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Kirche in WDR 5 | 09.11.2024 | 06:55 Uhr
Heute entschieden: Nie wieder
Vor 86 Jahren beobachtete Johannes Höber, was sich damals in Düsseldorf ereignete. Der 34-jährige Volkswirt stand als Sozialdemokrat und mit familiären jüdischen Wurzeln selbst im Verfolgungsfokus der Nationalsozialisten. Geschockt von den Ereignissen in Düsseldorf verfasst er nach seiner Ausreise nach Zürich einen Bericht. Hier schreibt er:
„Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig
stand eine kleine Gruppe von Zivilisten, die eine hell beleuchtete Wohnung im vierten
Stock beobachteten. Wir schlossen uns Ihnen an und fragten einen, was los war. (…)
Einige Sekunden danach stürzten die Fenster der Wohnung in Splittern auf die
Straße hinunter, und die Lichter in der Wohnung gingen eines nach dem anderen
aus. Das letzte war ein großer Kristallleuchter, den wir wild auf und ab pendeln
sahen, bevor wir hörten, wie er zu Boden stürzte. Dann ergriff uns Panik.“
Was Johannes Höber hier in Düsseldorf beobachtet hat, ereignete sich in der
Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 im gesamten Deutschen Reich. In einem barbarischen Terrorakt setzten SA- und NSDAP-Mitglieder Synagogen
in Brand, zerstörten mehr als 7.000 Geschäfte jüdischer Einzelhändler und
verwüsteten Wohnungen jüdischer Familien.
Weitaus mehr als 1.300 Menschen starben während
und unmittelbar in Folge der Ausschreitungen. Die sog. Reichsprogromnacht markiert
den Übergang von der Diskriminierung der Juden hin zu ihrer systematischen
Vertreibung und Ermordung.
Ein dunkler Tag in der deutschen Geschichte. Daher wird am 9. November in Deutschland jedes Jahr der Opfer gedacht. Es ist schlimm, dass wir heute leider wieder besorgte Stimmen jüdischer Mitbürger hören. So sagt Oded Horowitz, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf, dass sich der Israelbezogene Antisemitismus in den Köpfen eingenistet habe und sich mit rasender Geschwindigkeit verbreiten würde.
Der Schulleiter des Jüdischen Albert-Einstein-Gymnasiums berichtet, dass die Schülerinnen und Schüler im Alltag mit Ängsten zu kämpfen hätten. Sie würden sich in Bus und Bahn nur noch in Codewörtern über Israel unterhalten, um nicht als jüdisch erkennbar zu sein.
Ein Studierendenvertreter sagt: „Mein Leben und das vieler anderer jüdischer Menschen hat sich komplett verändert.“ Diese Veränderung und das Anwachsen antisemitischer Äußerungen und Vorfällen steht im Zusammenhang mit den Geschehnissen des 7. Oktober 2023. Das massive militärische Vorgehen Israels, dass zehntausende zivile Opfer verursacht hat, wurde ausgelöst durch den schrecklichen Terrorangriff der Hamas vor einem Jahr. Wie viele Menschen in Israel frage auch ich, ob das Vorgehen der von Benjamin Netanjahu geführten Regierung richtig ist.
Kritik gegenüber dem Vorgehen Israels und das Eintreten für die Rechte der Palästinenser sind legitim. Das Existenzrecht Israels darf aber nicht in Frage gestellt werden. Was erschütternd ist und in unserem Land nicht akzeptiert werden darf, ist die Verwendung stereotyper antisemitischer und judenfeindlicher Elemente bei Protesten. Jüdische Bürgerinnen und Bürger werden verbal und sogar körperlich attackiert.
Es ist zutiefst erschreckend, dass ein „Nie wieder ist jetzt“ notwendig geworden ist. Ich kann Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, nur zustimmen, wenn er sagt, es brauche „sichtbare und nachhaltige Zivilcourage, die der Jüdischen Gemeinschaft das Gefühl geben, „hier erwünscht und gewollt zu sein.“
„Nie wieder ist jetzt“ muss uns alle angehen! Heute am 9. November gedenken wir der Opfer der Reichspogromnacht. Für Sie und für die Toten in Israel, im Gazastreifen und im Libanon sowie für die seit einem Jahr verschleppten Geiseln möchte ich heute Morgen beten. Mit Versen aus einem Wallfahrts-Psalm, die den Frieden besingen.
„Es segne dich der HERR vom Zion her. Du
sollst schauen das Glück Jerusalems, alle Tage deines Lebens. Du sollst schauen
die Kinder deiner Kinder. Friede über Israel!“ (Ps 128,5-6)
Peter Krawczack aus Düsseldorf sehnt diesen Frieden für alle Menschen im Nahen Osten und der ganzen Welt herbei.