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Das Geistliche Wort | 01.01.2025 | 08:40 Uhr
The same procedure as last year?
Guten Morgen und zunächst Ihnen ein gutes und gesegnetes neues Jahr 2025!
Haben Sie gestern wie ich auch den Silvesterklassiker im Fernsehen gesehen?
Sie wissen schon: „Dinner for one“, mit der vielzitierten Frage: „The same procedure as last year?“ Dieselbe Prozedur wie letztes Jahr?
Ich bin Fan von dem schrulligen Buttler James im Haus von Miss Sophie, einer älteren adligen Dame. Jahr für Jahr verrichtet James am Geburtstag von Miss Sophie dieselben Dienste und versucht die vier bereits verstorbenen Ehrengäste von Miss Sophie so gut es geht zu ersetzen. Vom ständigen Zuprosten betrunken, stolpert er immer wieder über den Tigerkopf, der wie eine Trophäe auf dem Boden liegt. Der rund 20-minütige Fernsehsketch gehört zum deutschen Silvester wie Fondue, Feuerwerk oder Bleigießen. Immerhin: Er lockt seit 1972 jeweils am letzten Tag des Jahres Millionen von Zuschauern vor die Bildschirme. 1997 hatte der Sketch, der in allen Dritten Programmen der ARD läuft, erstmals mehr Zuschauer als die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers. Irgendwie faszinierend: Jedes Jahr an Silvester das Gleiche – und damit eigentlich nichts Neues!
Dabei hat „Dinner for one“ gar nichts mit Silvester und dem Jahresende zu tun. Es geht um den 90. Geburtstag von Miss Sophie. Aber mit den legendären Worten des Butlers "The same procedure as last year, Miss Sophie?" passt der Sketch dann vielleicht doch wieder ganz gut zur Jahreswende, wiederholt sich da ja auch vieles: Feiern, warten bis um 12 und dann Anstoßen auf ein neues Jahr und der Wunsch: „Prosit – Frohes Neues!“.
Musik 1: Morgenstimmung von Grieg
The same procedure as last year? Diese Frage stelle ich mir jedes Jahr zum Jahreswechsel. Und jetzt ist für mich schon klar: Vieles wird so laufen wie in jedem Jahr. Der Terminkalender zeigt es mir schon an: Regelmäßig wiederkehrende Termine im Gemeindeleben hier in Brakel in Ostwestfalen, wo ich Pfarrer bin. Die Feiertage sind schon markiert, die Erstkommunion der Kinder und besondere Gottesdienste während des ganzen Jahres, dann natürlich die Schützenfeste, die ja hier in Ostwestfalen von besonderer Bedeutung sind. Aber auch Geburtstagstermine und besondere Gedenktage in meiner Familie. Vieles hat sich im Laufe meines Lebens eingespielt. Das Rad dreht sich und ich stelle bei mir fest: Genau das gibt mir Sicherheit: Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr eben.
Aber das ist natürlich nicht alles. Denn es gibt ja zum einen keine Wiederholung der Geschichte. Alles ist immer einmalig, mag es noch so gleich erscheinen. Und zum anderen: Da sind dann immer auch die leeren Seiten in meinem Kalender, den ich mit dem heutigen 1. Januar aufschlage: Und die stehen für mich für die vielen Ungewissheiten und all die Dinge, die ich im Vorfeld nicht planen kann. Zukunft ist eben auch immer offen.
Und das ist für mich durchaus ambivalent: Bei aller Neugierde und Freude auf das, was da kommen mag, ist auch immer etwas Angst dabei. Ich frage mich besorgt: wohin bewegt sich unsere Welt?
Der Krieg in der Ukraine scheint kein Ende zu nehmen.
Der Konflikt im Nahen Osten brodelt nicht erst seit dem 7. Oktober 2023, sondern seit Jahrzehnten.
Dann ist da die Machtübernahme in den USA durch den neu gewählten Präsidenten Donald Trump.
Ganz zu schweigen von der Wahl hier bei uns in Deutschland. Überhaupt zeigen die letzten Landtagswahlen, dass in unserem Land vieles in Bewegung ist. Demokratie zwingt zu Kompromissen, so dass es neue – zum Teil unerwartete – Regierungskonstellationen gibt.
Und wenn ich dann auf die katholische und auch auf die evangelische Kirche schaue: Hier zeichnen sich große Veränderungen ab. Die Volkskirchen, wie es sie lange Zeit gab, werden so nicht mehr weiter existieren.
Vieles ist im Umbruch. Nun, Veränderungen gehören zum Leben dazu, sonst gäbe es ja einen Stillstand, und den will ich ja auch nicht. Aber Veränderungen sind auch beunruhigend, denn an vieles habe ich mich in den letzten Jahrzehnten gewöhnt, und nicht nur ich.
Damit steht jetzt auch vieles auf dem Prüfstand:
Der ständige Glaube an ein wirtschaftliches Wachstum: Ist der Traum ausgeträumt?
