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Kirche in WDR 5 | 22.07.2024 | 06:55 Uhr
Gott häkelt
Guten Morgen.
Mein Sohn Jacob ist vierzehn. Wer Kinder hat, hat jetzt schon Bilder im Kopf. Vierzehn. In echt ist Jacob ganz wunderbar, finde ich. Schule macht er halt, Hausaufgaben zur Not auch. Und dennoch kommt er mit erstaunlichen Noten nach Hause, von denen ich früher nur geträumt habe. Er ist sportlich und ballbegabt, Musik kann er auch – am liebsten spielt er nach Gehör. Ach ja, und Jacob hat noch eine Leidenschaft – er häkelt. Wenn ich das erzähle, ernte ich manchmal mitleidige Blicke. Die Leute denken, ich bekomme nur noch Topflappen zu Weihnachten oder zum Geburtstag. Leute, ihr habt keine Ahnung, was man alles häkeln kann. Jacob ist ein kreativer Meister der Wolle. Er häkelt Blumen, die dann wirklich wie eine Rose, Tulpe oder eine Sonnenblume aussehen. Oder Kleidungsstücke, für die ich gar keinen Namen habe. Eine Mütze, die auch ein Schal ist zum Beispiel. Einen Hoodie, aber nur vom Hals aufwärts. Kurz gesagt: Mein Vierzehnjähriger überrascht. Der englische Leitspruch „expect the unexpected“, erwarte das Unerwartete trifft; und diese Weisheit kann ich anwenden auf Menschen oder überhaupt auf das Leben – und ich glaube auch auf Gott.
Denn an „den lieben Gott“ tragen wir auch oft unsere Erwartungen heran. Seit Jahrhunderten wird er gerne dargestellt in wirkmächtigen Bildern eines weißen Mannes in wehenden Gewändern, mit einem ebenso wehenden Bart und wahrscheinlich auch, das lassen die Bilder nur erahnen, einer wehenden Stimme. Gott ist „er“ und „Herr“ und „Vater“ und „König“ und so weiter. Das sind Bilder, die wir uns machen, um Gott zu begreifen, ihn in unserer Begrenztheit zu erfassen. Mit Bildern sollten wir achtsam sein, denn sie schenken immer nur einen kleinen Einblick, einen Ausschnitt. Gott ist immer größer als die Vorstellung, die du dir als Mensch machen kannst. Auch die Bibel schenkt uns Bilder von Gott. Ich glaube ja, die Bilder können helfen, und ich glaube: Wir brauchen mehr Bilder. Denn Gott ist immer mehr und geht nie in all den Bildern auf.
Gott ist eine Mutter. „Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter, wie das gestillte Kind, so ist meine Seele in mir.“ Der Satz kommt aus Psalm 131, mitten aus der Bibel. Was für ein liebevolles Bild. Gott, du stillst meine Seele. Meine Frau hat gerade ein Lied geschrieben zu einem Psalm, und da singt sie: „Die Ewige, ist mein Licht. Mein Glück, meine Befreiung. Meines Lebens Kraft. Vor wem soll ich mich fürchten.“ Was für rückenstärkende Bilder von Gott. Mutmachend und tröstend. Oh Gott, du Alltagswunder und Feiertagssegen. Barmherzige Freundin. Trost, dem ich trauen kann. Gott, du Hand die hält. Herz, in dem mein Herz Zuhause finden kann. Gott, du Liebe in Person. Unaussprechlich. Größer. Näher. Gott ist die Überraschende. Gott – ist.
„Expect, the unexpected“. Erwarte das Unerwartete. Was wenn Gott häkelt? Könnte ja sein. Man nennt ihn ja schon den „Hirten“. Vielleicht sitzt er da – Wolle in der Hand auf dem Schaukelstuhl ganz gemütlich. Um in Handarbeit, mir was Schönes zu erschaffen. Ein Geschenk, für das es keine Worte gibt. Unerwartet in einem Zwischenmoment, eine greifbare Gnade, die mich wissen lässt: Du bist nicht allein. Ich bin da.
Ich wünsche Ihnen neue Gottesbilder im Kopf und unerwartet schöne Gottesmomente im Herzen. Ihr Patrick Depuhl, Alpen.
Quellen:
Psalm 131,2 (Einheitsübersetzung).
„Die Ewige, ist mein Licht.“ Judy Bailey. DePoolMusic
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze