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Kirche in WDR 5 | 08.02.2025 | 07:55 Uhr
Schein und Sein
Guten Morgen,
ich gebe ihm die Hand und versuche zu lächeln. Das gehört sich schließlich so, auch wenn mir gar nicht danach zumute ist. Ich habe mich mehrfach über seinen Umgang mir und anderen gegenüber geärgert.
Über unverschämte Mails und Ansagen. Nun soll ich ihn freundlich verabschieden.
Es fällt mir schwer. Da ringen zwei Seelen in meiner Brust. Freundlich sein zu müssen,
obwohl das Herz ganz anders empfindet. Gute Miene zum bösen Spiel machen.
Irgendwie ja der Klassiker: Es geht mir schlecht, ich empfinde Ärger oder Verdruss und soll trotzdem zu meinen Mitmenschen freundlich sein und sie anlächeln.
Weil das anständig und höflich ist. Als Verkäufer, Pfarrerin, Büroangestellter, Lehrerin, Mutter oder Vater gehört das zum Job.
Aber ab wann verstelle ich mich und ab wann ist es Täuschung?
Wie ehrlich bin ich mir selbst und anderen gegenüber?
Möchte ich selbst angelächelt werden, wenn ich vermuten muss, dass diese Geste gar nicht echt ist? Wie eine Maske, die ich mir aufsetze.
Wahrscheinlich ist vielen von uns die gute Miene zum bösen Spiel schon zur Gewohnheit geworden. Wie eine Standard-Einstellung in meinem Verhalten, über die ich gar nicht mehr nachdenke.
Ich bewundere manchmal Nachrichtensprecher im Fernsehen: Sie müssen selbst über schlimme Ereignisse professionell und ruhig sprechen ohne dabei eine Miene zu verziehen.
Ich weiß, mir gelingt das selten. Ich gehöre eher zu den Menschen, denen es schwerfällt, sich zu verstellen. Mir merkt man immer gleich an, wenn etwas nicht stimmt.
„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an.“ (1. Samuel 16,7, Die Bibel, Luther 2017) steht in der Bibel.
Das tröstet mich, dass ich mich vor Gott nicht verstellen muss.
Gott durchbricht den äußeren Schein.
Sieht großzügig durch meine Maske hindurch. Wer immer wir auch sind.
Vor Gott kann und brauche ich mich nicht zu verstecken.
Sondern kann mein wahres Gesicht zeigen.
Gott sieht das Herz an und was mich im Inneren bewegt.
Gott interessiert sich nicht für mein gutes oder schlechtes Image.
Für die gute Miene zum bösen Spiel. Den Menschen kann ich etwas vormachen, aber bei Gott habe ich damit keine Chance.
Mich erleichtert dieser Gedanke. Ich weiß, ich werde immer wieder eine Maske aufsetzen. Einfach, um besser zu scheinen, als ich bin und mich gerade fühle. Oder weil man es von mir erwartet oder weil ich mir keine Blöße geben möchte.
Nicht jede und jeder muss ja gleich merken wie mir eigentlich zumute ist.
Sollen die anderen doch lieber mein strahlendes Aussehen zu Gesicht bekommen und weniger die dunklen Seiten meiner Seele.
Aber ich weiß zugleich auch: Ich kann mich trauen, mein wahres Gesicht zu zeigen, wenn mir danach ist. Vor Gott und auch vor anderen.
Damit ich sein kann wie ich bin.
Ihre Pfarrerin Christiane Neufang aus Köln.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze