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Das Geistliche Wort | 29.09.2024 | 08:40 Uhr
Wer ist wie Gott?
Heute, am 29. September, stehen im Kalender der katholischen Kirche die Namen der drei Erzengel Michael, Gabriel und Rafael. Alle, die so oder so ähnlich heißen, dürfen heute Namenstag feiern! Ihnen allen darum zuerst: Herzlichen Glückwunsch zum Namenstag!
Die Namen der drei Erzengel stehen in der Heiligen Schrift. Engel kommen in der Bibel vor als Helfer, als Boten und Gesandte. Sie gehören also zur himmlischen Welt, doch Gott gibt ihnen Aufgaben, um uns irdische Menschen zu unterstützen und zu beschützen. Als Boten und Gesandte Gottes bewirken sie, dass sein Wille auch in unserer Menschenwelt zum Zuge kommt. Einer von ihnen, der Erzengel Michael, wird seit der Zeit Ottos des Großen sogar als Schutzpatron des Deutschen Volkes verehrt.
Also haben wir Deutsche heute irgendwie alle Namenstag. Ich möchte daher mit Ihnen darüber nachdenken, was so ein Engel und was insbesondere der Erzengel Michael uns heute zu sagen hat. Ich bin Helmut Dieser, Bischof von Aachen.
Guten Morgen!
Musik I: Mendelsohn-Bartholdy: „Denn er hat seinen Engeln befohlen“
Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes oder, wie es auch genannt wird, in der Apokalypse, findet sich eine der wichtigsten Erzählungen über den Erzengel Michael. Es geht in diesem Schlussteil der Bibel um die Frage: Was wird wirklich gespielt in dieser Welt? Was geschieht da im Tiefsten und Letzten zwischen Himmel und Erde? Womit müssen wir also rechnen in der Politik, aber auch im Bereich des eigenen Lebens und Handelns jedes Menschen?
Sprecherin: Biblischer Text (Offb 12, 7-9):
„Da entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie hielten nicht stand und sie verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.“
Eine geheimnisvolle und dramatische Geschichte: ein Kampf im Himmel! Um was wird denn da gekämpft? Der Name des Erzengels gibt die Antwort. Michael trägt seinen Namen nämlich nicht zufällig. Übersetzt ins Deutsche ist sein Name eine offene Frage: „Wer ist wie Gott?“
Und an dieser Frage scheiden sich die Geister. Im Himmel ist die Antwort eindeutig: Nur Gott ist Gott, niemand ist wie Gott, niemand sonst ist Gott. Deshalb muss der Drache aus dem Himmel stürzen. Er hat seinen Platz verloren. Er war ja auch ein Engel, den Gott geschaffen hatte. Doch er wurde anmaßend und überheblich, wollte mehr sein, als er ist. Er ertrug es nicht, ein Geschöpf zu sein wie alle anderen außer Gott, und verfiel dem Irrwitz, selber sein zu wollen wie Gott. Weil er seine eigene Selbsttäuschung nicht akzeptierte, musste er stürzen. Im Himmel ist der Kampf um das eigene Selbst schon auf ewig entschieden. Denn Engel sind reine Geister. Sie wissen um sich selbst und sie wissen um Gott und können Gott in allem anerkennen, auch als ihren eigenen Schöpfer. Der gefallene Engel aber, der zum Drachen geworden ist, ist der unreine Geist, der lügt und betrügt, sich selbst und andere. So lässt sich dieser biblische Text also verstehen: Geist und Widergeist, Wahrheit und Lüge haben niemals zusammen einen Platz im Himmel.
Doch wie anders ist das hier auf der Erde in der Welt der Menschen! Das Urproblem, gegen das der Erzengel Michael kämpft, hat uns irdische Menschen erfasst. Menschen wollen mehr sein, als sie sind. Menschen werden überheblich. Immer neu wird das für mich daran erkennbar, dass wir Menschen allesamt verführbar sind. Es gibt die unreinen Geister, denen wir vielleicht gerne zuhören, weil sie uns über die anderen hinausheben. Dazu gaukeln sie uns etwas vor, womit sie uns größer machen wollen, als wir wirklich sind, und das ganz oft auf Kosten der anderen. Diese unreinen Geister sagen zum Beispiel: Du bist doch mehr wert als die! Dir steht doch etwas Besseres zu! Du hast nur eine Zukunft, wenn du die anderen ausschaltest! Und wie du das am besten machst und dich dabei auch noch richtig gut fühlst, das zeige ich dir!
So reden die unreinen Geister, die in der Bibel so viele Namen haben können: der große Drache, die alte Schlange, der Teufel oder der Satan. Die Währungen, die diese Geister für ihre Geschäfte in Umlauf bringen, wirken in der ganzen Menschenwelt gleich: Gier, Missgunst, Neid, Eifersucht, Habsucht, Rache, Hass, Gewalt. Auch heute melden sich diese Geister zu Wort. Deshalb gibt es Verbrechen und Kriege unter den Menschen, aus ihrer Quelle stammen die Maßlosigkeiten, die Betrügereien, die Lügen und die Untergangsängste der Menschen. Immer geht es dabei im Kern darum, mehr sein zu wollen, als wahr ist, selber sein zu wollen wie Gott.
Musik II Anton Bruckner: 9. Symphonie, 2. Satz
Wenn es wahr ist, dass wir allesamt verführbar sind, dass es diese Urversuchung gibt, mehr sein zu wollen als jemand ist: Wo ist dann der feste Halt dagegen? Wie entlarven wir Halbwahrheiten, Lüge, Betrug, Verdrehung und – was heute so gefährlich ist – jede Art von Fakenews? Wie entgehen wir dem Anstacheln, sich über andere zu erheben, und damit Feindschaft gegeneinander zu schüren?
Viele aktuelle Entwicklungen machen mir große Sorgen, die unsere Gesellschaft spalten in gegenteilige Lager. Immer schwerer fällt es deshalb, gemeinsame Positionen zu finden in den bedrängenden Fragen von heute: Migration, Umweltschutz, Bewahrung und Stärkung unserer freiheitlichen Demokratie. Dauernd stehen wir unter dem Eindruck böser Nachrichten über den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, über Terror und Krieg im Heiligen Land, über Unfreiheit und Kriegsgefahr in Iran, in Nordkorea, in Sudan, in Nicaragua und Venezuela, in Myanmar und vielen anderen Ländern. All diese zugespitzten Herausforderungen und Radikalisierungen in der Politik und die Verachtung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, dazu die Angst vor Anschlägen verunsichern uns permanent. Geht es nicht auch in all dem darum, mehr sein zu wollen als die anderen oder besser sein zu müssen als die anderen, weil sonst der eigene Untergang droht? Michael als Schutzpatron der Deutschen hat heute nicht ausgedient. Bei uns nicht, in Europa nicht und in der ganzen Welt nicht. Es lohnt, sich, seine Botschaft neu zu hören und anzuwenden. Sein Name geht wirklich zu Herzen: Wer ist wie Gott?
Musik III A. Bruckner: 7. Symphonie, 3. Satz
„Wer ist wie Gott?“ mit diesem Namen ist Michael im Himmel der Überlegene, klärt er die Verhältnisse, steckt er die richtigen Maße neu ab.
Für uns Menschen auf der Erde aber steckt darin eine Überlebensfrage, die alle herausfordert: Wie entgehen wir Menschen der Überheblichkeit? Wie besiegen wir die Anmaßung? Wer könnte und wollte in all dem siegen ohne Gott?
Ich bin überzeugt: Ohne Gott gibt es keinen Sieg über das Böse und das Urübel der Überheblichkeit. Ja, ich gehe noch weiter: Ohne Gott siegen die unreinen Geister, die sagen: Du hast alles Recht, die anderen fertig zu machen! Du musst so vorgehen, damit dir keiner was wegnehmen kann! Wo aber diese unreinen Geister siegen, da leiden und sterben Unschuldige und Schwache immer und immer wieder, immer und immer weiter. Wie aber sieht es aus, wenn Gott den Sieg herbeiführt?
Auch davon erzählt das letzte Buch der Bibel in knappen Sätzen:
Sprecherin: Biblischer Text (Offb 12, 10-11a):
„Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen: Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Königsherrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten; denn gestürzt wurde der Ankläger unserer Brüder, der sie bei Tag und bei Nacht vor unserem Gott verklagte. Sie haben ihn besiegt durch das Blut des Lammes und durch ihr Wort und ihr Zeugnis.“
Was da knapp und geheimnisvoll erzählt wird, ist nach christlichem Verständnis bereits hier auf der Erde ein für alle Mal geschehen: Das Lamm, das ist Jesus von Nazaret. Und das Blut des Lammes, damit ist gemeint, dass Jesus am Kreuz sein Blut vergossen hat. Wer aber ist er denn, Jesus von Nazareth? Auf ihn allein weist der Name des Erzengels Michael hin: Wer ist wir Gott? Jesus ist wie Gott, denn er stammt aus Gott und ist Gott gleich. Doch er ist von Gott herab auf unsere Erde gekommen und ein Mensch geworden. Er hat sich selbst zum Bruder aller Menschen gemacht. Klein hat er sich gemacht, wehrlos und machtlos. Er will vor allem bei denen sein, die verleumdet, verfolgt und falsch angeklagt werden, denen Gewalt angetan wird und die keine Chance haben auf ein besseres Leben. An Jesus ist nichts überheblich oder anmaßend, im Gegenteil: sein Erkennungszeichen ist sein Kreuz. Doch Gott, der allein Gott ist, – und keiner ist wie er – dieser Gott ist im Kreuz Jesu zugegen und hat in ihm gesiegt. Die Gewalt der Lüge, die Gewalt des Unrechts und die Gewalt, die den anderen schließlich zu Tode bringt, haben durch Jesu Tod keine endgültige Macht mehr. Wer sich auf Jesus einlässt, muss sich nicht selber groß machen. Jesus hilft mir, mich selber anzunehmen, wie ich bin. Er lässt mich glauben, dass ich nicht nur von Gott geschaffen, sondern auch bis in meine Schwächen und Fehler hinein von Gott geliebt bin. Durch Jesu Blut werde ich erlöst von der Logik der Überheblichkeit, der Gier und des Neids. Verführbarkeit, Eifersucht, Angst, Ausgrenzung der anderen laufen sich dann auch bei mir tot durch Jesus, weil er sie wirklich löschen kann. So ist Jesus der Gesalbte Gottes und in ihm wirkt Gottes Macht.
Darum auch ist Jesus nicht im Tod geblieben. Gott hat ihn auferweckt. Er ist der erste Mensch, der wahrhaftig und gewaltlos in den Himmel eingegangen ist. Ich bin überzeugt: Alle, die daran glauben, bekommen Kraft, in ihrem Leben über die Versuchungen zu siegen, wie Gott sein zu wollen. Durch ihn lernen wir, uns selbst und einander anzunehmen als geliebte Kinder Gottes. Durch seine Liebe, die alles gegeben hat, können wir Lüge und Gewalt entlarven.
Musik
IV:
Elvis Presley: My Jesus knows
Wer ist wie Gott? Die offene Frage, die der Name Michael bedeutet, findet in Jesus eine überraschende Antwort. Niemand ist wie Gott, doch Gott zeigt ein für alle Mal, wer er ist und was er will, in Jesus. Gott will, dass wir nicht besiegt werden von Lüge und Gewalt. Gott will, dass wir frei leben, reden und handeln füreinander, miteinander, nicht gegeneinander. Und Gott will, dass wir Menschen nicht die Erde verderben, sondern auf die Spur des Himmels kommen ohne Tricks, Lügen und Hass. Darum kommt es auf jeden von uns heute an, auf unser Wort und unser Zeugnis: Wer spricht offen aus, wo Menschen abgewertet und ausgegrenzt werden? Wer steigt aus, wo die einen bevorzugt und die anderen benachteiligt werden? Wer lenkt die Dinge in eine gerechtere Richtung, wo Menschen auf Kosten anderer leben? Wer Jesus glaubt, lässt sich nicht den Mund verbieten. Der Glaube macht Mut zum offenen Wort auch gegen den Trend. Und der Glaube verlangt, dass wir aktiv Zeugnis geben und anders handeln. Michael, der himmlische Schutzpatron, möge allen helfen, auf der Seite Jesu zu stehen und, wie es in der Bibel ausgedrückt wird, durch das Blut des Lammes zu siegen. Dann fangen Menschen auch heute in vielen herausfordernden Situationen an, anders zu denken, anders zu reden und anders zu handeln. In wunderschöner Poesie spricht davon ein Gedicht des Priesters und Schriftstellers Lothar Zenetti[1]:
Sprecher:
„Das Kreuz des Jesus Christus durchkreuzt was ist
und macht alles neu
Was keiner wagt, das sollt ihr wagen
was keiner sagt, das sagt heraus
was keiner denkt, das wagt zu denken
was keiner anfängt, das führt aus
Wenn keiner Ja sagt, sollt ihr’s sagen
wenn keiner nein sagt, sagt doch nein
wenn alle zweifeln, wagt zu glauben
wenn alle mittun, steht allein
Wo alle loben, habt Bedenken
wo alle spotten, spottet nicht
wo alle geizen, wagt zu schenken
wo alles dunkel, da macht Licht
Das Kreuz des Jesus Christus durchkreuzt was ist
und macht alles neu.“
Musik VI
Robbie Williams: Angel
Im Vertrauen auf die Hilfe des heiligen Erzengels Michael wünsche ich Ihnen einen frohen Sonntag und eine gute neue Woche!
Ihr Helmut Dieser, Bischof von Aachen.
[1] Quelle: Koeppen, Wolfhart, Spennhoff, Renate (Hgg), Einblicke – Ausblicke. Biblische Texte, Gebete und Betrachtungen, Neukirchen-Vluyn und Stuttgart 1985, 67.