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Kirche in WDR 5 | 18.07.2024 | 06:55 Uhr
Auf einmal mitten im Krieg
Die Vorfreude war groß. Eine Studienreise nach Israel. Neun Tage zu Fuß durch Galiläa, die judäische Wüste und Jerusalem auf den Spuren Jesu. Am 3. Oktober fliegen wir von Münster nach Tel Aviv. In den ersten Tagen gibt es viel zu sehen und zu staunen: Nazareth, die Stadt in der Jesus aufwuchs, Kana, wo er sein erstes Wunder wirkte, oder der See Genezareth, an dem Jesus seine Jünger berufen hat und das Brot teilte. Endlich an den Stätten, deren Namen ich nur aus der Bibel kannte. Am Abend des vierten Tages sollte der Ort Jardenit besucht werden. Eine besondere Stelle am Jordan, an der an die Taufe Jesu gedacht wird. Deshalb erneuern hier viele Christen ihre Taufe. Daheim stehen zwei Taufen an in meinem Freundeskreis. Und so wollen wir unbedingt Jordanwasser mitnehmen von dieser besonderen Stelle. Die Enttäuschung ist riesig, als wir erfahren, dass die Stelle bereits geschlossen ist, wegen des Schabbats.. Davon lassen wir uns aber nicht entmutigen. Wir machen uns auf den Weg und gelangen schließlich etwas abenteuerlich durch ein Loch im Zaun ans Ufer des Jordans. Freudig füllt fast die gesamte Reisegruppe sich etwas von diesem Wasser in ihren Trinkflaschen ab.
Am nächsten Tag steht der
Höhepunkt der Reise an. Eine achtstündige Wanderung durch die judäische Wüste.
Schon im Dunkeln machen wir uns auf den Weg. Und nach einer kurzen Zeit erleben
wir in der Wüste einen atemberaubenden Sonnenaufgang, den ich meinen Lebtag
nicht vergessen werde. Nach einem langen Marsch sehen wir aus der Ferne die
Stadt Jerusalem und machen im Schatten einer Höhle Rast. In diesem Moment
werden Raketen vom israelischen Iron Dome abgefangen. Wir sehen Hubschrauber
und hören in der Ferne Gewehrfeuer. Als wir mit dem Bus zurück zu unserem
Kibbuz fahren und als unsere Smartphones wieder Empfang haben, wird
es bittere Gewissheit: Wir haben
den Ausbruch eines Krieges miterlebt. Israel
wurde von der Terrororganisation Hamas angegriffen. Nach und nach wurde uns
durch die Medien das Ausmaß dieses Konflikts bewusst. Glücklicherweise können
wir mit unserer Reisegruppe vier Tage später über Jordanien das Land Israel und
den Krieg verlassen. Für die Menschen in Israel und im Gazastreifen geht dieser
Krieg jedoch weiter. Auf beiden Seiten gibt es viele Opfer zu beklagen und in
den letzten Tagen unserer Reise konnten wir den tiefen Hass der Menschen auf
beiden Seiten spüren. Es ist ein Konflikt mit einer langen Geschichte. Fast
unlösbar erscheint er. Das Wasser von der
Taufstelle im Jordan ist mittlerweile zum Einsatz gekommen. Leopold und Levin
sind beide mit diesem Wasser getauft worden. Der Kontrast könnte kaum größer
sein. Auf der einen Seite die Toten und die Gräuel des Krieges in Israel, auf
der anderen Seite das junge aufblühende Leben in Deutschland. In diesen Tagen
ist mir ein Satz des bengalischen Philosophen und Dichters Tagore wichtig
geworden: „Jedes neugeborene Kind bringt die Botschaft, dass Gott, sein
Vertrauen in die Menschheit noch nicht verloren hat.“
Diese Hoffnung steckt für mich in Leopold, Levin und jedem neugeborenen Kind. Und so, wie der Ausbruch des Krieges in Israel für mich immer mit dem wunderbaren Sonnenaufgang am Morgen verbunden sein wird, so glaube ich daran, dass es eines Tages junge Menschen sein werden, die die furchtbare Spirale der Gewalt durchbrechen können. Oder, wie es der Prophet Jesaja in der Bibel ausdrückt: „Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht das Schwert, Nation gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg.“ (Jes 2,4) Halten wir diese Hoffnung und Zusage in unseren Herzen aufrecht.
Einen friedfertigen Tag aus Fröndenberg wünscht Ihnen, ihr Heiner Redeker