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Märtyrer des 20. Jahrhunderts

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Das Geistliche Wort | 26.12.2024 | 08:40 Uhr

Märtyrer des 20. Jahrhunderts

Guten Morgen und noch ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Es ist fast auf den Tag genau 80 Jahre her: zwei Menschen starben innerhalb weniger Tage hintereinander in Berlin-Plötzensee, hingerichtet von den Nationalsozialisten: der Jesuit Alfred Delp und der protestantische Jurist und Familienvater Helmuth James Graf von Moltke. Beide sind für mich Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Von ihnen will ich erzählen, heute an dem Tag, wo des ersten Märtyrers im Christentum gedacht wird, des heiligen Stephanus. Ich bin Mathias Albracht, Seelsorger aus Münster und muss zugegeben: Ein hartes Thema und auf den ersten Blick wenig passend zur festlichen Weihnachtsstimmung. Aber Weihnachten kennt nicht nur den lieblichen Jesusknaben mit lockigem Haar, sondern auch die Bereitschaft sich zu diesem menschgewordenen Gott zu bekennen – mit aller Konsequenz, bis zum Zeugnis durch das eigene Leben. Zeuge heißt nämlich im Griechischen „mártys“ und davon leitet sich das Wort „Märtyrer“ ab.

Leider ist der Begriff „Märtyrer“ heute oftmals belastet durch seine verzerrte Darstellung im Kontext religiösen Extremismus. Da werden Selbstmordattentäter zu Märtyrern erklärt. Dabei gibt es aber auch die anderen Märtyrer, die unschuldig leiden, die ungerecht verfolgt werden, wegen ihrer Religion, oder wegen ihrer daraus genährten Überzeugungen und Hoffnungen, wie eben Alfred Delp und Helmuth James Graf von Moltke.


Musik 1: Johann Sebastian Bach, Cello Suite Nr. 1.1, Prelude


Alfred Delp und Helmuth James Graf von Moltke, zwei Menschen mit sehr unterschiedlichen Lebenswegen, die sich wahrscheinlich nie begegnet wären, hätte sie nicht dasselbe Schicksal ereilt, gegen den Nationalsozialismus zu kämpfen. Vor 80 Jahren waren sie gemeinsam im Gefängnis in Berlin und warteten auf ihren Prozess vor dem gefürchteten Volksgerichtshof.

Aber um die beiden etwas besser kennenzulernen, muss man natürlich weiter zurückblicken.

Moltke wurde 1907 in eine mecklenburgische Adelsfamilie geboren. Im selben Jahr erblickte Alfred Delp in Mannheim das Licht der Welt – ein Kind einfacher Verhältnisse.

Moltke übernahm das väterliche Gut und wurde Jurist, Experte für internationales Privatrecht und Völkerrecht. Delp trat den Jesuiten bei, inspiriert von der intellektuellen Jugendarbeit des Ordens und wurde Erzieher und Seelsorger. Später gab er dann die jesuitische Kulturzeitschrift “Stimmen der Zeit” heraus, die es heute noch gibt.

Auf den ersten Blick verbindet die beiden Männer wenig. Doch im Innersten waren beide von der Sehnsucht nach einer gerechteren und besseren Welt erfüllt. Sie beschäftigte dieselbe Frage: Wie kann eine zukünftige Gesellschaft und können künftige Generationen zu dieser gerechteren und besseren Welt beitragen?

Molke reflektiert 1944 in einem Brief an seine Söhne seine moralische Grundhaltung dazu:

„… ich habe mein ganzes Leben lang (…) gegen einen Geist der Enge und der Gewalt, der Überheblichkeit und der mangelnden Ehrfurcht vor Anderen, der Intoleranz und des Absoluten, erbarmungslos Konsequenten angekämpft, der in den Deutschen steckt und der seinen Ausdruck in dem nationalsozialistischen Staat gefunden hat.“[1]

Schon sehr früh betrachtete Moltke Hitler und die NSDAP sehr kritisch. Und so verzichtete er bereits 1933 auf eine Anstellung als Richter, obwohl er ein sehr erfolgreicher Jurist war. Mit Kriegsbeginn wurde er als „Kriegsverwaltungsrat“ im Staatsdienst tätig und setzte sich, soweit es seine Position erlaubte, für die Einhaltung des Völkerrechts und den Schutz von Kriegsgefangenen ein. Zu dieser Zeit entstanden erste Entwürfe von Denkschriften, in denen er eine bessere Staatsordnung skizziert – eine Alternative zu dem repressiven System, in das er sich gezwungenermaßen einfügen musste. Mit der Zeit sammelten sich Gleichgesinnte um ihn. Ein Gesprächskreis entstand, der später als „Kreisauer Kreis“ bekannt wurde, und sich als politische Widerstandsgruppe verstand.

Musik 2: Johann Sebastian Bach, Cello Suite Nr. 2.5, Menuet

Alfred Delp war zu Kriegsbeginn als Lehrer an Schulen seines Ordens in Feldkirch und in St. Blasien im Schwarzwald tätig. 1937 wurde er zum Priester geweiht. Und auch er setzte sich immer wieder intensiv mit den Gesellschaftsvorstellungen dieser Zeit auseinander, die ihm zutiefst widerstrebten.

Für ihn stellte sich der vom Nationalsozialismus gefangene Mensch so dar:

„An seinen Horizonten gingen keine ewigen Sterne mehr auf, und in sein Dasein fiel kein jenseitiges Licht mehr. (...) Und so verfällt der Mensch einer Weltangst, die ihn innerlich aushöhlt und zu jeder echten Tröstung unfähig macht. Er versucht, seine innere Leere durch Pathos, durch die stolze Gebärde zu überwinden. Er versucht, die innere Angst durch die Flucht in die Herde, in das Kollektiv zu bändigen. Das Ergebnis ist der daseinsmüde Mensch, der jeder Gewalt sich ergibt und jedem stolzen Wort verfällt.“[2]

Delp und Moltke waren beide dagegen tief geprägt durch ihren christlichen Glauben. Und so sahen sie den Menschen zu mehr berufen, als zur funktionalen Unterordnung in einem System. Für sie war der Mensch dazu bestimmt, aktiv eine bessere und gerechtere Welt für alle zu gestalten.

Vermutlich brachte sein Ordensoberer den Jesuiten Alfred Delp mit der Gruppe um Helmuth James Graf von Moltke zusammen. Bei den Begegnungen sind es immer wieder zwei Themenbereiche, die Delps Leidenschaft entfachen: Zum einen soziale Gerechtigkeit und gegenseitige Fürsorge, die aus der göttlichen Würde jedes Menschen erwächst; dafür gilt es sich einzusetzen. Zum anderen die Rolle der Kirche im Widerstand; und wie könnte der aussehen? Delp war für Moltke und seinen Kreis ein äußerst willkommener Neuzugang, passten Delps Überlegungen doch gut zu deren Gedanken.

Und so entstand schon bald ein Traum von der „Zeit danach“, also nach dem Krieg – ein Traum von einem neuen Deutschland: als humanistischer Staat von mündigen Bürgern sollte Deutschland Verantwortung in einem friedlichen Europa übernehmen. Für mich klingt das wie eine Vision, die heute zum Teil Wirklichkeit geworden ist, wenn auch fragil und gefährdet.

Für die völkisch-nationalsozialistische Ideologie dagegen bedeuteten solche Überlegungen des Kreisauer Kreises den Beginn des Hochverrats. Denn Deutschland wollte Europa unterwerfen und nicht friedlicher Teil innerhalb Europas sein.

Schließlich wird das Jahr 1944 zum Schicksalsjahr für Delp, Moltke und ihre Gruppe. Anfang des Jahres wird Moltke enttarnt. Er hatte versucht, Mitglieder eines befreundeten Widerstandskreises vor der Gestapo zu warnen. Am 19. Januar wird er verhaftet und in das Konzentrationslager Ravensbrück gebracht.

Auch Alfred Delp wird verhaftet, allerdings erst am 28. Juli und kommt in die Justizvollzugsanstalt nach Berlin, Lehrter Straße, wo er gefoltert wird. Auf ihn war eine Sonderkommission mit 400 Ermittlern aufmerksam geworden nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler im Juli 1944.

Musik 3: Johann Sebastian Bach, Cello Suite Nr. 2.3, Courante

Moltke und Delp bezahlen 1944 für ihr Engagement endgültig mit ihrer äußerlichen Freiheit und kommen in Haft. Beide werden schließlich in die Justizvollzugsanstalt Tegel verlegt und warten in benachbarten Zellen auf ihren Prozess vor dem Volksgerichtshof, ein Schauprozess unter dem berüchtigten Richter Roland Freisler. Delp nutzt die Zeit im Gefängnis, um geistliche Texte zu schreiben. Seine Adventsmeditationen von 1944 werden heimlich aus seiner Zelle hinausgeschmuggelt. Sie zeugen von seinem ungebrochenen Glauben an Gott und das Gute trotz der unheilvollen und finsteren Umstände, in denen er sich befindet. Delp schreibt:

„Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten: Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen.

Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort.

Die Kunst und der Auftrag ist nur dieser, aus diesen Einsichten und Gnaden dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung zu machen und werden zu lassen. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir immer gesucht haben.”[3]

Auch Moltke schreibt aus der Haft, und zwar an seine Frau Freya:

„Wir haben keine Gewalt anwenden wollen, keinen einzigen organisatorischen Schritt unternommen, mit keinem einzigen Mann über die Frage gesprochen, ob er einen Posten übernehmen soll. Wir haben nur gedacht. Wir werden gehenkt, weil wir zusammen gedacht haben.”[4]

Kurz darauf schreibt er von seinem Schlagabtausch mit dem gefürchteten Roland Freisler:

„Freisler sagte zu mir in einer seiner Tiraden: ‚Nur in einem sind das Christentum und wir gleich: wir fordern den ganzen Menschen!‘ Ich weiß nicht, ob die Umsitzenden das alles mitbekommen haben, denn es war eine Art Dialog - ein geistiger zwischen Freisler und mir, denn Worte konnte ich nicht viele machen -, bei dem wir uns durch und durch erkannten. Von der ganzen Bande hatte nur Freisler mich erkannt, und von der ganzen Bande ist er auch der einzige, der weiß, weswegen er mich umbringen muß.”[5]

Zu keinem Zeitpunkt des Prozesses bestand weder für Alfred Delp noch für Helmuth James Graf von Moltke die Chance, dass sie lebendig wieder zurückkehren, zur eigenen Familie oder zu den Mitbrüdern im Jesuitenorden.

Moltke wird am 23. Januar 1945 gehängt. Delp zehn Tage später.

Musik 4: Johann Sebastian Bach, Cello Suite Nr. 3.2, Allemande

Mich berührt die Geschichte von Helmuth James Graf von Moltke und Alfred Delp, deren Überzeugung sie zutiefst verbunden hat und das sogar über konfessionelle Grenzen hinweg. Ihr Widerstand war getrieben von einer Spiritualität und Hoffnung, dass der Mensch seine Würde wiederfindet, mag sie auch noch so verdunkelt sein, wie im Nationalsozialismus.

80 Jahre ist es nun her, dass sie gemeinsam ihrer Hinrichtung entgegensehen mussten und zu Märtyrern des 20. Jahrhunderts wurden.

Ihre Namen stehen stellvertretend für unzählige Männer, Frauen und Kinder, deren Hoffnung, Hingabe und Schicksale auf eine mögliche bessere und gerechtere Welt verweisen – bis heute noch. Denn auch für unsere friedlose und düstere Welt heute trägt der Glaube die revolutionäre und verwandelnde Erkenntnis, dass das Licht der Liebe und Menschlichkeit längst in diese Welt hineingeboren wurde und dass es uns alle als Geschwister einen kann, wenn wir ihm einen Platz im Leben, im Herzen und in unserem Willen zur Gestaltung dieser Welt anvertrauen.

In einem seiner letzten Texte aus dem Gefängnis wendet sich auch Alfred Delp dem Kern dieses Geheimnisses, der Geburt Jesu an Weihnachten zu, und schreibt:

„Gott ist mit uns: so war es verheißen, so haben wir geweint und gefleht. Und so ist es seinsmäßig und lebensmäßig wirklich geworden: ganz anders, viel erfüllter und zugleich viel einfacher, als wir meinten. (...)

Gott wird Mensch. Der Mensch nicht Gott. Die Menschenordnung bleibt und bleibt verpflichtend. Aber sie ist geweiht. Und der Mensch ist mehr und mächtiger geworden. Laßt uns dem Leben trauen, weil diese Nacht das Licht bringen mußte. Laßt uns dem Leben trauen, weil wir es nicht allein zu leben haben, sondern Gott es mit uns lebt.”[6]

Alfred Delp und Helmuth James Graf von Moltke haben aus ihrem Glauben an einen Gott, der die Menschenwürde aufrecht hält und ihnen selbst in den finstersten Stunden beisteht, unerschöpfliche Kraft, innere Freiheit und tiefen Trost geschöpft. Sie sind Zeugen für ein inneres, göttliches Licht, das die Dunkelheit, Enge und Gewalt der Welt nicht überwältigen kann. Jetzt nicht und auch in Zukunft nicht.

Von Herzen alles Gute und Gottes Segen für Sie!

Aus Münster grüßt Sie ganz herzlich, Pastoralreferent Mathias Albracht.

Musik 5: Gustav Holst, Christina Rossetti, In the bleak winter


[1] Abschiedsbrief Helmuth James Graf von Moltkes an seine Söhne Caspar und Konrad vom 11. Oktober 1944.

[2] Alfred Delp: Aus dem Vortrag „Vertrauen zur Kirche“, Fulda am 22.10.1941

[3] “Adventsgestalten” in Paul Bolkovac SJ (Hg.): Alfred Delp. Mit gefesselten Händen, Aufzeichnungen aus dem Gefängnis. 1947.

[4] Brief Helmuth James Graf von Moltkes an seine Frau Freya vom 10. Januar 1945

[5] Brief Helmuth James Graf von Moltkes an seine Frau Freya vom 11. Januar 1945

[6] “Vigil von Weihnachten”, in Paul Bolkovac SJ (Hg.): Alfred Delp. Mit gefesselten Händen, Aufzeichnungen aus dem Gefängnis. 1947.

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