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Kirche in WDR 5 | 25.06.2024 | 06:55 Uhr
Königsmacher
Guten Morgen.
Ein Morgen im Juni. Die Kastanien haben ihre weißen Blüten schon abgeworfen. Es riecht nach frischer Erde und ein bisschen nach Kuhfladen. Die Sonne brennt vom Himmel.
Die große, raue Hand ihres Opas umschließt die kleine von Ella: groß und warm ist sie und ein wenig glitschig vom Schweiß.
Ella trägt ihr schönstes Kleid. Es ist weiß mit goldenen Samtstreifen. Sie lässt die Finger darüber gleiten. So schön weich. Ein goldenes Kleid… und Ella fühlt sich wie eine Prinzessin.
Sie stolziert an Großvaters Hand über die Festwiese. Es gibt gebrannte Mandeln und Waffeln, rosa und weiß gefüllt. Für fünf Mark die Tüte. Sie mag am liebsten die mit Schokolade drumherum. Und weil Ellas Opa Ellas Opa ist und sie seine Enkeltochter bekommt sie eine ganze Tüte mit Waffeln. Nur für sich.
Überhaupt, der Opa: Er sieht so anders aus. Sonst trägt er seinen Cordhut und die blaue Drillichhose und das karierte Hemd. Den blauen Arbeitskittel darüber, wenn er aus dem Stall kommt. Und er riecht- nicht nur ein bisschen - nach Kuhfladen. Aber an diesem Tag im Juni, da trägt er eine grüne, festliche Jacke; eine ordentliche Tuchhose und einen grünen Hut auf dem Kopf. Die Brust seiner Jacke wiegt schwer vor lauter Orden. Er geht stolz über den Festplatz mit seiner Enkelin an der Hand. Die Blasmusik spielt und der Himmel zeigt sein schönstes Blau und es ist warm. Es ist Schützenfest auf dem Dorf.
Am Stand werden die Gewehre ausgegeben und dann wird geschossen: Wieder und wieder auf den Königsadler. Das Publikum zittert und applaudiert. Ella weiß: Wer den Adler von seiner Stange schießt, der wird König. Immer wieder geht es hin und her; immer wieder kommt auch der Großvater dran. Zielt, schießt…. und einen kleinen Moment denkt Ella: „Jetzt, jetzt muss er doch treffen und dann wird er König.“ Und sie denkt auch: „Und wenn mein Opa König ist, dann bin ich doch mindestens Prinzessin…“. Doch er trifft nicht. Nie trifft er. Und die anderen auch nicht. Und schließlich, da holt ein anderer den Adler von seiner Stange. Einer, der irgendwie nicht ganz grade geht. Man könnte sagen, er schwankt schon. Er hat – das ist offensichtlich – ordentlich Bier und Köm zugesprochen: lacht laut und seine Kumpel mit ihm, und sie gießen ihm immer wieder nach. Jetzt wird er umringt und seine Kameraden klopfen ihm auf die Schultern. Er ist jetzt der König. Und alle Prinzessinnen-Träume zerplatzen mit diesem einen Schuss.
Später, als er Ellas Tränen trocknet, erklärt es der Opa ihr: Der
andere, der hatte übers Jahr ganz schön das Maul aufgerissen und immer wieder
geprahlt. Hatte auf Vereinskosten gesoffen und auf den König geschimpft, weil
der seiner Meinung nach so geizig war. Denn, was Ella nicht wusste: der
Schützenkönig in dem Dorf, der muss den anderen an manchen Tagen die Zeche
zahlen.
Dafür sind die anderen so fair
und trinken dann nicht so viel.
Aber der, der jetzt König geworden ist, der hatte sich nicht dran gehalten. Der hat so viel gesoffen wie es ging auf Kosten des Schützenkönigs. Unfair. Und dafür haben sie ihn dann jetzt zum König gemacht. König für ein Jahr.
Ella ist später noch oft auf Schützenfesten, aber dieses hat sie nie vergessen.
Als Opa nicht der Schützenkönig wurde.
(Ende WDR 4, Verabschiedung für WDR 3 und 5: )
Es grüßt Sie, Pfarrerin Anneke Ihlenfeldt aus Gummersbach.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze