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Kirche in WDR 5 | 28.06.2024 | 06:55 Uhr
Christopher Street Day (CSD)
Guten Morgen.
Jason und Florin haben Gold gefunden.
Im Keller, bei den Weihnachtssachen.
Als sie eigentlich auf der Suche nach einem Ort sind.
Für sich. Für heiße Küsse und mehr.
Da sind sie in den Keller gegangen.
Denn bei Florin ist kein Platz: vier Geschwister, zwei Meerschweinchen und die Mama in einer Bruchbude.
Bei Jason noch viel weniger. Da rastet der Papa aus, wenn er Florin sieht.
Oder wenn er zu viel getrunken hat.
Aber Jason und Florin haben Gold gefunden.
Im Keller.
Bei den Küssen und vor allem bei dem Mehr.
Bei dem Stöhnen, den hektischen, den noch neuen Bewegungen... da ist es aus dem Regal gekullert.
Das Gold.
Sie haben gar nicht darauf geachtet.
Nur auf sich. Und auf die Lust, die entsteht, wenn man
berührt, streichelt, küsst.
Hinterher haben sie es dann gesehen.
Als die Welt langsam wieder in den Keller sickerte.
Sie waren noch ganz außer Atem.
Da war Gold – in einer Spraydose.
„Für innen“ steht drauf.
Und sie müssen lachen.
Jason nimmt die Dose und sprüht eine goldene Wolke auf die unverputzte Wand.
„Geht noch“, sagt er zu Florin.
Dann lehnt er sich zurück und die beiden machen einen Moment die Augen zu.
Jason und Florin haben Gold gefunden.
Sprühgold für innen.
Und sie sprayen ihr Gold wie Liebe in die Welt.
In ihren Stadtteil. Brennpunkt sagen manche dazu.
Sie schreiben ihre Namen auch auf den Weg.
„Jason und Florin ist gleich love forever.“
Neben der Hundescheiße stehen jetzt ihre Namen.
Neben den Fenstern, in denen Frauen abends sitzen und Liebe ab 30 Euro verkaufen, da haben Jason und Florin ihre Namen getaggt.
Und in den Engel, den ein Künstler vor die Kirche gemalt hat.
Der ist schon lange dort. Mit leeren Händen.
Jetzt hat er Jasons Namen in den Händen.
Und „Love forever“.
Und Jason träumt vielleicht von einer Hochzeit so wie im Fernsehen.
In einer großen Kirche. Vielleicht so eine mächtige rote Kirche, wie sie an der Hauptstraße steht. Eine Hochzeit.
Mit Musik und Spitze und Seide.
Und jeder blickt auf ihn – Jason -, wenn er den Raum betritt.
Auch Papa.
Und Florin träumt auch:
von einem weißen Engel.
Wenn er Jasons Hände sieht. Noch mit Sprühgold drauf.
Und sie träumen jeder für sich und beide gemeinsam von „Ja, ich will“
Und „love forever“.
Und dass alles einmal perfekt ist und schön und warm. Und die Welt mit Hundescheiße und Nuttenfenstern und Alkohol bleibt draußen.
Davon träumen Jason und Florin: Ein Tag, den Gott gemacht hat.
Mit Kirche und Seide und Liebe.
„Jason und Florin ist gleich love forever“, das steht jetzt in den Händen des Engels.
Der Küster und die Pfarrerin schauen es sich an.
Ärgerlich, dass jemand das Kunstwerk verschandelt hat.
Der Küster wiegt den Kopf.
„Sprühgold“, sagt er. „Wie zu Weihnachten.“
Dann wischt er sich den Schweiß von der Stirn und schaut in den Himmel.
„Wenn wir Glück haben, ist es Sprühgold für drinnen. Dann wäscht es der Regen ab.“
Aber heimlich denkt er „Hoffentlich lässt der Regen noch etwas auf sich warten.“
Er mochte die leeren Hände des Engels noch nie.
Es grüßt Sie, Pfarrerin Anneke Ihlenfeldt aus Gummersbach.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze