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Das Geistliche Wort | 21.04.2025 | 08:40 Uhr
Brannte nicht unser Herz?
Autor: „Wir aber hofften, wir aber dachten!“ – diesen kurzen Satz habe ich aufgeschnappt an diesem Osterfest. Was habe ich alles gedacht und gehofft in den ganzen letzten Jahren! Und plötzlich sah die Welt ganz anders aus als ich gedacht hatte. Es gibt da eine eher leise, unaufdringliche und wunderschöne Oster-Geschichte, die das Lukasevangelium erzählt. Da fällt dieser Satz: Wir aber hofften, wir aber dachten. Da gehen zwei Jünger Jesu von Jerusalem nach Hause in ihr Heimatdorf Emmaus. Nachdem man ihren Freund und Meister hingerichtet hat am Kreuz, hält sie nichts mehr am Ort des Geschehens. Sie haben zwar schon gehört, dass sein Grab am Morgen leer vorgefunden worden sein soll. Aber das verwirrt sie eher, als dass es ihnen Hoffnung macht. Darauf können sie sich keinen Reim machen. Und kehren dahin zurück, wo sie herkommen.
Ich stelle mir vor, wie sie da unterwegs sind. Wie nah die schrecklichen Ereignisse von Karfreitag noch sind. Wie weh das tut, was man ihrem Freund und Lehrer angetan hat. Wie sie jetzt nur noch wegwollen. Weg aus der Stadt, die für sie mit einem so großen Traum verbunden war: Dass Gottes Reich endlich anbrechen würde. Und allen Krieg, alle Unterdrückung und alles Unrecht beenden würde. Wie viel Hoffnung hatten sie auf ihn gesetzt! Und jetzt ist alle Hoffnung mit ihm gestorben. Durchkreuzt und durchgestrichen. „Wir aber hofften und dachten, er sei es, der Israel erlösen würde!“ sagen sie. Vielleicht ging es Ihnen auch schon mal so. Plötzlich ist alles anders. Und dann brechen Fragen auf: Wie konnte das passieren, wie soll es denn jetzt weitergehen?
Musik 1: Reset
Titel: Reset (feat. Jörg Brinkmann); Komposition: Julian Wasserfuhr & Roman Wasserfuhr; Interpreten: Julian & Roman Wasserfuhr; Album: Mosaic; Label: 2022 ACT Music+Vision GmbH+Co.KG; LC: 85387
Autor: „Wir aber hofften, wir aber dachten!“ So vieles hat sich in den letzten Jahren verändert. Bis Anfang 2020 habe ich gedacht, eine Pandemie würde uns hier nicht wirklich treffen. Bis Anfang 2022 habe ich gedacht: ein brutaler Angriffskrieg von einem Land auf ein anderes, hier in Europa, das wird nicht mehr geschehen. Das haben wir hinter uns. Oder ich denke an den Slogan von früher, mit dem wir auf Demonstrationen gezogen sind: Frieden schaffen ohne Waffen. Ich hoffte und dachte, das geht! Das ist möglich. Und jetzt? Ich weiß noch, wie ich mir in jungen Jahren sehr sicher war: die Demokratie in unserem Land wird nicht mehr wirklich in Gefahr geraten. Die geben wir nach den Erfahrungen der Nazidiktatur und des schrecklichen Weltkrieges nicht mehr her. Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich sehe unsere Demokratie nicht gleich am Abgrund. Aber mir ist heute deutlicher denn je: dass sie bleibt, versteht sich nicht von selbst. Das muss immer wieder neu und hart erarbeitet werden, gerade jetzt. Und ja, ich mache mir Sorgen um das Land, in dem ich lebe – und in dem ich gerne lebe. Und um diese Welt sowieso.
