Beiträge auf: wdr5
Das Geistliche Wort | 11.05.2025 | 08:40 Uhr
Elterntag – Wie ihr euch nicht umbringt, wenn ihr Eltern seid
Autorin: Heute ist Muttertag. Doch bei mir ist Elterntag – in den nächsten 20 Minuten. Denn mein Thema heute betrifft Mütter und Väter in gleicher Weise. Es geht nämlich um die Erfahrung, dass Kinder nicht nur das reinste Glück sind, sondern manchmal auch ganz schön stressig. Unabhängig davon, wie sehr man sich das Kind gewünscht hat. Kaum zu glauben: 40 Prozent der Paare trennen sich im ersten Jahr nach der Geburt ihres Kindes.
Auch die Psycho-Therapeutin und Autorin Nina Grimm hat sich eineinhalb Jahre nach der Geburt ihrer Tochter von dem Vater ihres Kindes getrennt. Aber – so viel sei hier verraten – die Eltern sind heute wieder ein Paar. Und nicht nur das: Die beiden haben noch ein Kind bekommen. Und: Sie hat einen Bestseller geschrieben: „Wie ihr euch nicht umbringt, wenn ihr Eltern seid.“ Ein Buch, das vielen Eltern sehr geholfen hat. Hier einige Stimmen:
Das rettet gerade unsere Familie. Die Worte treffen in mein Herz. Das ist das Buch, was ich damals gebraucht hätte. Und: Schon der Epilog gibt mir inneren Frieden und die Erkenntnis, dass meine Ehe vielleicht doch noch zu retten ist.
„Wie ihr euch nicht umbringt, wenn ihr Eltern seid“ – ein provokanter Titel. In der Ansprechbar -dem Podcast mit Samuel Koch, ... erzählt Nina Grimm, wie es zu diesem Buch und dem Titel gekommen ist:
O-Töne 1:
Nina: Also zu dem Titel? Tatsächlich, weil ich meinen Mann sehr gerne umgebracht hätte. Phasenweise.
Samuel: Ohne Erfolg.
Nina: Zum Glück. Und ich habe es mit einem Teller werfen kompensieren können.
Samuel: Im Ernst? Okay.
Nina: Und es gab Phasen, wo ich einfach wirklich viel in der Wut auf ihn war und ich hab mich dafür sehr geschämt. Also dieses Ding als Frau wütend zu sein, war schon sehr schambesetzt diese Wut gegenüber dem eigenen Partner so krass zu spüren.
Als ich angefangen habe das Buch zu schreiben, habe ich angefangen natürlich mit Leuten darüber zu sprechen und es war für mich so eindrücklich zu sehen, was das für eine große Erleichterung ist, wenn es mal ausgesprochen wird, so dass da Wut da ist, dass Wut da sein darf und wie viele das vor allem auch kennen. Ich habe ja im Rahmen der Buchrecherche selber auch eine Umfrage, eine Studie durchgeführt und hab die Eltern bzw. Elternpaare befragt
Samuel: Über 1000 Paare hast du gefragt.
Nina: Wie viele das kennen, dass sie so eine so tiefsitzende Wut gegenüber ihrem Partner verspüren, also wirklich so, dass sie das Gefühl hatten: Ich könnte ihn gegen die Wand klatschen. Was würdest du tippen? Wie viele haben Ja gesagt?
Samuel:
Ich trau` mich kaum zu schätzen. Es waren
bestimmt mehr als 50
%.
Nina:
Es waren 96,3
%.
Samuel: Die wütend sind auf ihren Partner ...
Nina: Die sagen, ich habe schon mal so ein Gefühl von tiefsitzender Wut, Aggression gegenüber meinem Mann oder gegenüber meiner Frau gespürt.
Samuel: Du meine Güte, wie kann es denn sein? Also man ist ja eigentlich zusammen unterwegs, wenn man sich eher liebhat. Also, Eltern- Sein ist jetzt nichts Neues. Das findet schon ein paar Jahre statt oder sogar Jahrhunderte und Jahrtausende. Wieso können wir das immer noch nicht? Warum ist immer wieder so ein Theater sowohl mit Kindern als auch mit Beziehungen?
Nina: Also, ich denke das bezüglich Kinder, dass die halt einfach ganz häufig einen Katalysator sind für das, was eh schon da ist. Ich glaube, wenn du davor schon unausgesprochene Konflikte hattest oder eine Frustration oder einen Schmerz. Also das Thema, was eh schon da ist in der Beziehungsdynamik, glaube ich, wird durch Kinder einfach noch mal so krass katalysiert, potenziert deswegen, weil das Stressniveau so steigt.
Musik 1
Titel: 4WD; Komposition: Lars Danielsson; Interpreten: Nils Landgren, Michael Wollny & Wolfgang Haffner; Album: 4 Wheel Drive; Label: ACT Music + Vision GmbH & Co. KG; LC: 07644
Autorin: Kinder zu bekommen und sie groß zu ziehen, ist manchmal echt stressig. Vielleicht kennen Sie das ja auch – aus eigener Erfahrung. Rund um die Uhr für das Neugeborene, das Baby, das Kleinkind da zu sein – den eigenen Ansprüchen nicht zu genügen. Und dann der Druck von außen – sei es durch Menschen, Ratgeber, soziale Medien – was man wann wie zu machen hat. Natürlich stresst das die Paare und bringt vertraute Beziehungsdynamiken in Gang. Das Resultat: Die meisten Paare streiten ohne Ende. Immerhin ist dies bei 80% der Elternpaare der Fall. Nur jede fünfte Beziehung funktioniert mehr oder weniger problemlos. So die Paartherapeutin Nina Grimm.
O-Töne 2:
Nina Grimm: Und das hat ganz viel mit unserem Bindungsstil zu tun. Das heißt, wenn zwei sicher gebundene Menschen zusammenkommen, dann passiert genau das, wie gerade beschrieben.
Samuel: Okay. Moment. Bindungsstil. Zwei sicher gebundene Menschen. Das musst du mir noch mal erklären. Das heißt: Wo sind sie sicher gebunden. Mit sich selbst oder miteinander?
Nina: Mit sich selbst und dadurch miteinander. Also der Bindungsstil entwickelt sich meistens in der frühen Kindheit zu deiner ersten Bezugsperson, die du hast. Und das ist in den allermeisten Fällen die Mama oder der Papa. Also diese erste Form von Beziehung, die du geführt hast, die prägt ganz maßgeblich die Art und Weise, wie du auch im späteren Leben Beziehung gestaltest, aber das bedeutet noch lange nicht, dass du dem deswegen hilflos ausgeliefert wirst.
Samuel: Okay, das ist eine gute Nachricht.
Nina: Also, ich bin zum Beispiel unsicher, ambivalent gebunden. Das heißt, ich bin eher so ein Typ, ich sehne mich eigentlich nach Nähe, aber wenn es wirklich nah und intim wird, dann kriege ich Schiss und geh lieber weg. Was zum Beispiel darin mündet, dass wenn Conrad, mein Mann, mir zum Beispiel in einem Konflikt wirklich nahekommt oder ich wirklich emotional berührt werde dadurch, habe ich so die schöne Eigenart, `nen Streit anzufangen. Dann drücke ich ihn weg, dann bin ich safe. Verstehst Du?
Samuel: Und dann wirfst du Teller.
Nina: Dann werfe ich Teller.
Samuel: Hast du auch schon mal getroffen?
Nina: Ja.
Samuel: Oh! Okay.
Nina: Okay. Aber ich sag mal so. Ich bin dem ja jetzt nicht hilflos ausgeliefert. Also eben dadurch, dass ich darum weiß, dass ich diese Tendenz hab, kann ich ja auch damit arbeiten. Also, zum Beispiel, dass ich den Conrad gebrieft hab und sag: Okay, wenn ich fies werde und wenn ich irgendwie wieder anfange, dir Vorwürfe zu machen usw., dann mache ich das sehr wahrscheinlich deswegen, weil ich gerade total unsicher bin. Das heißt, ich werde so ein Stück weit zur Dolmetscherin und erzähl ihm und erkläre ihm, was da eigentlich in mir passiert, was ihm hilft mein Gemeckere und Gezeter nicht zu persönlich zu nehmen und mir auf eine entsprechende Art und Weise zu begegnen, dass er mich regulieren kann in der Situation.
Autorin: Seinen Bindungsstill herauszufinden, scheint Sinn zu machen. So erfahre ich auch, wie ich auf Konflikte reagiere und kann mich besser regulieren oder meinem Partner zumindest erklären, was gerade mit mir los ist. Kurz gesagt gibt es vier Bindungstypen: den sicher gebundenen, der ein Grundvertrauen in die Beziehung hat, den unsicher gebundenen, der sich bei Streit fragt: Wie verlässlich ist die Beziehung eigentlich? Den unsicher vermeidenden Typ die Fehler immer zunächst bei sich selbst sucht. Und – wie wir eben schon von Nina gehört haben – den unsicher ambivalent gebundenen Typ, der gerne Streit sucht, wenn es für ihn zu nah, zu intim.
Musik 2
Just the Way You Are; Komposition: Billy Joel; Interpret: Till Brönner; Album: Blue Eyed Soul; Label: Verve (Universal Music); LC: 00383
Autorin: Wie Ihr Euch nicht umbringt, wenn ihr Eltern werdet – der Bestseller von Nina Grimm.
Dass es überhaupt zu diesem Buch gekommen ist, hat mit Ninas Erfahrungen zu tun, als sie selbst Mutter geworden da ist. Damals war sie 26 Jahre alt und mitten in ihrer Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin.
O-Töne 3:
Nina: Ja, also die Geschichte dazu ist, dass der Conrad und ich, mein Mann und ich uns ja getrennt haben, nachdem meine Tochter anderthalb Jahre alt war, weil wir - glaube ich - so einfach ziemlich alles falsch gemacht haben, was man als Paar so falsch machen kann, wenn man ein Kind bekommt. Also die Karre so richtig gegen die Wand gefahren.
Also der Konrad und ich, wir hatten diese Trennungsphase und haben uns ja dann aber wieder berappelt und sind wieder zusammengekommen und auf dem Weg dahin haben wir diverse Sachen ausprobiert. Wir waren bei uns. Wir waren bei Therapeuten, wir haben Coachings gemacht, wir haben Bücher gelesen usw … Ich hatte das theoretisch alles längst klar, aber die praktische Umsetzung war einfach so unfassbar schwer.
Samuel: Okay, … Ich habe auch in Vorbereitung zu unserem Gespräch verschiedene Familien auch befragt, habe ihnen gesagt ich habe das große Privileg, mit einer Familientherapeutin zu sprechen. Habe auch zum Beispiel meine eigene Mutter befragt: „Mama, wie habt ihr das gemacht?“ Als ich sie fragte, sagte sie: „Man darf das Kind nicht auf den Thron setzen. Die Kinder dürfen nicht auf den Thron, da muss immer der Partner bleiben und die Kinder dürfen nie im Mittelpunkt stehen, sondern es muss immer der Partner sein". Ist meine Mutter keine Familientherapeutin oder Psychologin oder so was? Würdest du das bestätigen? Ist da was dran?
Nina: Ja. Lass mal deine Mama sagen, dass sie vielleicht noch mal über ihre Berufswahl nachdenken wird.
Samuel: Ok
Nina: Das ist auch das, was ich heute auch sagen würde. Ich meine klar, so `nen Säugling, das fordert ja einfach auch unfassbar viel und da dreht sich der Alltag um die Bedürfnisse dieses Kindes, aber viele schaffen den Absprung nicht. Das Kind im Mittelpunkt zu behalten, zieht sich dann so ins Kleinkindalter, Kindergartenalter, Grundschulalter, Schulalter mit rein, ja und da bleibt die Beziehung natürlich auf der Strecke. Ich lade meine Eltern gerne dazu ein, sich ab einem gewissen Punkt die Frage zu stellen, ob sie das Kind nicht in den Kreis der Familie aufnehmen möchten, anstatt es in den Mittelpunkt zu stellen, was für alle, auch für das Kind, eine große Erleichterung ist.
Samuel: Ein sehr schönes Bild, das Kind mit in den Kreis aufzunehmen. Wo aber niemand im Mittelpunkt des Kreises ist. Da schließe ich mit einer weiteren Frage an, wie lange ist es denn anstrengend?
Nina: Spoiler: Es wird nicht aufhören.
Samuel: Okay, na großartig.
Nina: Also, es wird nicht aufhören, weil, es wird immer fordernd sein. An dem Spruch: „Kleine Kinder, kleine Sorgen. Große Kinder, große Sorgen“, ist wirklich was dran. So, also das hört nicht auf, dass es herausfordernd ist und auch, dass es emotional ist. Ich glaube, dass wir uns eine ganz andere Frage stellen sollten, nämlich: Nicht, wie lange müssen wir durchhalten? Sondern: Wie schaffen wir es trotz oder gerade in Krisenzeiten? Im Kontakt miteinander bleiben zu können, in Verbindung bleiben zu können, uns gegenseitig zu empowern, uns gegenseitig zu unterstützen, uns gegenseitig zu sehen. Das sind für mich die viel interessanteren Fragen. Und die wir uns nie früh genug, aber auch nie zu spät stellen können.
Autorin: In Verbindung bleiben. Immerhin streiten Paare, die Kinder haben, acht Mal häufiger als Paare ohne Kinder. Um sich als Paar bei Streitereien weniger zu stressen, ist wichtig, zu wissen: Männer und Frauen reagieren auf Stress sehr unterschiedlich. Männer ziehen sich gerne zurück, gehen auf Distanz, brechen Kontakt ab. Während Frauen genau das Gegenteil tun: Sie wollen in Kontakt bleiben, wollen reden, gerade dann, wenn es schwierig wird. Das sind einfach Geschlechter spezifische Unterschiede, sagt Nina Grimm. Gut zu wissen.
