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Kirche in WDR 5 | 26.09.2024 | 06:55 Uhr
Goldstaub mit der Kinoorgel
Was für ein poetischer Satz: „Musik ist der Goldstaub auf der grauen Realität!“ – Die Autorin Hannah Glaser hat den geschrieben. Ich hätte es nicht schöner sagen können, um das große Wunder der Musik zu beschreiben. Wissenschaftlich betrachtet ist Musik klingende Luft, nichts weiter als ein Schallereignis. Dennoch verschafft sie ein Prickeln auf der Haut, lässt Herzen schneller schlagen oder uns einfach zur Ruhe kommen. Musik ist mitten im Leben, sie ist Leben und darüber hinaus eine „Kunst, die zur Seele spricht“. Ob wir vor Glück oder Schmerz weinen im dunklen Kino, im Konzertsaal, in der Kirche - wenn es um die existenziellen Themen unseres Daseins geht, wenn uns Worte fehlen, ist Musik ein Medium, das die Seele berührt und uns eine spirituelle Dimension eröffnet.
An einer Stelle wird mir das als Seelsorgerin besonders bewusst: immer dann, wenn ich mit trauernden Angehörigen eine Beerdigung vorbereite. „Dürfen wir uns Musik aussuchen, auch Lieblingssongs?“, fragen sie und ich sage jedes Mal: „Ja, natürlich, welche Musik soll erklingen, welches Lied soll gesungen werden, was bedeutet es Ihnen?“ Dann kommen wir ins Gespräch über Trauer und Trost, über Glauben und Hoffnung, über Zeit und Ewigkeit. Wenn der Klang dann die Kapelle mit Erinnerungen erfüllt, ist das wie Goldstaub auf der grauen Realität.
Musik und christlicher Glaube sind seit alters her eng verbunden, auch wenn die Stile und Geschmäcker sich wandeln. Was dem einen heute zu altbacken ist, bedeutet einem anderen sehr viel. Kinder lieben andere Lieder als Jugendliche oder Erwachsene. Vielfalt ist das Gebot der Stunde, wenn in den Kapellen und Kirchen Musik als Goldstaub zu spüren sein soll.
In meiner Heimat, im ostwestfälischen Lemgo, gibt es seit letztem Jahr ein besonderes Instrument. In der Heilig-Geist-Kirche steht nun eine Wurlitzer-Pfeifenorgel. Kirchenmusiker Gregor Schwarz hat dazu den Anstoß gegeben, um mehr „Goldstaub-Momente“ erleben zu lassen. Wurlitzer-Orgeln wurden vor 100 Jahren in den USA als sogenannte „Kinoorgeln“ gebaut. Als „Ein-Mann-Orchester“, dienten sie zunächst zur Untermalung von Stummfilmen. Neben dem klassischen Klang von Orgelpfeifen erzeugt die Wurlitzerorgel feine Glockenspielklänge sowie eine ganze Reihe von Geräuschen zum Beispiel: Autohupe, Türklingel, Vogelgezwitscher oder auch Meeresrauschen. Und ein Schlagwerk für Rhythmus und „Beat“ ist auch dabei.
Gregor Schwarz hat schon mit Kindern biblische Geschichten verklanglicht, Filmmusik gespielt und Familienaktionen begleitet. Er greift gern in die Tasten und sagt: „Unsere Kinoorgel ist ein Instrument mitten aus dem Leben und lässt die Botschaft des Glaubens lebendig werden.“ Diese Orgel verbindet Tradition und Moderne, Kunst und Unterhaltung, Sakrales und Weltliches. Eine Orgel zum Staunen und Genießen, zum Lachen und Weinen, zum Beten und Feiern. Eine Orgel also für kleines und ganz großes Kino.
Wenn ich Gregors Orgelspiel in Lemgo lausche, legt sich Goldstaub auf meinen Alltag. Ich erlebe, dass die Musik auch die Herzen derer anrühren kann, die sonst wenig Bezug zu Gott haben.
Halten Sie heute gern die Ohren offen und kommen singend, klingend, mit viel Musik durch den Tag! Es grüßt Sie aus Lemgo, Annkathrin Tadday