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Mascha Kaléko – ein Portrait in geistlicher Absicht
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Das Geistliche Wort | 04.05.2025 | 08:40 Uhr

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Mascha Kaléko – ein Portrait in geistlicher Absicht

Musik 01: Adiós Nonino

Komponist/Interpret: Astor Piazzolla, Album: 20 greatest hits, Track 1, Label: BMG Entertainment; LC: 00316


Sprecherin 01 (overvoice): Osterspaziergang

aus: Mascha Kaléko, Das lyrische Stenogrammheft, Sonderausgabe 2016, dtv, München 4. Auflage 2024, S. 44


Autor (overvoice): Frühlingslaune, die kenne ich auch, seit mir die Sonne den Rücken wärmt – morgens wenn ich noch etwas verschlafen aus dem Haus komme und dann die Sonne eine Kraft hat – die geht durch die Jacke auf den steifen Rücken und macht ihn gleich beweglicher - wie die Äste nach dem Bodenfrost . Mascha Kaléko hat dieses Gedicht vor fast 90 Jahren geschrieben.


Sprecherin 02 (overvoice): Osterspaziergang


Autor: Osterspaziergang heißt das Gedicht von Mascha Kaléko. Sie versammelt darin alle Themen, die sie im Laufe ihres Dichterinnen - Lebens immer wieder neu durchformulieren wird: die Natur und was sie mit uns Menschen macht; die Sehnsucht nach Liebe und wie schnell sie verloren geht; mit wie wenig ein Mensch doch auskommen kann, manchmal auskommen muss; wie uns immer wieder die Schwermut überfällt und was sie vertreiben könnte; und dann taucht, wenn auch ganz am Rande, die Frage nach Gott auf, wenn auch nur im Titel - schließlich ist es ein Oster-Gedicht. Aber zu dem, was es mit ihrem Judentum und dem christlichen Glauben auf sich haben mag – darauf hat Mascha Kaléko sich ihren eigenen Reim gemacht.


Sprecherin 03: Es werde jeder selig nach seiner Konfession

aus: Mascha Kaléko, In meinen Träumen läutet es Sturm, dtv, München, 2008, 28. Aufl., S. 163


Musik 02: Lo que vendra

Komponist/Interpret: Astor Piazzolla, Album: 20 greatest hits, Track 3, Label: BMG Entertainment; LC: 00316


Autor: 1907 wird Mascha Kaleko in einer russisch-jüdischen Familie in Ostgalizien geboren. Heute liegt der Ort ganz im Süden von Polen. Um Progromen zu entgehen, siedelt die Mutter mit ihren Töchtern zunächst allein nach Deutschland über. Der Vater wird später nachkommen, aber sich im Übrigen nicht allzu intensiv um die Familie kümmern. Seiner sehr begabten Tochter untersagt er ein Studium; nach seiner Meinung brauchen Frauen keine höhere Bildung. Davon unbeeindruckt nimmt Mascha Abendkurse in Psychologie und Philosophie und bildet sich fort. Vor allem aber tummelt sie sich als junge Frau in Berlin im berühmten Romanischen Caffe und tritt Ende der 1920-er Jahre mit eigenen Gedichten in benachbarten Kabaretts auf. Ihr Einstieg in die Szene ist das „Interview mit mir selbst“ .


O- Ton 01:

Mascha Kaléko spricht Mascha Kaléko. Interview mit mir selbst, Track 1; Label: Deutsche Grammophon Literatur; LC: 13542


Ich bin als Emigrantenkind geboren / in einer kleinen, klatschbeflißnen Stadt,

die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren / und eine große Irrenanstalt hat.

Mein meistgesprochnes Wort als Kind war „Nein“; / ich war kein einwandfreies Mutterglück.

Und denk ich an jene Zeit zurück -/ ich möchte nicht mein Kind gewesen sein.

Im ersten Weltkrieg kam ich in die achte / Gemeindeschule zu Herrn Rektor Mai.

Ich war schon sechs, als ich noch immer dachte, / dass, wenn die Kriege aus sind, Friede sei.

Zwei Oberlehrer fanden mich begabt, / weshalb sie mich zwecks Bildung, bald entfernten.

Doch was wir auf der hohen Schule lernten / ein Volk „Die Arier“ ham wir nicht gehabt.


Autor: Mascha Kaléko hat diese Verse nach dem Ende des 2. Weltkrieges selbst aufgenommen. In einem Postskriptum erzählt sie darin auch noch von ihrem Schicksal nach der Flucht aus Deutschland in die USA.


O- Ton 02: wie O-Ton 01


Inzwischen bin ich viel zu viel gereist / zu Bahn, zu Schiff, bis über den Atlantik.

Doch was mich trieb, war nicht Entdeckergeist / und was ich suchte, keineswegs Romantik.

Das war einmal, in einem andern Leben / doch unterdessen, wie die Zeit verrinnt;

Hat sich auch biographisch was begeben / nun hab ich selbst ein Emigrantenkind.

Das lernt das Wörtchen „alien“ buchstabieren / und spricht zur Mutter: don’t speak german, dear.“

Muss, knapp acht Jahr alt, Diskussionen führen / dass er „alright“ ist – wenn auch nicht von hier.

Grad wie das Kind beim Rektor Mai. / Wenn ich mir dies dacapo so betrachte.

Er denkt, was ich in seinem Alter dachte, / dass, wenn die Kriege aus sind, Frieden sei. (3)


Musik 03: Volver
Komponist: C. Gardel/A. le Pera; Interpret: Anibal Troilo/Astor Piazzolla, Album: 20 greatest hits, Track 6, Label: BMG Entertainment; LC: 00316


Autor: 1938 muss Mascha Kaléko ins Exil in die USA gehen; dort versucht sie mit ihrer kleinen Familie zu überleben, das Ankommen fällt ihr schwer. Sie muss sich in einer fremden Sprache bewegen – ist sie doch im Deutschen zuhause. Immerhin wird sie in einer Werbefirma angestellt und kann mit Werbetexten zum Unterhalt der Familie beitragen. Ihr Mann, Chemjo Vinaver, ein bekannter Musikwissenschaftler, beschäftigt sich mit jüdischer Chormusik, die in den Synagogen der jüdischen Gemeinden von seinen Chören aufgeführt wird. Dieser Mann ist die große Liebe in ihrem Leben. Ich vermute, das „Wir“ in den folgenden Zeilen sind diese beiden, Mascha und Chemjo.


Sprecherin 04: Überfahrt

Mascha Kaléko, Ich tat die Augen auf und sah ins Helle, hg. von D. Kehlmann, dtv, München 2025, 2. Auflage, S. 111


Musik 04: without you

Komposition/Interpreten: Michael Schütz/Christina Schütz; Album: sona nova, classic and pop crossover, Track 4; Label: Strube; LC: 03244


Autor: Ihrem Mann zuliebe wird sie noch einmal in ein anderes Land ziehen – nach Israel. Zwar leben sie in Jerusalem in der Heimat ihres jüdischen Glaubens. Aber auch dort wird Mascha Kaléko sich nicht wirklich zuhause fühlen. Auch hier wird die Sprache ihr fremd bleiben. Nur ihr Glaube wird sie weiterhin halten. Gerade wenn sie an ihren Sohn denkt, der in Amerika geblieben ist. Einmal schreibt sie an einen imaginären Schutzengel, den sie selbst immer wieder an ihrer Seite gespürt hat: als kleines Kind, auf der Flucht, beim Erwachsenwerden.


Sprecherin 05: An meinen Schutzengel

aus: Mascha Kaléko, In meinen Träumen läutet es Sturm, dtv, München, 2008, 28. Aufl., S. 39f.


Musik 05: Oblivion

Komponist/Interpret: Astor Piazzolla, Album: Piazzolla en suite, Track 5; Label: Bella Musica; LC 00562


Autor: Immer wieder kommen die Gedichte der Mascha Kaléko so harmlos, leicht daher – doch steckt in ihnen eine tiefe Lebenserfahrung. In allem Schweren wird sie, die Dichterin, gehalten und sie schafft es, andere über schwankendem Grund zu lotsen – und das nicht nur mit ihren Gedichten. Dies wird in einer Geschichte deutlich, die ihre Freundin, die Schauspielerin Gisela Zoch-Westphal erzählt. Die Schauspielerin lernt Mascha Kaléko in Zürich Ende der 60er Jahre auf einem Empfang kennen. Mit dabei ist Walter Mehring. Er war in den 20-er, 30-er Jahren im Berliner Kulturbetrieb eine bedeutende Größe, expressionistischer Dichter, Satiriker, Jude – und nicht zuletzt deswegen recht bald von den Nationalsozialisten verfolgt. Gisela Zoch-Westphal berichtet:


O-Ton 03:

Mascha Kaléko spricht Mascha Kaléko. Interview mit mir selbst, Track 2; Label: Deutsche Grammophon Literatur; LC: 13542


Anfang der 30er Jahre, die Häscher der Nationalsozialisten waren hinter Walter Mehring her, hatte Mascha ihm die Flucht ermöglicht. Ihr kurzer, energischer Warnruf im Romanischen Café in Berlin hatte ihn von seinem Stammtisch hochsehen, die Gefahr erkennen lassen – und er verschwand. Kühn hatte Mascha den Uniformierten den Weg verstellt – sie als Jüdin riskierte ihr Leben – hatte auf mädchenhaft, naiv gespielt, so, als kapiere sie in ihrer Harmlosigkeit nicht, was die Männer eigentlich wollten. Hatte gefragt, kokettiert, abgelenkt, um Zeit zu gewinnen. Walter Mehring war buchstäblich aus dem Romanischen Café ins Exil gegangen. (6)


Autor: An jenem Abend im Mai 1968, auf einem Empfang in Zürich, kann Walter Mehring seiner alten Freundin Mascha Kaléko endlich danken für das, was sie damals für ihn getan hatte.


Musik 06: Oblivion

Komponist/Interpret: Astor Piazzolla, Album: Piazzolla en suite, Track 5; Label: Bella Musica; LC 00562


Autor: Gehalten werden, nicht aus dem Plan fallen – auch wenn etwas geschieht, das völlig sinnlos zu sein scheint – dies ist ein Grundmotiv im jüdischen Glauben. Immer wieder haben Juden in ihrer langen Geschichte diesen Glauben, dieses Vertrauen aktiviert. Dieser Glaube fängt mit Abraham an – der zieht, laut biblischem Bericht, aus seiner Heimat, weil Gott ihm ein Versprechen gegeben hat. Er soll der Vater eines großen Volkes werden, auch wenn nahezu alles gegen diese Verheißung spricht. Die Bibel erzählt, wie dieses Volk sich nach vielen Fehlschlägen aus den Nachfahren Abrahams herausbildet. Jahre später gerät dieses Volk in Ägypten in eine Menschen-unwürdige Abhängigkeit, in die Sklaverei. Mose wird das Volk aus der Gefangenschaft herausführen. Nach einem langen Irrweg durch die Wüste kommt das Volk schließlich im versprochenen Land an. Aber damit ist das Ziel noch lange nicht erreicht. Der Weg seiner Geschichte durch ungebahntes Gelände dauert an. Trotz aller schrecklichen Erfahrungen, die dem entgegenstehen, viele Menschen jüdischen Glaubens machen bis heute die Erfahrung: wir werden von Gott gehalten, wir fallen nicht aus seinem Plan. Dieser Glaube meldet sich in einem dieser so harmlos beginnenden Gedichten der Mascha Kaléko.


Sprecherin 06: Apropos „Freier Wille“

aus: Mascha Kaléko, In meinen Träumen läutet es Sturm, dtv, München, 2008, 28. Aufl., S. 158


Autor: In diesem kleinen Gedicht stellt Mascha Kaleko zwei wichtige Fragen: 1. ist unser Leben wirklich gewollt – von wem…? und 2. haben wir einen freien Willen? Im Gedicht sagt sie: Wir sind wie ein Ball, der ins Lebensspiel geworfen wird und der Junge, der uns geworfen hat, der bestimmt die Flugbahn; Gott hat uns gewollt und er hat einen Plan für uns.


Musik 07: Verano porteno
Komponist/Interpret: Astor Piazzolla, Album: 20 greatest hits, Track 20, Label: BMG Entertainment; LC: 00316


Autor: Ob die Gewissheit, niemals aus Gottes Plan zu fallen, immer tröstet, das weiß ich nicht, da bin ich mir nicht sicher. Aber ich sehe, dass Menschen wie Mascha Kaléko in diesem Glauben eine nahezu unfassbare Haltung bewahren können. Selbst als das Unerträgliche geschieht und ihr Sohn mit 32 Jahren in New York an einer unerkannten Krankheit plötzlich stirbt. Sie lebt mit ihrem Mann in Israel und kann diese Nachricht in großer Verzweiflung nur entgegennehmen – nichts mehr tun. Und dann schreibt sie folgendes Gedicht:


Sprecherin 07: Elegie für Steven

aus: Mascha Kaléko, In meinen Träumen läutet es Sturm, dtv, München, 2008, 28. Aufl., S. 108


Autor: Am Ende ist es nicht viel, was wir wirklich brauchen – es ist die Gewißheit, die sich immer wieder einstellende Erfahrung: wir sind nicht allein. Es gibt Gefährten – auch in der tiefsten Trauer. Es gibt Gefährten - auch der Tod wird daran nichts ändern. Für mich als Christ ist diese Gewissheit eine Brücke, um mich mit Juden im Glauben zu verständigen.


Sprecherin 08 : Was man so braucht…

aus: Mascha Kaléko, In meinen Träumen läutet es Sturm, dtv, München, 2008, 28. Aufl., S. 169


Autor: So sagt es Mascha Kaléko. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich getragen wissen und diesen einen Menschen haben – oder finden. Ihr Eberhard Helling, Pfarrer in Lübbecke


Musik 09: Was man so braucht (feat. Karl die Große)

Komposition: Dota Kehr; Text: Mascha Kaléko; Album: Kaléko, Track 9; Label: Kleingeldprinzessin Records; LC 09274



Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

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