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Das Geistliche Wort | 18.08.2024 | 08:40 Uhr

Der Heilige Altfrid – Bischof, Staatsmann, Visionär

Musik I: Bergsänger Geyer, Singkreis Schneeberg-Neustädtel, Musikkorps der Bergstadt Schneeberg: Steigerlied


Guten Morgen liebe Hörerinnen und Hörer,

ja, ich bin ein Kind des Ruhrgebietes. Hier geboren und aufgewachsen, lebe ich seit zwei Jahrzehnten in Essen, genauer in der Essener Innenstadt. Und seit meiner Jugendzeit sind mir diese Klänge vertraut, das Steigerlied: Es ist quasi die Nationalhymne der Bergleute, die das Leben hier im Ruhrgebiet seit über 200 Jahren geprägt haben, die Kumpel – wie wir sie nennen. Ohne die Kumpel wäre Essen heute nicht das, was es ist, auch wenn die Zeit des Kohlebergbaus lange vorbei ist. Mein Name: Wilhelm Tolksdorf. Ich bin hier als Seelsorger in der Essener Innenstadt tätig und kenne etwas vom Lebensgefühl der Menschen. Oft bin ich auf der Einkaufsmeile, der Kettwiger Straße, unterwegs und komme am Essener Dom vorbei. Seit kurzem hängen da große Plakate, auch im Schaukasten am Seiteneingang. Darauf steht, in bestem Ruhrpott-Deutsch: „Essen sein Gründer“. Nicht schlecht, finde ich, was die Leute von der Öffentlichkeitsarbeit am Essener Dom da machen. Schnell wird klar: Essen hat auch eine Geschichte vor dem Bergbau und der Schwerindustrie. Und Essen sein Gründer, das ist Altfrid, genauer Bischof Altfrid. Genau kündigt das Plakat an: Eine Festwoche „1150 Jahre Bischof Altfrid“. Und seit drei Tagen dreht sich hier in Essen vieles um diesen Mann.


Musik 2: Bergsänger Geyer, Singkreis Schneeberg-Neustädtel, Musikkorps der Bergstadt Schneeberg: Steigerlied


Vor drei Tagen war der 1150. Todestag von Bischof Altfrid. Wenn ich ehrlich bin: Ich hatte mich noch nie so recht mit Altfrid beschäftigt. Jetzt aber habe ich also recherchiert. Mir ist schnell klar geworden, dass Bischof Altfrid eine Art Identifikationsfigur ist. Eine Symbolgestalt, die das alte, vorindustrielle Essen mit dem modernen, heutigen Ruhrgebiet zusammenbringt. Mittelalter, Kohle, Stahl: Ich staune nicht schlecht. Allein die weit über das Ruhrgebiet hinaus bekannte Essener Industriellenfamilie Krupp nennt ihre Erben nach dem frühmittelalterlichen Bischof: Alfred Krupp, Friedrich Alfred Krupp, Alfried Felix Alwyn Krupp von Bohlen und Halbach. Und schnell begreife ich auch, dass der Mann aus dem frühen Mittelalter etwas hergibt, das bis heute eine Relevanz hat. Sein Leben, oder besser: das, was man von seinem Leben weiß, ist ungemein spannend, ja, faszinierend.


Musik 3: Hesperion XXI, Jordi Savall: Batalla imperial (für Orchester) / Guerre & paix von Juan Bautista José Cabanilles, Johann Kaspar Kerll


Altfrid wird um das Jahr 800 geboren und ist vermutlich in einer westfälischen Adelsfamilie aufgewachsen. Seine Familie ist reich, hat großen Grundbesitz. Altfrid erhält eine umfassende Bildung. Man vermutet, dass er im Kloster Corvey an der Weser, vielleicht aber auch in einem westfränkischen Kloster seine Schul- und Studienjahre zugebracht hat. Seine Zeitgenossen bewundern seine Frömmigkeit, sein Wissen und seine Klugheit. Schnell wird sein Name an den Königshöfen bekannt. Im Jahr 851 wird Altfrid zum vierten Bischof von Hildesheim gewählt. Ein Jahr später legt er den Grundstein für den Hildesheimer Dom, dessen Vollendung er noch erlebt. Über zwanzig Jahre lang gehört er zu den engsten Vertrauten des ostfränkischen Königs Ludwig des Deutschen. Altfrid muss Treffen der Bischöfe vorbereiten und ist eingebunden in den Abschluss von Friedensverträgen. In seinen diplomatischen Missionen geht es ihm vor allem darum, auch bei Konfliktsituationen den Frieden im karolingischen Reich zu bewahren. So wird Altfrid im Jahr 870 den Vertrag von Meersen maßgeblich gestalten und mit der Teilung des Reiches in West- und Ostfranken den Frieden sichern. Am 15. August 874 stirbt Bischof Altfrid. Auf seinen Wunsch hin wird er in der Essener Stiftskirche, dem heutigen Dom bestattet.


Musik 4: Hesperion XXI, Jordi Savall: Batalla imperial (für Orchester) / Guerre & paix von Juan Bautista José Cabanilles, Johann Kaspar Kerll


Altfrids diplomatisches Geschick als Friedenstifter ist das eine. Das andere hat mit seinem Gestaltungswillen zu tun. Als er um das Jahr 852 ein Kloster für die Töchter des Hochadels gründet, das sogenannte Essener Frauenstift, schreibt er sich endgültig in die Stadtgeschichte von Essen ein. Dieses Stift richtet er auf dem Grund und Boden seiner Familie ein, dem Gut Asnide. Seine Familie unterstützt ihn dabei. Erste Äbtissin wird die Schwester Altfrids, Gerswid. Und nebenbei bemerkt: Aus dem Namen des Gutes „Asnide“ wird im Laufe der Zeit das Wort „Essen“.

In der Stiftungsurkunde der Essener Gründung heißt es:


Sprecher:

„Da kam es, wie ich glaube, durch göttliche Eingebung über mich, dass nämlich die allerheiligste und allzeit jungfräuliche Maria nächst Gott die allereinzigste Zuflucht der Sünder sei. Wenn ich ihr meine Verehrung erweise, dann würde es Gott wohlgefällig sein und meiner Seele durch den Schutz ihrer Verdienste Heil bringen. Daher habe ich mit Hilfe der göttlichen Gnade auf meinem Gütchen Astnide mit Namen der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit, der heiligen und allzeit jungfräulichen Gottesmutter Maria und den heiligen Märtyrern Cosmas und Damian zu Ehren eine Kirche erbaut, und zwar aus dem, was ich durch Gottes Güte besaß. An dieser Kirche habe ich eine Schar gottgeweihter Jungfrauen vereinigt, die Gott mit reuevollem Herzen und beherrschten Sinnen ein unbeflecktes Opfer zur Heiligung der Seele und des Leibes darbringen. Ich habe deshalb Sorge getragen, dass ihnen das Notwendige an Nahrung und Kleidung gegeben wird, und habe eine geistliche Mutter aus ihrer Mitte über sie gesetzt, die ihnen gemäß der Regel vorstehe.“


Diese deutsche Übersetzung der lateinischen Gründungsurkunde des Frauenstiftes klingt zunächst fremd. Dabei ist ein Stift eine Art Wohngemeinschaft, in der begüterte Frauen von Adel zusammenleben und ein geistliches Leben führen. Das Leben im Stift ist geprägt durch Gottesdienste, Chorgebet und die anfallende Arbeit im Haus. Allerdings ist zu sagen: Bei den hochadeligen Stiftsfrauen geht es wohl nicht allzu streng zu: Die Stiftsfrauen legen keine Gelübde ab, sie können aus dem Stift austreten und auch heiraten. Manche von ihnen leben auf dem Gebiet des Stiftes in einer eigenen Wohnung. Manche Stiftsfrauen bringen ihre Dienerinnen mit. Die Stiftsdamen auch Kanonissen genannt, tragen keine Ordenstracht, sondern lediglich bei Gottesdiensten einen weißen Chorrock mit schwarzem Mantel und einer kleinen Haube. Nicht zuletzt durch die Verwandtschaft mit den Herrscherhäusern Europas hat das Essener Stift im Frankenreich eine große Ausstrahlung: In seinen besten Zeiten haben hier 71 Frauen gewohnt.


Musik 5: Cant'ella (Bine Becker-Beck): Shimmering (für Frauenchor) / Wie schön leuchtet der Morgenstern von Ola Gjeilo


Die Gründung eines Stiftes war nichts Außergewöhnliches. Allein im Land der Sachsen entstanden im neunten Jahrhundert gleich 19 solcher Stifte. Ihr Zweck: Sie waren Ausbildungsstätten für adelige Mädchen. Sie sorgten für die unverheirateten Frauen von Adel. Eine soziale Tat, wie wir heute wissen. Denn anders als die unverheirateten Frauen aus der Landbevölkerung waren die adeligen Frauen, wenn sie nicht die richtige Ehepartie machten, eine ziemliche Belastung. Unverheiratete Frauen aus der Landbevölkerung waren geschätzte Arbeitskräfte auf den Bauernhöfen und Feldern ihrer Familien. Die unverheirateten Adelsfrauen dagegen waren nirgendwo richtig einzusetzen. Im Frauenstift ergaben sich nun aber neue und großartige Möglichkeiten für die adeligen Frauen. Das Feiern von Gottesdiensten, Unterricht, Heilkunde, die Sorge um die Hauswirtschaft. Wenn man so will, kann man sagen: Ein Stift übernahm nicht nur die materielle Versorgung dieser Frauen, es übertrug ihnen auch sinnvolle Aufgaben. Damit gewinnt so ein Frauenstift ein Renommee mit gesellschaftlicher Ausstrahlung. Bischof Altfrid hat das erkannt und macht sich um seine Stiftung verdient. Er stattet das Stift nicht nur wirtschaftlich aus, sondern auch mit geistlichen Schätzen. Das waren damals vor allem kostbare Reliquien, also Knochen und Überbleibsel von Heiligen, die den Menschen Schutz und Hilfe gewähren sollten. Solche Reliquien brachte Altfrid nach Essen, zum Beispiel die der Heiligen Ärzte Cosmas und Damian, die bereits als Christen im dritten Jahrhundert lebten und für ihren Glauben an Christus freiwillig den Tod auf sich nahmen. Daher gelten sie bis heute als Blutzeugen, als Märtyrer. Wir wissen heute: Das Mittelalter hatte zu den sterblichen Überresten von Heiligen und Märtyrern ein ganz besonderes Verhältnis. Man bewahrte diese Überreste in kostbaren Behältnissen auf, man widmete ihnen Kirchen und Kapellen. Dahinter stand die Hoffnung, dass die Fürsprache der Heiligen bei Gott Gefahren von Menschen, Städten und Dörfern abwehrt, sie vor Krieg und Gewalt beschützt.

Schließlich sorgt Altfrid in dem von ihm gegründeten Frauenstift auch für Bildung. Er lässt kostbare Bücher aber auch liturgische Geräte anschaffen. Noch heute finden sich in der Essener Domschatzkammer beeindruckende Zeugnisse aus jener Zeit: Zum Beispiel mit Edelsteinen besetzte Vortragekreuze. Heute noch beeindruckt der Essener Dom, der auf den Fundamenten der ehemaligen Stiftskirche errichtet wurde, die Altfrid im Juli 870 eingeweiht hatte.

Bemerkenswert: Ab dem 14. Jahrhundert beginnt man dann in Essen vom „Heiligen Altfrid“ zu reden. Sein Todestag, der 15. August, wird festlich begangen. Seine Verehrung als Heiliger beginnt an seinem Grab. Und jetzt gilt es von ihm selbst: Die Menschen erhoffen sich von seiner Fürsprache Hilfe in Krankheit und Not. Dazu passt gut, dass ganz in der Nähe der Stiftskirche, eine Quelle fließt, die dann schon bald „Quelle des heiligen Altfrid“ genannt wird. Ihr schreiben die Menschen heilende Wirkung bei Augenleiden zu.


Musik 6: Baroque Drops: Tarantella


Mir ist inzwischen klar: Bischof Altfrid ist ein wichtiger, ein wirklich bedeutender Mann – für das Mittelalter und für die Geschichte der Stadt Essen – bis heute. Obwohl er bereits seit 1150 Jahren tot ist, finden sich in Essen immer noch viele Spuren von ihm über die Kunstschätze im Essener Dom hinaus, wo die Kreuze und Reliquiare gezeigt werden. Und ich will es auch persönlich formulieren: Bischof Altfrid ist mir noch sehr gegenwärtig. Seine Weise, den Glauben zu leben, beeindruckt mich. Natürlich, ich kann das frühe Mittelalter nicht mit der Zeit von heute gleichsetzen. Aber dennoch imponiert mir Altfrid. Er zieht sich nicht hinter dicke Kirchenmauern zurück, sondern geht in die Welt. Er liebt die Kunst und die Wissenschaft. Seine Sache ist der Frieden. Sein Ziel ist das gute Miteinander aller in Politik und Gesellschaft. Frieden und Versöhnung, der Dienst an der Welt: Der Glaube, aus dem Altfrid lebt, hat ihm geholfen, Widerstände zu überwinden, Gegner zusammenzubringen, Gewalt zu beenden. Und genau solche Menschen braucht es doch heute mehr denn je: Wie soll es denn weitergehen in Nahost, in der Ukraine, in den USA und im Sudan – um nur einige Krisenherde der Welt von heute zu nennen. Da hat Altfrid auch für uns, in unserer unruhigen Zeit, eine wichtige Botschaft.

Und, was mir noch auffällt: Altfrids Einsatz für die Frauen. Er sorgt dafür, dass Frauen eine Ausbildung und ein Auskommen erhalten. Die Errichtung des Essener Frauenstiftes – es ist und bleibt eine soziale, eine politische Großtat. Mit Konsequenzen. Das Essener Stift wird in seiner Strahlkraft und Bedeutung mächtige Äbtissinnen hervorbringen, die ihr Wort in der Politik von Stadt und Reich zu machen wissen. Altfrid wird so in seiner Zeit zu einem Förderer der Frauen in Gesellschaft, Politik und sogar in der Kirche.

„Essen sein Gründer“. Das, was wir von ihm wissen, wie er gelebt hat – das kann schon Mut machen. Es lohnt sich, über Grenzen hinauszugehen, auf den Anderen zu. Es ist gut, sich für Menschen einzusetzen, sie zu fördern und zu begleiten. Und es ist wichtig, zu investieren – in Bildung, Kunst und Kultur. Man muss kein Christ sein, um zu verstehen, warum das so wichtig ist. Ich bin davon überzeugt – und das hat mir Altfrids Leben gezeigt: Nur in einem lebendigen Miteinander, dort, wo Menschen offen füreinander sind, wo sie miteinander neue Wege ausprobieren, dort entsteht Gemeinschaft, kann letztlich eine Stadt leben und wachsen. Nur so wird unsere Gesellschaft zu einer Gesellschaft, die bunt, vielfältig und spannend ist. Auch in Zeiten von Umbruch und Wandel.


Ich sage das jetzt nicht nur, weil Festwoche ist von „Essen sein Gründer“: Bischof Altfrid, der Mann aus dem frühen Mittelalter, zeigt gute Wege, wie es gehen kann – mit Gott, mit uns und der Welt auch noch heute.


Aus Essen grüßt Sie zuversichtlich – Wilhelm Tolksdorf


Musik 7: The New York Renaissance Band, Sally Logemann: Pavane d'Espagne


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