Die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in einem vereinten Europa: Steht die Einheit auf dem Spiel?
Die Vorstellung, dass die bisherigen kirchlichen Strukturen noch weitertragen. Wird es noch kirchliches Leben geben und wenn ja: Wie sieht das dann aus?
Offene Fragen, deren Antwort erst die Zukunft zeigen wird – und das nicht nur in Bezug auf die großen gesellschaftspolitischen Themen. Das gilt auch für die vielen persönlichen Dinge: Werde ich gesund bleiben? Was wird aus meiner Familie? Was wird aus meiner Arbeit? Also doch nicht: The same procedure as last year?
Musik 2: Hufeisen: Kanon von Pachelbel
Was wird wohl die Zukunft bringen? Braucht es nicht einen gehörigen Schub von Hoffnung und Zuversicht, wenn es um die Zukunft geht?
Das neue Jahr 2025 ist für die katholische Kirche ein besonderes Jahr. Es wird als ein Heiliges Jahr begangen. Die Idee ist schon sehr alt und geht auf Papst Bonifaz VIII. zurück. Der rief zunächst nur für die Römer ein Pilgerjahr aus. Das war im Jahr 1300. Seitdem wird ein Heiliges Jahr alle 25 Jahre begangen und dazu sind inzwischen alle Katholiken eingeladen, weltweit. Zum Heiligen Jahre gehören dann die Wallfahrt nach Rom dazu und das Durchschreiten der Heiligen Pforten in den vier großen Basiliken. Das sind der Petersdom, die Basilika Maria Maggiore, St. Paul vor den Mauern und San Giovanni im Lateran. Und das Besondere in diesem Jahr ist: Erstmals wird in einem Gefängnis eine Heilige Pforte eröffnet. Diese Aktion geht auf Papst Franziskus zurück, der damit ein Zeichen setzen will, passend zu dem Motto, unter das er das ganze Heilige Jahr 2025 stellt: „Pilger der Hoffnung“. Sehr passend für unsere Zeit, so wie ich sie erlebe.
Angesichts der Kriege, einer zunehmenden Vereinzelung und von Ungerechtigkeit in der Welt, wirbt Papst Franziskus für Zeichen der Hoffnung. Er mahnt den Frieden an, fordert einen Schuldenerlass für arme Länder, unterstützt eine Kultur des Lebens und erwartet Solidarität mit Migranten und Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. „Lasst die Hoffnung wieder aufleben“, sagt der Papst und erinnert damit daran, dass wir Christen eine Botschaft der Hoffnung haben, die Kraft und Zuversicht geben kann angesichts der vielen Unsicherheiten.
Musik 3: Antonio Vivaldi - Arie "Se in Ogni Guardo - Ensemble PANtiqua - Hannah Schlubeck, Panflöte
Pilger der Hoffnung sein, so nennt der Papst das Heilige Jahr 2025. Ich verstehe das so: Mit der Hoffnung unterwegs durch das Leben gehen. Und so stelle ich mir die Fragen: Was lässt mich hoffen? Was trägt mich? Welche Hoffnung hält mich über Wasser, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht?
Hoffnung nährt sich für mich nicht nur von logischen Erklärungen oder philosophischen Theorien. Hoffnung lebt vielmehr von Geschichten, die wir einander erzählen können, vom gelingenden Leben trotz des Scheiterns. Solche Geschichten können Hoffnung wecken gerade auch bei anderen Menschen, die sie hören.
Voll von solchen Hoffnungsgeschichten ist die Bibel. Und eine davon ist mir seit Jahren besonders wichtig und trägt mich durch so manche Schwierigkeit und manchen Frust: Es ist nämlich die Geschichte von einem, dem das Wasser bis zum Hals steht. Es ist die Geschichte von Noah. Der war ein frommer Mann ohne Tadel. Er wandelte mit Gott. Dann sieht er eines Tages eine große Katastrophe auf sich und die ganze Welt zukommen. Gott hatte ihm angekündigt: Ein Neuanfang mit der wildgewordenen Schöpfung und den missratenen Menschen ist nötig. Deshalb soll eine gigantische Flut alles Leben zerstören – quasi ein Reset der Schöpfung. Aber um Noah und seine Familie zu retten, fordert Gott ihn auf: "Bau ein Schiff", die Arche. Und dazu gibt er ihm einen genauen Bauplan: Es soll ein Kasten aus Tannenholz werden mit Kammern da drin, ein Fenster, eine Tür, drei Stockwerke; der ganze Kasten mit Pech versiegelt innen und außen.