Musik 3
Titel: Warm inside, Komponist: Leena Conquest, Marcus Fuereder & Jared Booty; Interpret: Parov Stelar; Album: Seven and Storm; Label: Etage Noir (Rough Trade); LC: 29737
Autorin: Welche Rolle spielt wohl der Glaube als Ressource in solchen Lebenskrisen? Eine spannende Frage. Samuel Koch sitzt im Rollstuhl, seit er bei „Wetten, dass ...“ mit Sprungstiefeln über fahrende Autors gesprungen und verunglückt ist. Für ihn spielt sein Glaube eine große Rolle. Das ist auch schon vor seinem Unfall so gewesen. Damals sei er jedoch mehr so ein undercover Christ gewesen, sagt er. Zu seinem Glauben hat er sich erst nach seinem Unfall öffentlich bekannt.
O-Töne 4
Samuel: Jetzt bist du ja Psychologin und ich frage mich gerade im psychologischen Zusammenhang manchmal, ob genau dieses Thema Glaube, Gott nicht nur von Menschen gemachtes psychologisches Konstrukt ist, das uns irgendwie über Wasser halten soll. Könntest du deinem Leben dem was entgegensetzen, dass es auch konkret für dich eine Ressource ist? Sei es als Psychologin, Therapeutin oder auch ganz persönlich in deinem Leben?
Nina: Ja. Also was mir total hilft ist, dass ich tatsächlich merke, dass unabhängig davon, wie wild der Sturm um mich rumtobt - also ich gerade mega Schmerzen spüre, weil ich mich verletzt habe, rein körperlich oder weil ich durch so einen krassen Prozess gehe, wie eine Geburt oder weil ich durch so einen krassen Prozess durchgehe, wie eine Trennung, oder was auch immer das Leben mir so zuspielt - dass ich gemerkt habe, dass es trotz alledem immer irgendwie so ein Teil in mir gibt, der still ist. Der ruhig ist. Und mit dem kann ich lernen, mich zu verbinden. Da kommt Psychologie ins Spiel. Das ist sicherlich was, wo auch Psychotherapie und diverse Tipps und Tricks uns unterstützen können, dahin zu finden. Und ich kann mir total gut vorstellen, dass das wahrscheinlich das ist, was ihr gleichstellt mit Gott, also diesem: Heimat in mir zu finden. Stille in mir zu finden, Trost in mir zu finden, Halt in mir zu finden. Ich glaube, das ist dieselbe Idee, oder? Oder was meinst du?
Samuel: Ja.
Nina: Würdest du das unterschreiben? Als gläubiger Mensch.
Samuel: Ja. Die Frage ist natürlich ist es in mir und in uns allen angelegt und wir können es nur nicht oftmals hören, weil wir einfach zu laut sind und der Sturm zu laut ist und das Leben zu sehr tobt. Und ich glaube als gläubiger Mensch suche ich es schon auch im Außen. Und wo finden wir diese Stille und diesen inneren Frieden?
Ich glaube ja, dass er nicht von dieser Welt ist und in mir finde ich dann da oft eher Abgründe und bin dann auch verzweifelt ob der Undiszipliniertheit meiner Gedanken und meines unruhigen Herzens. Und da geht mein Blick schon nach oben: Hilfe! Das kann nicht wahr sein! Und dann kommt es immer wieder zu mir zurück. Also es gibt ja da in der Bibel unzählige Stellen, wo es eigentlich nur darum geht in ihm. Ich bleibe in ihm und er in mir. Und damit ist es ja dann wieder miteinander verbunden. Und das Herz, wie du es beschreibst, kann stille werden. Aber bei mir ist das schon was Dialogisches, was ich nicht nur mit mir ausmache. Aber wie gesagt, eine Frage der Perspektive.
Autorin: Für mich ist das ein spannendes Gespräch – wie ihr euch nicht umbringt, wenn ihr Eltern seid. Die Erkenntnisse der Psychotherapie können helfen, aber eben auch der Glaube. Im Gegenüber zu Gott, im Gespräch mit ihm kann ich zu mir selbst kommen – erfahren, dass ich nur ein Mensch bin und das auch sein darf. Aber weil ich ein Mensch bin, kann ich mich auch regulieren. Dank psychologischer Einsichten und dank meines Glaubens.
Musik 5:
Titel: Capetown Unvisited; Interpreten: Nighthawks; Album: As the Sun Sets; Label: intuition; LC: 08399
Autorin (overvoice): Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag,
Ihre Sabine Steinwender-Schnitzius, Rundfunkpastorin aus Wuppertal.
Musik 5 Fortsetzung
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth, Rundfunkbeauftragter