle im Johannesevangelium

(Joh 8,32): „Die Wahrheit wird euch frei machen.“


Musik V: Johann Sebastian Bach, Osterkantate, BWV 12: Sinfonia


Ostern spricht die deutliche Sprache des Lebens, des Friedens, der Wahrheit und der Freiheit. Allerdings müssen wir Menschen uns öffnen, um diese Sprache zu hören, weil sie uns von Gott zugesagt wird. Es ist wie die Ansprache Jesu an Maria Magdalena. Sie erkennt ihn zunächst nicht, hält ihn für den Gärtner. Aber das Wort, das er spricht und die einzigartige Beziehung zu ihr ausdrückt, nämlich ihr Name, lässt sie erkennen: Ecce homo, Jesus, der Gefolterte, lebt und hat das Leid überwunden. Diese Erkenntnis geschieht durch ein im Tiefsten berührtes Herz und zeigt sich in ihrer liebenden Antwort: „Rabbuni!“ Maria Magdalena wurde durch den Anruf ihres Namens verändert, denn sie hatte ein hörendes Herz, das sich berühren ließ vom auferstandenen Jesus.

Aber lässt sich das so einfach auf uns Menschen von heute übertragen? Wahrscheinlich bedarf es auch noch des Anrufes Jesu, damit das eigene Herz überhaupt hörend wird und sich berühren lässt. Und da kommt für mich die Hoffnung ins Spiel, dass Gott selbst es ist, der den Menschen für seinen Anruf noch öffnen muss.

Hier liegt der tiefste Grund meines Glaubens an Jesus Christus, den gekreuzigt Auferstandenen. Hier ist der Grund für die friedenswirksame Gegenwart Gottes selbst, damit in seinem Geist „Friede auf Erden“ werde. Ich vertraue darauf, dass Gott das Gute im Menschen vollbringen kann. Und deswegen will ich von Ostern her immer wieder an das Recht jedes Menschen auf sein unersetzbares Leben erinnern und darauf setzen, was bleiben soll: Das Leben und nicht der Tod, das Wort von der Freiheit und nicht der Schrei der gequälten Verlassenheit!

So feiere ich in diesem Jahr Ostern mit großer Nachdenklichkeit. Mein Glaube will sich – gerade auch in der Not – immer wieder vom Auferstandenen anreden lassen, überzeugt davon, dass die Steine, auch die Gedenksteine, von unseren Gräbern weggewälzt sind, weil nicht das Wort vom Tod, sondern das Wort vom Leben das letzte und wirkmächtigste ist, das gesprochen wird.

Darum singen wir heute auch den großen Gesang des österlichen Halleluja, das Wort von der Größe Gottes! Es ist jener Gesang, der daran erinnert, dass jeder Tag, den wir leben, eine Tür sein kann, durch die Licht fällt zu einer unerwarteten Begegnung mit dem Fremden, der uns anspricht, damit wir, wie Maria Magdalena, Jesus, den gekreuzigt Auferstandenen, erkennen als den, der lebt. An Ostern haben das Leben und der Friede das letzte Wort.

Und so stehe ich heute, an Ostern, im Geiste an den Gedenksteinen für die Toten aller Zeiten mit den klagenden Worten eines Ecce homo. Aber ich stehe dort auch mit dem Glauben an Gott, der lebt und liebt. Das ist der Glaube, der hilft, die Welt in einem neuen Licht zu sehen und zu hören, was frei macht: Der Friede, der von Gott kommt und das Leben ganz bestimmen will. Diesen Frieden wünsche ich Ihnen von Herzen.

Ihr Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen


Musik VI: Johann Sebastian Bach, Oster-Oratorium, BWV 249: Sinfonia



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