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Kirche in WDR 5 | 20.12.2024 | 06:55 Uhr
Einer von 50 Millionen
Natürlich bin ich spät dran. Es ist ja – wie jedes Jahr – immer dasselbe. Ich bin einer von 50 Millionen Deutschen, die Weihnachten unter einem Tannenbaum feiern. Und erst heute erinnere ich mich daran, dass ich dafür noch einen Weihnachtsbaum kaufen muss. Jetzt ist schon fast Ausverkauf. Und ich sorge mich ein bisschen, dass ich heute nur noch schiefe, kahle, zu große oder zu kleine Bäume finde, aber ich bleibe optimistisch. Bisher hat es jedes Jahr um diese Zeit noch geklappt. Und meine Familie freut sich jedes Mal.
Ich weiß, dass der Weihnachtsbaumkauf durchaus in der Kritik steht. Wäre ein Plastikweihnachtsbaum nicht ökologisch sinnvoller? Muss es ein gefällter Baum sein? Können wir nicht auch einfach mit ein wenig Tannengrün feiern? Für uns kommt das aber nicht in Frage. Der Baum muss sein. Da sind wir uns als Familie an Weihnachten mal erstaunlich einig. Vor zwei Jahren haben wir mal vergessen, die Krippe aufzubauen. Selbst die Kinder haben es zuerst nicht gemerkt. Mit dem Weihnachtsbaum wäre uns das nie passiert. Typisch deutsch, könnte man sagen.
Denn wohl von Deutschland aus hat der Weihnachtsbaum seinen Siegeszug über die halbe Welt angetreten. Immergrüne Pflanzen haben sich die Menschen zwar schon in der Antike in ihre Behausungen geholt. Und die Germanen taten das im Winter gerne mit Tannenzweigen zum Schutz vor bösen Geistern und zur Erinnerung an den kommenden Frühling. Aber erst im Mittelalter fand der Baum seinen Weg ins Weihnachtsfest. Von Deutschland aus in die halbe Welt. In den beliebten Krippenspielen nahm er zunächst die Rolle als Paradiesbaum ein, von dessen Früchten Adam und Eva nicht essen sollten. Dann registrierte man wohl, dass er auch hübsch anzusehen war und nach und nach fand er in den folgenden Jahrhunderten seinen Weg in immer mehr Haushalte. Schon damals hatte dieser Brauch seine Kritiker. So fand ein Straßburger Prediger im 17. Jahrhundert: „Unter anderen Lappalien, damit man die alte Weihnachtszeit mehr als mit Gottes Wort begehet, ist auch der Weihnachts- und Tannenbaum, den man zu Hause aufrichtet, denselben mit Puppen und Zucker behängt und ihn herinach schütteln und abblümeln lässt. Wo die Gewohnheit herkommt, weiß ich nicht. Es ist ein Kinderspiel …“
Ja, da ist was dran, denke ich, zwischen all den Nordmanntannen und Blaufichten, immer noch auf der Suche nach dem richtigen Christbaum. Jedes Jahr eine Tanne „verbrauchen“, da könnte man doch eine im Garten pflanzen und schmücken. Haben wir auch schon einmal überlegt. Und wieder verworfen. Der Baum im Garten kann den im Haus nicht ersetzen. Und das hat Gründe.
Weihnachten ist nun mal das Familienfest schlechthin. Und der Baum ist in unserer Familie der zentrale Baustein. Wenn wir ihn hereinholen und schmücken, sind alle dabei. Müssen alle dabei sein. Denn dann kommt eine meist friedliche und von allen Seiten kompromissbereite Auswahl des Baumschmucks und der Begleitmusik. Dabei kommen wir als Familie zur Ruhe. Der Baum im Wohnzimmer verändert unser ganzes Haus, verändert uns, macht uns ruhig und feierlich. Es ist ein bisschen verrückt, aber der Baum im Haus ist für uns das sichtbarste Zeichen der Weihnachtsbotschaft: Es grünt Hoffnung für die Welt, es gibt Licht in jedem Dunkel, es gibt Versöhnung in allem Streit und Ruhe in jedem Lärm.
Daher streife ich immer noch im Nieselregen durch den kleinen Nadelwald auf einer Wiese mitten in der Stadt auf der Suche nach dem richtigen Baum. Ich werde schon einen finden, der zu uns passt. Und freue mich mit 50 Millionen anderen in Deutschland auf die gemeinsame Zeit mit ihm und allen, die sich um ihn herum versammeln. Ruhige und friedliche Zeiten wünscht Ihnen Christoph Buysch aus Krefeld.