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Das Geistliche Wort | 13.04.2025 | 08:40 Uhr
Wie ein Esel
Jedes Kind im Rheinland hat mindestens einmal mit seiner Familie einen Ausflug ins Siebengebirge gemacht. Und der Höhepunkt war jedes Mal die Besteigung des Drachenfelses. Das ist nun kein hoher Berg, aber das besondere ist, dass alle Kinder auf einem Esel, der sie nach oben bringt, reiten dürfen. Früher durften das sogar Erwachsene, aber für das Tierwohl ist das jetzt nur noch zwischen Ostern und Oktober möglich und nur für Kinder bis 45 Kilo. Jedenfalls ist es bewunderungswürdig, wie die Tiere unten im Tal stehen, die lärmende Kinderschar erwarten und dann geduldig ihre Last tragen. Manchmal bleiben sie stehen. Da muss man dann abwarten, bis sie wieder in ihren gewohnten Trott verfallen. Auf dem Berg angekommen, streicheln die Kinder die Esel und schauen in deren treue Augen.
Meine Name ist Dominik Meiering und ich bin Innenstadtpfarrer von Köln-Mitte. Dass der Esel ein besonderes Tier ist, war mir als Kind natürlich auch dadurch klar, dass er neben dem Ochsen jedes Jahr neben der Weihnachtskrippe stand. Ich hatte immer das Gefühl, sie passen auf das Jesuskind auf. Auch in meiner Kinderbibel waren oft Esel abgebildet, gerne malte ich die Bilder aus und gab ihnen noch ein besonders buntes Zaumzeug. Dass nun Jesus selber auf einem Esel in Jerusalem eingeritten ist, kam mir immer wie die Krönung im Leben des Grautiers vor.
Musik1: Sonate Nr.7 F-Dur; Rosenkranzsonaten
Heute feiern wir Christen Palmsonntag. Und dabei denken wir an den Einzug Jesu in Jerusalem. Bei dem spielt der Esel eine zentrale, oder wir können es auch sagen: tragende Rolle. Aber was hat es damit auf sich, dass Jesus gerade auf einem Esel geritten ist? Hätte er nicht auch zu Fuß durch das Stadttor gehen können, oder auf einem Wagen?
Es ist kein Zufall, dass der Esel so eine entscheidende Rolle in der Bibel spielt, manche Theologen sagen sogar, es sei das wichtigste Tier in der Heiligen Schrift.
Um das zu verstehen, müssen wir ein wenig umdenken. Denn wenn wir heute vom Esel sprechen oder gar jemanden als „Esel“ bezeichnen, so meinem wir damit ein dummes, einfältiges Tier, das störrisch und unbelehrbar ist. Unser Esel hat demnach in der Neuzeit einen denkbar schlechten Ruf, viel angesehener hingegen ist etwa das andere Reittier, das Pferd. Oder können Sie sich vorstellen, die Queen hätte jahrelang die Geburtstagsparade in London auf einem Esel sitzend abgenommen? Das musste natürlich ein großer, edler, schwarzer Rappen sein.
Aber das war in der Zeit der Bibel völlig anders. Im ganzen Orient war der Esel hochangesehen. Er diente als Last-, Arbeits- und Reittier. Dabei kamen ihm besondere Eigenschaften zugute. Seine Hufe sind besonders kräftig, in unwegsamem Gelände finden sie sich daher mühelos zurecht. Höhenunterschiede machen ihm nicht zu schaffen, er bewältigt auch lange Strecken. Daher begann auch mit den Eseln der Fernhandel im Altertum. Sie sind auch in der Haltung besonders genügsam, sie kommen auch für längere Zeit ohne Wasser und Futter aus. Ihr Fell ist sehr robust, sie können daher auch schwerere Lasten tragen.
Musik 2: Sonate Nr. 4 d-moll; Rosenkranzsonaten
Welche herausgehobene Bedeutung der Esel für das Leben im Alten Israel hatte, kam man daran sehen, dass er Eingang gefunden hat in die Zehn Gebote. Denn, so heißt es im 10. Gebot:
Du sollst nicht die Frau deines Nächsten begehren, nicht seinen Sklaven oder seine Sklavin, sein Rind oder seinen Esel oder irgendwas, was deinem Nächsten gehört (Ex 20, 17b).
Der Esel ist demnach wesentlicher Bestandteil dessen, was zu einer Person, hier dem Familienoberhaupt, gehört. Das wird an einer weiteren Stelle im Zweiten Buch Mose nochmals deutlich, wenn wir dort lesen:
Sechs Tage kannst du deine Arbeit verrichten, am siebten Tag aber sollst du ruhen, damit dein Rind und Esel ausruhen und der Sohn deiner Sklavin und der Fremde zu Atem kommen (Ex 22, 12).
An dieser Anweisung wird ganz deutlich, dass die Tiere und hier eben besonders genannt: „Rind und Esel“ nicht nur Teil des Haushaltes sind, also der Familie. Vielmehr drüfen sie ebenso wie der Mensch am siebten Tag ruhen. Die Tiere sind eben nicht einfach nur Nutzobjekte, die man nach Belieben Tag und Nacht in Anspruch nehmen kann, sondern auch für sie gelten die Gesetze des Arbeitens und des Ausruhens. Und dass Rind und Esel gemeinsam mit den Menschen am siebten Tag befreit sind von aller Last und Sorge, lässt sie teilhaben am göttlichen Schöpfungsplan, denn auch Gott ruhte nach seinem Werk am siebten Tage. Und so stelle ich mir vor, dass an jedem siebten Tage die ganze Schöpfung zu sich kommt, Mensch und Tier, Bäume und Berge einträchtig beieinander liegen.
Im Alten Testament findet sich noch eine weitere Passage, in der ein Esel eine wunderbare Rolle spielt. Und mit „wunderbar“ meine ich das Wort in seiner doppelten Bedeutung. Es ist die Geschichte von Bileams Eselin. Und die geht so: Bei seiner Wanderung kommt das Volk Israel in das Land des Königs von Moab. Der ist damit gar nicht einverstanden, diesem fremden Volk Durchgang zu gewähren. Er beauftragt daher den Seher Bileam, Israel zu verfluchen. Der Seher aber weigert sich, da er von Gott die Kunde hat, dass dieses Volk vielmehr gesegnet sei. Nun macht sich Bileam denn doch mit seiner Eselin auf den Weg, um zum wandernden Volk Israel vorzustoßen. Was sich dann auf diesem Weg ereignete, möchte ich aus der Bibel vorgetragen hören:
Am Morgen stand Bileam auf, sattelte seine Eselin […]. Aber Gott wurde zornig […] und der Engel des Herrn trat Bileam als Widersacher in den Weg, als Bileam auf seiner Eselin dahinritt […]. Die Eselin sah den Engel des Herrn auf dem Weg stehen […] und sie verließ den Weg und wich ins Feld aus (Numeri 22, 21 – 23).
Bileam selber sieht den Engel nicht, er wird zornig über sein ungehorsames Lasttier und züchtigt mehrmals die Eselin. Und da geschieht das Unglaubliche:
Da öffnet der Herr der Eselin den Mund und die Eselin sagte zu Bileam: Was habe ich dir getan, dass du mich jetzt schon zum dritten Mal schlägst? Bileam erwiderte der Eselin: Weil du mich verhöhnst. Hätte ich ein Schwert dabei, dann hätte ich dich jetzt schon umgebracht. Die Eselin antwortete Bileam: Bin ich nicht deine Eselin, auf der du seit eh und je bis heute geritten bist? War es je meine Gewohnheit, mich so zu benehmen? Da sagte er: Nein. Nun öffnete der Herr dem Bileam die Augen und er sah den Engel des Herrn auf dem Wege stehen (Numeri 22, 28-31).
Musik 3: Sonate Nr. 13 D-Moll; Rosenkranzsonaten
Mich hat die Erzählung von Bileams Eselin immer besonders fasziniert. Denn hier erleben wir die Umkehr des Gewohnten. Es ist das Tier, das den Sendboten Gottes erkennt, der sich ihnen in den Weg stellt, während der Mensch blind ist. Und es wird auch sofort klar, warum gerade eine Eselin wachen Auges das Gelände durchquert. Ist es doch das Kennzeichen der Esel, schwierige Wegstrecken trittsicher zu begehen. Sie haben eine langjährige Erfahrung mit der Bewältigung von wilden Flüssen und steilen Hängen. Der Mensch hingegen ist im Vergleich dazu ein „Mängelwesen“. Er sieht oft das Naheliegende nicht und stolpert darüber. Und dass die Eselin gar spricht, mag märchenhaft klingen, aber die moderne Zoologie weiß zu berichten, dass die Tiere über derart feine Kommunikationssysteme verfügen, die wir Menschen gar nicht wahrnehmen. So können die Elefanten etwa mit ihren Füssen Signale in den Boden versenden, die noch kilometerweit von den Artgenossen empfangen werden können.
Der Mensch ist verblendet, er hört nicht genau zu, er sieht nicht richtig hin. Bileam hält das Zaudern und Zögern seiner Eselin für eine Verweigerung und für Ungehorsam. Dabei ist der Mensch der Ungehorsame, der nicht auf den Boten Gottes achtet. Die Eselin weiß, wen sie vor sich hat, der Mensch tappt im Dunkeln. Erst als Gott Bileam die Augen öffnet, erkennt er die Lage und welches Unrecht er seiner Eselin getan hat. Das ist ja das Aufregende an dieser biblischen Geschichte, dass auch uns das widerfährt; dass unsere Sinne versperrt sind und dass wir die Signale nicht spüren, die zu uns gesendet werden.
Und daher verstehen wir vielleicht jetzt auch besser, warum es gerade ein Esel ist, auf dem Jesus heute am Palmsonntag in Jerusalem einreitet. Denn auch seine Ankunft soll die Sinne wachrütteln, auf dass wir Augen und Ohren aufsperren. Herrscher kamen auf edlen Rössern und eisernen Streitwagen in die Stadt, die sie erobert haben. Ein wahrer Triumphzug bahnte sich dann immer an. Hier aber nun reitet Jesus auf einem Esel.
Und der Evangelist Matthäus berichtet ausdrücklich, dass Jesus selber die Eselin ausgesucht hatte. Zwei Jünger schickt er in das Dorf, dort finden sie eine Eselin mit ihrem Fohlen. Sollte jemand fragen, wieso sie diese beiden mitnehmen, sollen sie antworten:
Der Herr braucht sie, er lässt sie aber bald zurückbringen. Das ist geschehen, damit sich erfüllte, was durch den Propheten gesagt wurde: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist sanftmütig und er reitet auf einer Eselin und auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers (Mt 21, 3-5).
Und der da auf der Eselin einreitet, ist ein friedlicher König. Keine Soldaten begleiten ihn, keine Waffen blitzen auf. Er ist „sanftmütig“ und genau das ja ist auch das immer genannte Prädikat des Esels: er ist sanftmütig. Ein Esel trumpft nicht auf, er stellt sich nicht in Pose, er geht ruhig seinen Weg, niemanden möchte er ein Leid zufügen. Niemals ist man mit Eseln in die Schlacht geritten. Fast könnte man meinen: Tier und Mensch, die Eselin und Jesus, gehen eine Symbiose ein bei diesem Einzug, beide verkünden dieselbe Botschaft.
Musik4: Sonate NR 8. B-dur; Rosenkranzsonaten
Und vielleicht ist auch so eine der bekanntesten Abbildungen aus dem Rom des 2. Jahrhunderts zu erklären. In der Wachstube des Kaiserpalastes auf dem Palatin fand man im 19. Jahrhundert eine Kritzelei an der Wand. Man sieht darauf ein Kreuz in Strichen, daran hängt ein Mensch mit Armen und Beinen. Und anstatt eines Menschenkopfes sieht man einen Eselskopf. Daneben erkennt man einen Mann, der diese Figur verehrt. Auf griechisch steht darunter: „Alexamenos betet seinen Gott an“. Lange Zeit hat man dieses Grafitto als Spott- und Schmähzeichnung verstanden. Einen Menschen, der am Kreuz hängt, anzubeten, ist für den antiken Menschen schon schlimm genug, aber dann auch noch mit einem Eselskopf? Das ist dann der Gipfel des Hohns und der Blasphemie. Aber neuere theologische Forschung hat daraufhin gewiesen, dass ja der Esel, wie wir gesehen haben, positiv in der jüdischen Welt konnotiert war[1]. Und so könnte es ja gerade umgekehrt sein, dass hier ein Gläubiger in Jesus denjenigen erblickt, der wie der Esel sanftmütig ist, selbst im Leiden; der geduldig und gehorsam ist, bis an sein Ende.
Und dass Christen sich auch im Esel wiedererkennen können, indem sie nämlich Jesus auf sich aufnehmen; ihn tragen, mit wachem Blick mit ihm den Weg gehen, das hat im 4. Jahrhundert der Kirchenvater Ambrosius in anrührenden Worten ausgedrückt:
Nicht etwa des äußeren Auftretens wegen gefiel es dem Herrn der Welt, sich vom Rücken einer Eselin tragen zu lassen, sondern um in der Verborgenheit des Mysteriums sich das Innerste unseres Herzens zu bereiten. In den geheimen Seelenkräften will er als mystischer Reiter sich niederlassen, um gleichsam im Leib durch göttlichen Einfluss die Schritte des Geistes zu lenken […]. Glücklich jene, die einen solchen Reiter in ihr Inneres aufgenommen haben […] Lerne vom Haustier Gottes Christus tragen, denn er ist es, der dich zuerst trug […][2]
Ich finde, dies ist gerade für die anstehenden Kar- und Ostertage eine gelungene Kurzformel eines christlichen Lebensauftrags: zu lernen, Christus zu tragen. „Denn er ist es, der dich zuerst trug“.
Musik 5: Sonate NR 8. B-dur; Rosenkranzsonaten
Und genau in diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen einen gesegneten – und getragenen Palmsonntag
[1] https://www.domradio.de/artikel/theologe-analysiert-die-bedeutung-des-esels-palmsonntag
[2] In Luc. lib. IX, 9-14, gekürzt. Zitiert in: Dorothea Forstner OSB, Die Welt der Symbole, Innsbruck-Wien-München 1961, S. 369 – 370).