Und dann spüre ich in diesen Wochen manchmal das Bedürfnis, es wie die Jünger zu machen: wegzugehen von Jerusalem nach Emmaus, aus der Welt der schlechten Nachrichten und der lauten, schrillen Töne in das kleine Dorf, in dem nicht viel passiert, in meinen kleinen, privaten Bereich, in dem ich meine Ruhe habe vor all dem. Einfach nichts mehr davon sehen und hören. Wobei ich ja weiß, dass auch in den Dörfern unseres kleinen, persönlichen Lebens so vieles passieren kann. In wie vielen Trauerhäusern habe ich letztes Jahr gesessen, in denen Menschen viel zu früh gestorben sind. Wie oft haben mir Angehörige da gesagt: „Und wir hofften, wir dachten, wir hätten noch Zeit miteinander!“ So wie die Jünger mit ihrem gerade mal dreißigjährigen Meister. Oder: ich denke an den Mann Ende sechzig, dem ich beim Kaffee gegenübersitze. Sein Leben lang war er kerngesund. Leistungsfähig. Stark. Immer voller Tatkraft. Und dann vor einigen Wochen kommt plötzlich eine schwere Diagnose. Die ihm vor Augen führt, dass vieles nicht mehr so gehen wird wie bisher. Er rührt in seinem Kaffee und sagt: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal so schwach fühlen würde. Dass ich so vieles nicht mehr kann.“ Wir schweigen einen Moment. Und spüren deutlich: Hier geht es nicht um ein paar kleine Veränderungen im Leben. Hier ist etwas erschüttert worden, was so lange Zeit so sicher schien.
Musik 1: Reset
Autor: Tiefe Erschütterungen des eigenen Lebens – die Jünger erleben das an Karfreitag. Und so viele erleben das in ihrem persönlichen Leben. Und in dieser Welt. Und wenn man das erlebt, kann dann nicht schnell der Gedanke hinzukommen: „Wir hofften und dachten, Gott ist da! Wir dachten, er ist an unserer Seite! Und jetzt fühlen wir nichts von ihm – und vermissen ihn so sehr!“ Genau das werden die beiden Jünger auf dem Weg damals empfinden. Immerhin: sie sind nicht allein damit. Sie haben sich. Sie können miteinander reden. Und schweigen. Das allein ist schon so wichtig und eine große Hilfe. Und wird doch diesen Schmerz, diese Trauer und Hoffnungslosigkeit nicht wirklich stillen können.
Und in ihrem Schmerz merken die beiden gar nicht, dass sie nicht mehr allein auf dieser Straße sind. Dass da einer hinter ihnen geht. Schon eine ganze Weile. Wenn man so vertieft ist in seinen Schmerz, in Gedanken und Gespräche, dann kriegt man das nicht mit. Dann sind einem buchstäblich „die Augen gehalten“, wie es so treffend in dieser Geschichte heißt. Dann nehmen wir manchmal so vieles gar nicht mehr wahr. Die beiden Jünger bemerken auf dem Weg nichts von der Anwesenheit dieses Mannes, bis der fremde Begleiter sie von sich aus anspricht: „Ich merke, wie sehr ihr ins Gespräch vertieft seid. Was sind das für Dinge, über die ihr da redet?“ Und die beiden reagieren erstmal irritiert und ungehalten: „Weißt du nicht, was in Jerusalem passiert ist? Das hat doch jeder mitgekriegt!“ Und der Fremde tut ahnungslos und fragt ungerührt: „Was denn?“ Unglaublich, oder? Stellen Sie sich vor, Sie sind gerade tief betroffen wegen der neusten Meldungen aus dem Ukrainekrieg, wegen eines Anschlags, wegen schlimmer Bilder von einer Flut oder einem Hurrikane irgendwo auf der Welt, oder persönlicher noch: Sie sind tief betroffen vom Tod eines lieben Menschen oder einer schweren Diagnose, und jemand fragt Sie: „Was denn? Was ist denn?“ Ist das nicht total ignorant und gefühllos? Das kann so eine Reaktion tatsächlich sein: ahnungslos und kalt. Sie kann aber auch eine Einladung sein nach dem Motto: „Ich merke, wie gefangen du in deinem Schmerz und deinen Gedanken bist. Deswegen lass uns nochmal einen Schritt zurücktreten und schauen: Was ist los? Was genau tut dir so weh und belastet dich? Und gibt es wirklich keinerlei Grund zur Hoffnung, wie du jetzt denkst und fühlst?“ Man könnte sagen: der Fremde unterbricht die Gedankenketten der beiden. Und lädt sie ein, noch einmal neu in Worte zu fassen, was sie so tief verletzt und herunterzieht. Und oft ist das schon ein erster Schritt aus dem Grab der eigenen Hoffnungslosigkeit: sich die Dinge von der Seele reden zu können. Sie zu teilen. Sie vielleicht sogar ein Stück abzugeben. Gerade an den, mit dem die beiden hier sprechen. Ohne es gleich zu merken. Ich stelle mir vor, wie lange und aufmerksam dieser Fremde den beiden zuhört.
