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Kirche in WDR 5 | 06.03.2025 | 06:55 Uhr
Kleine Schritte
Guten Morgen!
In den christlichen Kirchen hat die Fastenzeit hat begonnen. Für viele ist das eine Zeit, in der sie auf etwas verzichten – 40 Tage – auf Süßigkeiten, Alkohol oder soziale Medien. Manche nehmen sich auch vor, etwas Neues auszuprobieren: mehr Zeit mit der Familie zu verbringen oder sich bewusster zu ernähren. Ich finde, in dieser Zeit geht es nicht um Perfektion und Durchhalten, sondern um den Versuch, kleine Schritte zu machen, die mir und anderen guttun.
So wie an diesem ganz gewöhnlichen Tag vor ein paar Wochen. Ich stehe an einer Bushaltestelle. Eine ältere Dame fragt mich: „Können Sie mir vielleicht helfen, den Fahrplan zu lesen?“ Ich erkläre ihr die Abfahrtszeiten, und wir kommen ins Gespräch. Sie erzählt mir, dass sie sich oft einsam fühlt und der Weg mit dem Bus zum Wochenmarkt einer der wenigen Ausflüge ist, die sie noch unternimmt. Dieser kurze Moment, in dem ich mir Zeit für sie genommen habe, hat uns beide bereichert. Für mich war es eine kleine Geste, aber für sie war es etwas, das ihren Tag heller gemacht hat. Und das hat mich wiederum gefreut.
Genau das ist für mich der Kern der Fastenzeit: kleine Schritte, die eine große Wirkung haben können. Es muss nicht immer ein radikaler Verzicht oder eine riesige Veränderung sein. Manchmal reicht es, sich bewusst zu machen und aufmerksam zu beobachten: Wie gehe ich mit anderen und mit mir selbst um?
In der Bibel heißt es: „Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu“ (Die Bibel, Luther 1912, Lukas 16,10). Ich finde diesen Satz sehr ermutigend. Es sind die kleinen Taten, die bedeutend sind. Ein freundliches Wort, ein Lächeln, ein Moment der Aufmerksamkeit – all das hat eine Kraft, die ich oft unterschätze.
Die Fastenzeit ist für mich auch eine Einladung, bewusster zu leben. Vielleicht ist es ein guter Moment, um zu überlegen: Was kann ich tun, um etwas zu verändern? Vielleicht nehme ich mir vor, einmal am Tag das Handy beiseitezulegen und stattdessen Zeit mit einem Menschen zu verbringen, der mir wichtig ist. Vielleicht entscheide ich mich, weniger Plastik zu verwenden oder öfter mit dem Fahrrad, statt mit dem Auto, zu fahren. Es sind keine großen Schritte, aber sie machen einen Unterschied – für mich, für andere und auch für die Welt.
Ich glaube, diese kleinen Schritte haben noch eine andere Dimension. Sie verändern nicht nur die Welt um mich herum, sondern auch mich selbst. Wenn ich mich entscheide, etwas bewusst zu tun, werde ich achtsamer. Ich nehme wahr, was mich erfüllt, was mir guttut, und was ich vielleicht loslassen kann.
Die Fastenzeit lädt mich ein, einen neuen Blick auf das Leben zu werfen. Ich probiere aus, was möglich ist. Nicht alles wird perfekt gelingen, und das ist auch nicht der Punkt. Es geht darum, anzufangen – mit kleinen, mutigen Schritten.
Die Fastenzeit endet mit Ostern. Da feiern wir in den Kirchen, dass Jesus auferstanden ist, dass er weiterlebt und wirkt. Das große Geschenk der Hoffnung und des Neuanfangs. Er hat mal davon gesprochen: Jeder kleine Schritt zu einem besseren Leben ist wie ein Same, der wächst. Vielleicht ist es nur ein kleiner Anfang, aber jeder Anfang hat das Potenzial, Großes zu bewirken.
Ihr Pfarrer Oliver Kießig aus Köln.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze