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Kirche in WDR 5 | 14.09.2024 | 06:55 Uhr
Fifty Shades of Colour
Die Arbeitswoche geht zu Ende. Der eine oder die andere von Ihnen hat schon frei. Für viele ist der Samstag wie eine Brücke zwischen Berufstätigkeit und „richtig“ freiem Sonntag. Eben noch einkaufen, putzen, waschen. Außerdem: Wochen-Ende ist auch Zeit, um zurückzuschauen.
Froh, weil die Woche gut war. Dies ist gelungen. Das hat mich freudig überrascht. Ich selbst bin dankbar, dass ich die Vorbereitungen für das große Schwesterntreffen doch noch fertigbekommen habe. Manchmal gehe ich zu schnell über das viele Gute weg, das mir geschieht. Ich bin fixiert auf die Dinge, die nicht gut waren, nicht gelungen sind, die ich noch tun muss.
Dann wieder versuche ich umgekehrt, Negatives auszublenden: dass da doch noch was schwelt, in mir oder zwischen mir und einer Mitschwester oder in Sachen …
Mir hilft es, dass es bei uns in der Ordensgemeinschaft üblich ist, sich Zeit für den Rückblick zu nehmen. Es entlastet mich, dass das einen festen Platz im Tag hat. Gebet der liebenden Aufmerksamkeit, nennen wir das. Still zu stehen bei dem, was war, und was jetzt noch in mir nachklingt.
Aber ich bin nicht nur Ordensschwester, ich bin auch Psychologin. Und da habe ich schon oft gesehen. wie schwer es vielen Menschen fällt, erst einfach mal stehen zu lassen, dass es da Schönes und Schwieriges gibt, ganz nah beinander. Und auch ich tue mich eher schwer damit, anzunehmen, dass es beides gibt. Ich hätte es oft lieber klarer und nicht dieses Durcheinander: Gefühle, die ich mag, sogenannte positive – und auch solche, die ich lieber nicht hätte: Ärger, Traurigkeit, Mutlosigkeit, Resignation, Frust – und was es da sonst so alles gibt im Herzen.
Nebeneinander, ineinander, ganz eng zusammen. Es war so schön und zugleich so schwer. Mir geht es oft so, wenn jemand stirbt, eine Mitschwester, zum Beispiel. In einer alternden Gemeinschaft ist das nicht so selten.
Dabei zu sein, das Sterben mitzubekommen, das ist so traurig – und oft so berührend zugleich. Weil da jemand in Frieden geht, weil sich jemand ehrlich macht, weil jemand vertraut. Bitter und schön ist das. Beides zusammen.
Heute feiert die katholische Kirche ein Fest, das auch in dieser Spannung steht. Kreuzerhöhung heißt es. Und dabei geht es, Sie ahnen es, um Jesus am Kreuz.
In meiner Kirche gab es lange genug Prediger, die Menschen aufgefordert haben, Leiden zu suchen. Ich bin mir aber sicher: Das kann dieser Jesus nicht gemeint haben. Der wollte doch, dass wir Leben haben, Leben in Fülle.
Diese Fülle heißt für mich dann auch, dass Platz ist für alles, in allen Schattierungen. Fifty shades of colours, fünfzig Schattierungen der Farben – und noch mehr.
Jesus will mir beistehen. Bei mir sein. Kann ich das glauben? Mag ich das annehmen?
Und ganz zentral: Ich weiß ja, wie die Geschichte ausging.
Das Kreuz war nicht das Letzte. Das Leben hat sich Bahn gebrochen, trotz
allem.
Niemand freut sich diebischer als Jesus, wenn es uns gut
geht. Ja, diebisch.
Denn wie ein Dieb
hat er dem Tod die Macht gemopst, damit das Leben gewinnt. Kreuzerhöhung ist
nicht mein Lieblingsfest, aber ich merke, dass im Umgehen mit diesen Bildern
mein Leben farbiger wird. Weil ich mich traue, alles zu sehen, hell und dunkel,
weil ich nichts verbergen muss.
Ich wünsche Ihnen sehr, dass Sie auf Ihre Art versöhnt auf die vergehende Woche zurückschauen können.
Ihre Schwester Katharina Kluitmann