Musik 2: Winter came early
Titel: Winter came early; Interpret: Mo' Blow, Komponist: Tobias Fleischer, CD: Gimme the Boots, Track 10, Label: ACT Music + Vision GmbH & Co. KG, LC: 85387
Autor: Dann beginnt er selbst zu reden. Diese beiden sind Jeus gefolgt, ihrem Freund und Lehrer. Oft haben sie mit ihm über Gott gesprochen und in der Heiligen Schrift gelesen. Der Glaube bedeutet ihnen viel. Darauf sind sie ansprechbar. Und also geht der Fremde mit ihnen behutsam einen Weg durch das vertraute Gelände der Schrift,. Ich würde zu gerne wissen, wie er das macht und was er ihnen sagt. Aber ganz gleich, welche Worte hier gesagt werden: am Ende brennt in den Jüngern ein neues Feuer. Eine Ahnung von neuem Leben. Eine neue Hoffnung, dass doch nicht alles aus und tot und begraben ist. Die Sehnsucht danach, mit diesem Fremden zusammenzubleiben und zu essen. Das tun sie dann auch. Sie kehren ein, setzen sich zu Tisch. Er besteht darauf, das Brot zu brechen und zu verteilen. Und diese schlichte Geste ist es, die ihnen die Augen öffnet. Die sie erkennen lässt: Mein Gott, er ist es selbst! Der, den sie tot und verloren und gescheitert glauben! Er ist höchst lebendig – und er war die ganze Zeit mit ihnen unterwegs. Die ganze Zeit! Und während sie das begreifen, ist er schon wieder weg. Und sie sitzen ohne ihn da. Aber mit einer neuen, unglaublich bedeutsamen Erfahrung. Und der Erkenntnis, dass alles anders ist, als es ihnen so sicher erschien. Dass nichts mehr tot-sicher ist. Und das ändert alles. Plötzlich spüren die beiden ganz deutlich, dass Emmaus nicht ihr Ort ist. Dass jetzt nicht die Zeit ist, sich komplett ins Sichere, Vertraute, Private zurückzuziehen. Sondern wieder nach Jerusalem zu gehen. Nicht zu verstummen, sondern den Mund aufzumachen. Auch, wenn das unbequem oder gefährlich werden kann.
Musik 2: Winter came early
Autor: Wenn ich diese leise, behutsame und gleichzeitig so starke und wunderbare Geschichte höre, frage ich mich: Wie oft war ich in den letzten Jahren innerlich auf meinem persönlichen Weg nach Emmaus? Mit dem Gefühl oder der Frage: Wo ist er denn jetzt? Und wie oft war er da? Und leise mit mir unterwegs. Und ich habe es nicht bemerkt. Weil meine Augen gehalten waren. Weil ich besetzt war von trüben und mutlosen Gedanken. Wie oft ist er in ganz alltäglichen Momenten an unserer Seite aufgetaucht und hat uns Brot und Wein gereicht? Wahrlich nicht spektakulär. Aber so nahrhaft.
Ich bin zu Besuch bei einem Ehepaar, beide Anfang siebzig. Die beiden erzählen, wie sie gerade mit einigen gesundheitlichen Problemen umgehen müssen. Die sie aber nicht so schwer belasten. „Damit können wir umgehen“, sagen sie. „Überhaupt geht es uns in so vieler Hinsicht gut. Wir können dankbar sein!“ Was den beiden aber schwer zu schaffen macht, sind die ganzen gesellschaftlichen und weltpolitischen Entwicklungen der letzten Zeit. Die zornigen und oft hasserfüllten Debatten. Die Entwicklung nach Trumps Wahl in den USA, die die beiden fassungslos macht. Die Klimakatastrophe, von der kaum jemand mehr redet. Sie merken, wie erschöpft und müde sie sich im Moment fühlen. Und wie schwer es ihnen fällt, zuversichtlich zu bleiben. Sie denken an ihre Enkelinnen und Enkel, die sie zutiefst lieben und um deren Zukunft sie sich Sorgen machen. Und dann erzählen sie, wie ihre älteste Enkelin letztens zu Besuch ist. Wie sie darauf zu sprechen kommen. Wie sie gegenüber der Sechzehnjährigen vorsichtig davon erzählen, wie mutlos sie sich gerade fühlen. Und ihre Enkelin besorgt fragen, wie sie denn damit zurechtkommt. Die Enkelin grinst die beiden an und sagt: „Von diesen ganzen Typen lass ich mich nicht fertigmachen. Ich sag nur: jetzt erst recht!“ Was sie genau damit meint, sagt sie nicht. Aber dieser kurze Satz sickert in die Köpfe und Herzen ihrer Großeltern. Und macht da Licht in ihren trüben Gedanken. „Jetzt erst recht“ – hoffen, Zuversicht schöpfen. „Jetzt erst recht“ – alles suchen, was Lebensfreude und Kraft schenkt. „Jetzt erst recht“ – etwas dafür tun, dass sich das Hasserfüllte und Zerstörerische nicht weiter ausbreitet. Sich zusammentun mit anderen. Sich gegenseitig stärken und ermutigen. „Jetzt erst recht“ – darauf vertrauen, dass diese schöne und verrückte Welt trotz allem in guten Händen steht. Dass Karfreitag nicht das letzte Wort hat. Dass danach Ostern kommt. Der Sonntag. Und sogar der Montag noch, um zu unterstreichen, dass das Leben mindestens doppelt so stark ist wie der Tod. Und sich niemals wieder verdrängen lässt. Ich kann mir vorstellen, dass der Besuch der Enkelin die beiden Großeltern mit einem veränderten Herzen zurückgelassen hat. Heller. Fröhlicher. Vielleicht sogar mit neuem Feuer.
