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Kirche in WDR 5 | 10.10.2024 | 06:55 Uhr
Zufriedene Genügsamkeit
Es gibt Themen, die springen einen nicht direkt an, trotzdem lohnt es sich über einige nachzudenken, so über das Thema Genügsamkeit.
Gestolpert bin ich über diesen Begriff in Verbindung mit dem Wort zufrieden, also: zufriedene Genügsamkeit. Gehört habe ich diese Wortkombination in Aachen, bei der Verabschiedung von Pirmin Spiegel als Hauptgeschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerkes Misereor.
Misereor setzt sich weltweit ein gegen Hunger und Armut, für Bildung und den gesellschaftlichen Wandel, hin zu mehr Gerechtigkeit.
In seiner Rede hatte der scheidende Geschäftsführer den Gedanken der „zufriedenen Genügsamkeit“ verbunden mit der Antwort auf die Frage, die Misereor vor längerer Zeit ihren Partnern im globalen Süden gestellt hat: Was macht Lebensqualität für euch aus? Die Antwort war: Respekt, Solidarität, Zuhören, Achtsamkeit, Sorge.
Aus mitteleuropäischer Sicht hätte ich erwartet, dass Begriffe wie materielles Auskommen oder gute Absicherungen auch genannt würden. Nein, Lebensqualität wurde hier verbunden mit Haltungen, die jeder Mensch einnehmen kann, unabhängig von Besitz, Herkunft und Status.
Auch wenn sich Lebensqualität auszeichnet durch Respekt, Solidarität, Achtsamkeit und Sorge: Grundlage dafür aber sind gesicherte Bedürfnisse wie Nahrung, Wohnung, sauberes Trinkwasser und Hygiene.
Dass Nahrung und Trinkwasser auf Erden ungleich verteilt sind, ist uns allen bekannt.
Viele fragen sich auch, wie bei einer wachsenden Bevölkerung zukünftig die Speisekammer Erde alle ernähren kann.
Mahatma Gandhi, der indische Rechtsanwalt, Asket und Pazifist, hatte vor 100 Jahren auf diese Frage folgende Antwort: „Es ist genügend für alle da, aber nicht für die Gier einiger weniger.“
Gandhi war kein Experte für Welternährung, er war aber überzeugt davon, dass die Schöpfung genug Lebensmittel hervorbringt, um alle Menschen sättigen zu können. Für ihn war die Gier Grund der ungerechten Verteilung.
Aber auch heute geht es um eine Verteilungsungerechtigkeiten, also um die Frage, welches System am besten die Lebensmittel dieser Welt gerecht verteilt.
Ist es die Demokratie? Die Monarchie? Sind es Diktaturen oder von Autokraten gelenkte Systeme?
Ich bin mir sicher: Eine tragfähige Lösung, kann nur ein die Nationen übergreifendes System finden, wie die Vereinten Nationen.
Obwohl aber tragfähige Lösungen primär in Länder umfassenden Systemen zu finden sind, fühle ich mich als einzelne Person nicht ganz nutzlos. Der Grund, ich kann umdenken, angeregt von der Idee einer „zufriedenen Genügsamkeit“.
Genügsamkeit fällt nicht vom Himmel, sie ist ein Lernprozess. Das bedeutet, der eigenen Lebenssituation entsprechend immer neu abzuwägen: Was habe ich wirklich nötig und was kann ich loslassen?
Aber mit einem Weniger muss auch ihr Mehr gespürt werden, die Zufriedenheit.
Nur wer überzeugt den Weg der Genügsamkeit versucht, der wird auch Zufriedenheit erfahren können.
Mit Blick auf unsere Zukunft lohnt es sich über eine „zufriedene Genügsamkeit“ nachzudenken und sie darüber hinaus vielleicht auch auszuprobieren.
Dass Sie diesen Tag schon einmal zufrieden, genügsam erleben, das wünscht Ihnen Pfarrer Christoph Stender aus Aachen.