Als die Arche fertig ist kommt der Regen, 40 Tage und Nächte am Stück, auf der ganzen Welt. Die Sintflut. Vieles aus dem alten Leben wird weggespült. Noah, seine Familie und die Tiere verlieren den Boden unter den Füßen. Aber die Arche ist dazu da, ihnen Halt und Schutz zu geben. Geborgenheit mitten im Unheil. Die Arche ist im wahrsten Sinne des Wortes jetzt der Grund, auf dem sie stehen können und damit das Bild für ihre Hoffnung. Noah hat schon beim Bau der Arche nach vorne geblickt: Es wird Zukunft geben, irgendeine Form von Rettung, irgendeine Form des Lebens, des Überlebens. Gott selbst hatte ihm bereits beim Auftrag, die Arche zu bauen, einen "Bund" versprochen. Aber was würde das sein? Vermutlich wären Noah und seiner Familie konkrete Daten für die Rückkehr ins alte Leben lieber gewesen. Dazu einen Plan für die Zeit nach der Sintflut, genauso detailliert wie beim Bau der Arche. Beides bekommen sie nicht.
Nach vierzig Tagen, so heißt es in der Hoffnungsgeschichte, öffnet Noah das Fenster der Arche. Er lässt eine Taube ausfliegen, um zu erfahren, ob die Wasser sich verlaufen haben und die Erde trocken ist. Da aber die Taube nichts findet, wo ihr Fuß wieder ruhen kann, kommt sie wieder zu ihm in die Arche zurück; denn noch ist Wasser auf dem ganzen Erdboden. Dann wartet Noah noch weitere sieben Tage und lässt abermals die Taube fliegen. Und sie kommt zu ihm und hat ein frisches Ölblatt in ihrem Schnabel. Da erkennt Noah, dass die Wasser sich verlaufen haben auf der Erde. Aber er harrt noch weitere sieben Tage aus und lässt die Taube wieder ausfliegen; dann kommt sie nicht wieder zu ihm zurück. Die Sintflut hat ein Ende gefunden. Die Taube ist bis heute zu einem Hoffnungssymbol geworden. Endlich wieder Boden unter den Füßen. Es geht weiter. Es gibt eine Zukunft nach der Flut.
Und jetzt? Einfach wieder normal wie früher leben? Nie wieder eine Krise? So geht die Geschichte nicht aus. Noahs Geschichte damals nicht, und auch unsere Lebensgeschichten heute nicht. Krisen, Sorgen, Nöte gehören zum Leben dazu.
Aber es gibt sie doch auch, die Ölzweige der Hoffnung, sodass man wieder Boden unter die Füße bekommt. Und dazu macht Gott eine Zusicherung, sein Bund mit Noah. Da heißt es dann (Gen 9,13-15):
Sprecher:
"Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund…"
Damit setzt Gott ein Hoffnungszeichen. Den Regenbogen. Eine Art Geheimzeichen zwischen Gott und den Menschen, dass die gemeinsame Geschichte ihren Grund und ihre Zukunft hat. Und das Zeichen will sagen: Vergiss das Hoffen nicht!
Wichtig an der Hoffnungsgeschichte ist dabei für mich folgendes: Den Bogen in den Wolken gibt es nicht an den Sonnentagen des Lebens, aber er leuchtet dann auf, wenn alles verregnet und dunkel verhangen ist. Und die gebogene Form mit ihrem Anfang und dem Ende erinnert mich daran, dass die Hoffnung einen Grund und ein Ziel hat. Ich weiß natürlich, dass diese Hoffnungsgeschichte ein alter Mythos ist. Aber keine Hoffnungszeichen in den dunklen Stunden des Lebens zu haben – wäre das die Alternative? Nur – wie sehen die heute aus?
Musik 4: Cantabile for You, E. Pasini - 4.4.21, Altenberger Dom - H. Schlubeck, Panflöte - A. Meisner, Orgel
Neue Hoffnungszeichen, wie können die aussehen, gerade dann, wenn mein Leben ungewiss wird oder mir das Wasser bis zum Hals steht? Was wäret, wenn alles so ganz anders verläuft, wie ich es mir erträumt habe und es nicht heißt: The same procedure as last year?
Für mich sind es die Hoffnungsgeschichten, die wir einander erzählen können, von den geglückten und gelungenen Erfahrungen im Leben. Wir können uns doch gegenseitig Mut und Zuversicht zusprechen, indem wir von Geschichten erzählen, die gut ausgegangen sind.
Dabei ist für mich ein Gedanke sehr wichtig, den der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer einmal formuliert hat. Er sagt:
Sprecher:
„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“[1]
Wenn das stimmt, dann darf ich doch Hoffnung haben und auch davon erzählen. Denn wir haben einen Grund zur Hoffnung – davon bin ich überzeugt – und wir müssen mehr davon erzählen.
Bleiben Sie mit der Hoffnung unterwegs, dann wird das neue Jahr ein gutes neues Jahr.
Das wünscht Ihnen Ihr Pfarrer Andreas Kurte aus Brakel im Kreis Höxter.
Musik 5: „von guten Mächten“ oder „Mögen Engel dich begleiten“….
[1] Widerstand und Ergebung, DBW Band 8, Seite 30.