Musik: Dakira
Titel: Dakira (with Oliver Rehmann & Markus Schieferdecker); Komposition: Julian Wasserfuhr & Roman Wasserfuhr; Interpreten: Julian & Roman Wasserfuhr; Album: Mosaic; Label: 2022 ACT Music+Vision GmbH+Co.KG; LC: 85387
Autor: Wir können ja alle in diesen Tagen mal schauen: gab es Momente in letzter Zeit, in denen unser Herz gebrannt hat? In denen wir eine neue Lebendigkeit und Zuversicht gespürt haben, wenn auch nur für einen Augenblick? Vielleicht gab es die in letzter Zeit – und wir haben sie über all das Bedrückende wieder vergessen. Vielleicht sind wir aber noch nicht so weit. Und brauchen noch Zeit. Und Begegnungen und Gespräche. Vielleicht sind wir noch länger auf der Straße unterwegs. Bis wir wieder spüren: Nein, es ist nicht alles verrückt und durchgestrichen, was wir dachten und hofften. Es ist viel mehr möglich, als es uns gerade scheint. Weil Karfreitag nicht das Letzte geblieben ist. Weil Gott Jesus aus den Toten gerufen hat. Und das mit uns allen tun wird. Weil am Ende Gottes Leben über alles Tödliche und Niederschmetternde siegen wird. Ich wünsche mir und Ihnen und allen Menschen weltweit, dass wir gerade in der kommenden Zeit die Erfahrung dieser beiden Jünger machen: dass er längst schon da ist, wenn wir noch betrübt fragen, wo er denn steckt. In einem anderen Menschen, einer guten, ermutigenden Nachricht, in einem Wort, einem Klang, einer Tat oder Geste, die stärkt und hilft. Dass er uns einlädt, unser Herz bei ihm auszuschütten, alles bei ihm abzugeben, was uns runterzieht und mutlos macht. Um uns dann einen neuen Blick und neue Hoffnung zu schenken. Ich möchte mich gerade jetzt von ihm finden und begleiten lassen. Und einladen lassen, mich mit ihm an einen Tisch zu setzen und mich von ihm mit Brot und Wein stärken zu lassen. Ich möchte bei ihm neu lernen, wo in diesen kraftraubenden Zeiten das zu finden ist, was aufrichtet und stärkt und ermutigt. Was neue Lebensfreude und Energie schenkt. Mit der wir dann umkehren und von Emmaus wieder nach Jerusalem gehen. Um mitten in dieser gerade so brodelnden und verrückten Welt das Unsere zu tun, so gut wir können. All dem Lauten, Zornigen, Hasserfüllten etwas Liebevolles und Gutes entgegenzustellen. Jetzt erst recht. In der Gewissheit, dass er das schon längst für uns getan hat. Und auch heute unsichtbar, aber verlässlich an unserer Seite ist.
Einen ermutigenden und stärkenden Ostermontag wünscht Ihnen Ihr Pfarrer Joachim Römelt aus Solingen.
Musik: Lisa
Titel: Lisa; Komposition: Kipper; Interpret: Chris Botti; Album: Summer Cool Jazz (Various Artists), Label: Sony Music Entertainment; LC: 10746
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth