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Das Geistliche Wort | 22.12.2024 | 08:40 Uhr

Sternenklänge

Nur noch zwei Tage bis Heilig Abend! Da bleibt mir nicht mehr viel Zeit für die letzten Vorbereitungen. Doch was in jedem Fall noch bei mir zuhause dazugehört, ist ein besonderer Stern, beleuchtet und mit vielen Zacken, der sogenannte Herrnhuter Stern. So heißt er, weil eine evangelische Brüdergemeinschaft aus dem Ort Herrnhut in der Oberlausitz bereits vor über 180 Jahren diesen Stern entworfen hat und der seitdem in vielen Häusern hängt – nicht nur in evangelischen. Heute Abend jedenfalls hänge ich ihn bei mir im Wohnzimmer auf. Mit diesem Stern hat es in meiner Familie nämlich eine ganz besondere Geschichte. Und die möchte ich Ihnen heute erst einmal erzählen. Das war wohl vor etwa 25 Jahren im Advent: Mein Mann, die Kinder und ich wohnten damals in einem Mehrfamilienhaus zur Miete. Wir hatten den Herrnhuter Stern bestellt, und der sollte mit der Post geliefert werden. An dem Tag, als der Stern angeliefert wurde, waren wir nicht zu Hause. Aber unser Nachbar half aus und erzählte uns am nächsten Abend, was geschehen war: Zu der Uhrzeit, als die Post den Stern brachte, hatte er oben im Treppenhaus Geräusche gehört und dachte, dass wir das seien. Denn wir wohnten damals über ihm. Er rief unseren Namen – aber es kam keine Reaktion. Er rief noch einmal. Aber auch dieses Mal kam niemand die Treppe heruntergelaufen. Da nahm er das Päckchen mit in seine Wohnung. Tagsdrauf berichtete ihm ein anderer Nachbar aus dem Stockwerk über ihm, dass man versucht hatte, bei ihm einzubrechen. Aber nicht nur bei ihm, sondern auch bei uns hatte jemand versucht, die Tür aufzubrechen. Durch die Rufe des hilfsbereiten Nachbarn war der Einbrecher offensichtlich aufgeschreckt worden und hatte sich kurz darauf aus dem Staub gemacht. – Der Stern hatte uns vor dem Einbruch bewahrt! So haben wir das jedenfalls für uns gedeutet. Und an diese Geschichte muss ich jedes Jahr denken, wenn ich den Stern auspacke.

Musik I: Hans-Jürgen Hufeisen, Engel von Paris

Die Ankunft des Herrnhuter Sterns hat meine Familie und mich vor dem Einbruch in unsere Wohnung bewahrt. So verstehen wir es jedenfalls. Damit hat dieser Stern für uns eine besondere Bedeutung bekommen. Aber er bedeutet mir noch viel mehr.

Jedes Mal, wenn ich den Herrnhuter Stern aus dem Keller hole und ihn zusammenbaue, ist das für mich wie eine kleine Meditationsübung.

Ich setze mich dann in Ruhe hin und stecke die spitzen Papiertüten mit goldenen Klammern zusammen, bis sie allmählich die Form des Sterns annehmen. Mir tut diese kleine Meditationsübung gut. Es ist ein echtes Kontrastprogramm, denn um mich herum sind so viele Menschen ausgesprochen betriebsam und hektisch, gestresst von letzten Einkäufen für Weihnachten. Aber nicht nur in diesen letzten beiden Tagen vor Heiligabend. Viele Menschen in unserer Gesellschaft stehen unter dem permanenten Druck, immer schneller und effizienter werden zu müssen. Das stelle ich sogar fest bei meiner Tätigkeit als Referentin in der Seelsorge im Erzbistum Köln. Wie schwer ist es, gemeinsame Termine zu finden und auch einmal Zeit zu haben für ein persönliches Gespräch auf dem Flur oder im Büro? Mir kommt es ganz allgemein so vor: Wir beschleunigen uns immer weiter und haben doch oft selbst Mühe hinterherzukommen. Da geht vielen oft der Atem aus. Wie wäre es dagegen, sich selbst bewusst zu entschleunigen, so wie beim Zusammenbasteln des Herrnhuter Sterns oder einer anderen Form, die eigene Wohnung für Weihnachten zu dekorieren? Das wäre doch eine sinnvolle Unterbrechung. Denn wenn ich mich nur darauf konzentriere, Geld zu verdienen, meinen Körper und mein Leben zu optimieren, dann werde ich vor lauter Anstrengung am Ende vielleicht mit leeren Händen dastehen und nichts mehr davon haben, weil ich erkrankt, erschöpft und aufgebraucht bin. Ich merke das manchmal selbst in meinem eigenen Lebensalltag: Wenn ich unentwegt versuche, ein hohes Tempo einzuhalten oder mich gar noch zu steigern, dann komme ich irgendwann an meine Grenzen. Es klingt paradox: Aber die permanente Beschleunigung führt letztlich für viele Menschen zur inneren Erstarrung und zu einem geistigen Stillstand. Das ist so wie in einem Hamsterrad: obwohl man immer schneller wird, kommt man nicht von der Stelle. Viele Menschen spüren das auch. Was aber dagegen tun? Wie herauskommen aus dem Hamsterrad?

Musik II: Hans-Jürgen Hufeisen, San Raffaele

Raus aus dem Hamsterrad des immer schneller, effektiver und gewinnbringender. Aber wie? Ich habe gelesen: Immer mehr Menschen beschäftigen sich heute wieder mit Sternen – nicht dem Herrnhuter, sondern mit der Deutung der Sterne, also der Astrologie. Sie schauen Sendungen im Fernsehen oder studieren ihre Horoskope. Inzwischen gibt es sogar Astro-Apps, die man sich auf das Smartphone herunterladen kann. Diese Apps erleben geradezu einen Boom. Die Menschen, die sie nutzen, befragen die Sterne und versuchen zu ergründen, wie sie ihre beruflichen oder privaten Termine entsprechend danach ausrichten können. Ob das hilft, der allgemeinen Beschleunigung zu entgehen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass solche Sterndeutungen das Schicksal bestimmen können. Allein die Tatsache, den Himmel von einem anderen Planeten aus zu betrachten, bedeutet doch, dass die Sternbilder gar nicht mehr existieren. Und Menschen, die am selben Tag zur selben Zeit geboren sind, durchleben nicht zwingend dasselbe Schicksal.

Aber eines ist doch bemerkenswert: die Menschen, die ihr Leben nach den Sternen richten, haben doch irgendwie eine Ahnung, dass es etwas gibt, dass sie selbst und ihr Schicksal oder ihren Charakter mit etwas Anderem und Größerem verbindet. Es ist vielleicht auch so etwas wie eine Suche nach Orientierung. Ganz nach dem Motto: Es muss doch mehr im Leben als alles geben. Dieses Motto zeigt doch, dass dem Menschen etwas fehlt, obwohl er offenbar alles hat. Gerade jetzt kurz vor Weihnachten zeigt sich mir das: Es gibt offensichtlich eine tiefe Sehnsucht nach etwas, das über den Menschen hinausgeht – und eben nicht in dieser Welt aufgeht, bei allem Konsum und aller Macht. Menschen suchen nach etwas, das größer ist als sie selbst: das, was „die Welt im Innersten zusammenhält“, wie es Goethe einmal formuliert hat.

Musik III: Hans-Jürgen Hufeisen, Michel Angelo

Es muss doch mehr als alles geben! Und was hält die Welt im Innersten zusammen? Und wo ist schließlich mein Platz in dieser Welt? Im Buch des Propheten Jesaja im Alten Testament finde ich eine Spur. Da spricht der Prophet im Namen Gottes (Jes 43,1): „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Dabei handelt es sich nicht nur um eine bloße Aussage, dass es Gott ist, der uns Menschen geschaffen hat und uns behandelt wie seinen Besitz. Vielmehr kommt darin für mich zum Ausdruck: Gott überlässt den Menschen nicht sich selbst, sondern Gott will eine offene und freie Beziehung zu jedem von uns. Gottes Wort ruft nach einer Antwort von mir – eigentlich von jedem Menschen. Das allerdings erfordert etwas von uns: ein offenes und hörendes Herz. Es geht – allgemeiner gesagt – um eine Empathie und Sensibilität für das Leben. Und so frage ich mich: Stehe ich einer schweigenden Sternenwelt oder gar einem feindlichen Universum gegenüber? Fühle ich mich verbunden mit anderen, mit der Welt? Gibt es etwas, das über die sichtbare Wirklichkeit hinausgeht, etwas Transzendentes, Göttliches? Und noch etwas spezieller: Traue ich Gott zu, mich anzusprechen? Traue ich ihm zu, dass er mir vertraut? Solche Fragen lassen sich nur schwer beantworten. Aber ich muss sie mir erst einmal stellen. Und dazu hilft es, den gewohnten Rhythmus zu unterbrechen und zur Ruhe zu kommen – mir hilft das jedenfalls. Konkret heißt das dann nicht nur, mich selbst zu unterbrechen, sondern auch das zu hinterfragen, was ich bislang ungefragt einfach so hingenommen habe. Meine Erfahrung ist: Wer mit einem hörenden Herzen auf das reagiert, was ihm begegnet, der kann ein neues Vertrauen gewinnen, in die eigene Existenz, in den anderen und in die Welt. Deshalb ist es gut, immer mal wieder aus dem täglichen Hamsterrad herauszutreten, um aufmerksam und sensibel wahrzunehmen, was mir begegnet. Und wer weiß, was da an Neuem auf mich zukommt?

Musik IV: Hans-Jürgen Hufeisen, Der Zaubergesang der Cherubim

Es klingt wie eine kleine Übung: Unterbrechen, aus dem Hamsterrad heraustreten, um aufmerksam und sensibel zu werden für Neues.

Das gehört auch zum Grundprogramm eines berühmten Denkers und Dichters, der genau an diesem Weihnachtsfest vor 400 Jahren geboren wurde: Angelus Silesius, eigentlich Johannes Scheffler. Er zählt zu den bedeutendsten barocken Schriftstellern, stammte aus Schlesien und konvertierte zum katholischen Glauben. In seinem Hauptwerk „Der cherubinische Wandersmann“ lautet sein Motto immer wieder: „Halt an!“ und „Besinne dich!“ Das ruft er jedem ohne Wenn und Aber zu, der auf seinem Lebensweg in die Irre gegangen ist. Angelus Silesius mahnt dann anzuhalten, sich zu besinnen, neu zu denken und letztlich umzukehren. Wie ein roter Faden zieht es sich durch seine kurzen Gedichte: „Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir! Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für.“[1]

Diese Verse sind um das Jahr 1648 entstanden, also in der Zeit, als der 30-jährige Krieg endete. Durch den sogenannten Westfälischen Frieden sollte das jahrzehntelange Blutvergießen in Europa aufhören. Aber dieser Friede war den Menschen wohl noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Daher versuchte Angelus Silesius mit seinen Gedichten den Menschen auf ihren persönlichen Pilgerwegen durchs Leben Führung und Geleit anzubieten. Er wollte ihnen helfen, den eigenen Lebensalltag zu ordnen und damit die eigene Identität zu finden. Für Angelus Silesius gehörte dazu das Wachsen im Glauben. Daher heißt eine seiner Grundaussagen: „Mensch, werde wesentlich: denn wenn die Welt vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.“[2] Für Angelus Silesius bedeutet das konkret: geistlich und spirituell zu reifen durch Lesen, Beten und Meditieren, um dann daraus Nächstenliebe zu üben.

Musik V: Hans-Jürgen Hufeisen, Hagia Sophia

Der barocke Mystiker Angelus Silesius mahnt die Leser seiner Verse immer wieder: „Halt an!“ und „Besinne dich!“ Für mich passt diese Mahnung jetzt sehr gut in die Adventszeit. Es geht darum, inne zu halten und in den dunklen Stunden des eigenen Lebens auf ein Licht zu achten, das neue Perspektiven eröffnet. Davon handelt auch ein Lied von Angelus Silesius, in dem er das Bild des Morgensterns auswählt. Das Bild stammt eigentlich aus dem letzten Buch des Neuen Testamentes, der geheimen Offenbarung des Johannes. Hier wird Jesus als „der strahlende Morgenstern“ bezeichnet. Wenn er am Ende der Zeiten aufgeht, dann wird es keine Nacht mehr geben wie es da heißt (vgl. Offb 22,16; vgl. auch 2 Petr 1,19). Angelus Silesius erkennt in der Nacht und dem Morgenstern jeweils Bilder für die innere Wirklichkeit der Seele: Sie lebt in Dunkelheit und Finsternis, in Sorgen und Nöten und strebt dem Licht entgegen. Sie will sich mit Gott vereinigen, in einem mystisch-geistlichen Sinn. Und so ruft die Seele des Menschen nach Gott und bittet ihn zu kommen. Die Seele wünscht sich, dass Gott das Innere des Menschen erleuchten möge, um zu einer tieferen Beziehung zu Gott zu gelangen. Das Lied von Angelus Silesius heißt „Morgenstern der finstern Nacht“.

Für mich ist es ein echtes Adventslied. Denn im Morgenstern sehe ich den Stern von Bethlehem, der Hinweis ist auf die Gegenwart Gottes in der Welt, in der Krippe (vgl. Mt 2). Und mit den frühchristlichen Theologen würde ich weiter sagen: Der Stern ist ein Hinweis darauf, dass Gott im Herzen eines jeden Menschen geboren werden kann. Ich muss es nur zulassen und auch darum bitten.

Die Vorstellung, das Gott im Herzen eines jeden Menschen geboren werden kann, veranschaulicht, dass unser Glaube nicht gemacht werden kann, sondern ein Geschenk ist. Erst wenn die Geburt des Sohnes einen Widerhall im eigenen Herzen findet, dann kann sie auch im Leben Frucht bringen. Und so erinnert Angelus Silesius in einem sehr bekannten Vers: „Wird Christus tausendmal zu Betlehem geborn und nicht in dir: du bleibst noch ewiglich verlorn.“[3]

Und wer weiß, wie die Gedanken des Liedes „Morgenstern der finstern Nacht“ in Ihnen widerhallen? Ich verabschiede mich mit diesem Lied und wünsche Ihnen einen gesegneten vierten Adventssonntag! Ihre Eva-Maria Will aus Köln.

Musik VI: Georg Joseph. Morgenstern der finstern Nacht

Morgenstern der finstern Nacht, der die Welt voll Freuden macht. Jesu mein, komm herein, leucht in meines Herzens Schrein, leucht in meines Herzens Schrein.

Schau, dein Himmel ist in mir, er begehrt dich, seine Zier. Säume nicht, o mein Licht, komm, komm, eh der Tag anbricht, komm, komm eh der Tag anbricht.

Deines Glanzes Herrlichkeit übertrifft die Sonne weit; du allein, Jesu mein, bist, was tausend Sonnen sein, bist, was tausend Sonnen sein.

Du erleuchtest alles gar, was jetzt ist und kommt und war; voller Pracht wird die Nacht, weil dein Glanz sie angelacht, weil dein Glanz sie angelacht.

Deinem freudenreichen Strahl wird gedienet überall; schönster Stern, weit und fern ehrt man dich als Gott den Herrn, ehrt man dich als Gott den Herrn.

Ei nun, güldnes Seelenlicht, komm herein und säume nicht. Komm herein, Jesu mein, leucht in meines Herzens Schrein, leucht in meines Herzens Schrein.“


Literaturhinweise:

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Rosa, Hartmut: Demokratie braucht Religion, München 2022.

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Angelus Silesius: Der Himmel ist in dir. Von der Seelenlust mystischer Frömmigkeit, eingeleitet und herausgegeben von Manfred Baumotte, Zürich, Düsseldorf 1997.

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Sudbrack, Josef: Die Lehre von der dreifachen Gottesgeburt, in: Andreas Schönfeld (Hg.): Spiritualität im Wandel. Leben aus Gottes Geist, Würzburg 2002, S. 225-230.


[1] Angelus Silesius, Der cherubinische Wandersmann, 1. Buch, Nr. 82.

[2] Angelus Silesius, Der cherubinische Wandersmann, 2. Buch, Nr. 30.

[3] Angelus Silesius, Der cherubinische Wandersmann, 1. Buch, Nr. 61.

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