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Schon und noch nicht
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katholisch

Das Geistliche Wort | 30.03.2025 | 08:40 Uhr

Schon und noch nicht

„Wann ist es denn so weit?“ Ich weiß nicht, wie oft ich das gefragt worden bin, als ich im vergangenen Jahr – deutlich sichtbar – schwanger war. Meistens habe ich mich sehr über das Interesse gefreut und war oft auch überrascht, wer da so mitgedacht und mit mir diese Erwartung, dass es bald so weit ist, geteilt hat. Großartig!

Mittlerweile ist mein Sohn schon fast ein Jahr alt, aber ich denke noch oft an diese Zeit vor der Geburt zurück, in der ich es kaum erwarten konnte ihn endlich kennen zu lernen. Aber auch nach der Geburt ging es mit den Erwartungen weiter. Da war so vieles, was er schon konnte und genauso viel eben auch noch nicht: Auf einmal dreht er sich vom Rücken auf den Bauch, aber noch nicht wieder zurück, er lächelt zum ersten Mal, aber kichert noch nicht. Dann fängt er an zu plappern, aber so richtig verstehen kann man noch gar nichts. Das erste Mal ertönt das Wort: „Mama“, aber es war noch kein richtiger Satz.

Bis heute bin ich voller Erwartungen, was mein Sohn schon kann und was noch nicht – und ich kann Ihnen sagen: das Warten lohnt sich.

Musik I: Stevie Wonder, Isn’t she lovely

Ich warte und staune über all das, was mein Sohn schon kann und was noch nicht. Und er entwickelt sich rasend schnell. Manchmal geht mir das schon fast zu schnell. Einerseits fiebere ich jedem seiner Entwicklungsschritte entgegen und möchte sie ganz intensiv erleben. Gleichzeitig merke ich in der Rückschau oft, wie die Zeit dahin gerast ist. Da ist es wie so oft im Leben: Es ist so spannend zu sehen, wie sich etwas entwickelt, was schon geht und was noch nicht.

Kein Wunder, dass das auch ein religiöses Motiv ist. Warten darauf, dass sich etwas ver-ändert und ver-wandelt, ganz zwischen „schon und noch nicht“. Als Christin erlebe ich das zum Beispiel jetzt auch in der Zeit vor Ostern. In der Fastenzeit. So
werden in der christlichen Tradition die 40 Tage zwischen Aschermittwoch und Karsamstag bezeichnet. Diese Zeit soll zum
Fasten genutzt werden, wie der Name schon sagt, und
zum Beten. Die Dauer von 40 Tagen, geht hauptsächlich auf die 40 Tage zurück, die Jesus, der Bibel nach, in der Wüste verbracht hat, bevor er öffentlich auftrat.

40 Tage Zeit etwas zu verändern - „umzukehren“, wie es im christlichen Jargon heißt und wieder bewusster zu leben. Dazu ist die Fastenzeit da. So lassen manche Menschen 40 Tage ihr Auto stehen oder verzichten auf soziale Medien. Andere fasten Genussmittel wie Süßigkeiten oder Alkohol. Das ist kein Selbstzweck, sondern ein Schritt, um vertiefter zu leben und sich frei zu machen. Auch wenn der Verzicht manchmal schwerfällt. Und für alle Christinnen und Christen, die fasten, habe ich jetzt eine gute Nachricht: Heute ist die Hälfte der Fastenzeit geschafft. Deswegen trägt der heutige Sonntag in der katholischen Kirche auch einen besonderen Namen: „Laetare“- Sonntag, was so viel bedeutet wie „Freue dich“-Sonntag. Schon ist die Hälfte der Fastenzeit rum, aber wir sind noch nicht bei Ostern angekommen.

Musik II: Fats Domino, I’m walking

Heute ist die Fastenzeit bei den Christen schon halb rum, aber es ist noch nicht Ostern. Anders dagegen bei den Muslimen. Die kennen auch eine Fastenzeit; den Ramadan. Und die geht heute bei ihnen zu Ende: Herzlichen Glückwunsch! Nach dem Ramadan begehen die Muslime das Zuckerfest. Das Fest des Fastenbrechens.

Beim Ramadan handelt es sich übrigens um den neunten Monat des islamischen Mondkalenders. Er genießt einen besonderen Stellenwert, weil in ihm der Koran, die Heilige Schrift des Islam, zu den Menschen herabgesandt worden sein soll, indem er Mohammed offenbart wurde. Das Fasten im Ramadan zählt zu den fünf Säulen des Islam – neben dem Pilgern nach Mekka, den täglichen Gebetszeiten, dem Glaubensbekenntnis zu Allah als einzigen Gott und dem Spenden. Der Ramadan beginnt, wenn zum Ende des Neumonds die Mondsichel zu sehen ist. Ab diesem Zeitpunkt wird täglich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts gegessen und getrunken. Ausnahmen gibt es für diejenigen, bei denen das Fasten zu gesundheitlichen Problemen führen könnte. So sind beispielsweise Kranke und Schwangere von der Pflicht entbunden. Sofern es möglich ist, sollen ausgelassene Fastentage aber später nachgeholt werden.

Dabei geht es auch hier um Verzicht; darum, zu spüren wie es ist, wenig bis gar kein Essen zu haben. Und auch hier ist das Fasten kein Selbstzweck, sondern hat ebenso wie in der christlichen Tradition eine spirituelle Dimension. So soll man auch im Ramadan über sich selbst und die eigene Lebensgestaltung nachdenken. Intensives Gebet gehört dabei genauso dazu wie das Spenden für wohltätige Zwecke oder aber auch der Verzicht darauf zu lügen, zu verleumden oder zu beleidigen. Viele Muslime lesen auch den ganzen Koran. Durch all das soll die eigene Seele gereinigt und die Beziehung zu Gott gestärkt werden. Die Tage im Ramadan enden mit dem abendlichen Fastenbrechen.

Zum Ende des Fastenmonats versammelt sich nach Sonnenuntergang die ganze Familie zum festlichen Fastenbrechen, das als zwei- bis dreitägiges Fest gefeiert wird. Es gilt, nach dem Opferfest, als zweithöchster islamischer Feiertag. Man isst und trinkt gemeinsam und die Kinder bekommen jede Menge Süßigkeiten. Letzteres ist übrigens auch der Grund für den Namen "Zuckerfest", da die Kinder meistens schon vorher für das Fastenbrechen viele Leckereien geschenkt bekommen. Irgendwie muss ich da an Ostern und Ostereier und Schmunzelhasen aus Schokolade denken.

Musik III: Hubert Laws, My time will come

Muslime feiern schon, Christen noch nicht. Auch hier wieder: „Schon und noch nicht“. Dabei handelt es sich in der christlichen Tradition um eine ganz wesentliche theologische Aussage. Jesus verkündet nämlich durch sein Leben und Handeln, sowie durch seinen Tod und seine Auferstehung, dass das sogenannte Reich Gottes schon in der Welt angebrochen, aber noch nicht ganz vollendet ist. Diese Botschaft ist das A und O seiner Verkündigung. In den Gleichnissen, die er erzählt und mit den Wundern, die er gewirkt hat, wollte er den Menschen zeigen, wie er sich das Reich Gottes vorstellt. Nämlich im Gegensatz zum römischen Reich, beispielsweise, nicht als politische Größe, sondern als Zustand, in dem neue Beziehungen zwischen Menschen und mit Gott lebendig werden können; in dem es keine Krankheiten, keine Einsamkeit und keine Missachtung der Würde der Menschen mehr gibt. Dazu gelten neue Maßstäbe für die Beziehungen der Menschen untereinander wie Gewaltlosigkeit, Nächsten- und Feindesliebe, Mitgefühl und Versöhnung. Das Reich Gottes bedeutet: die ganze Welt soll umgestaltet werden: Gerechtigkeit, Frieden, Freiheit und Liebe sollen herrschen. Alle Völker sollen vereint sein. Und gemäß dem Gebot der Feindesliebe, sollen auch Gegner oder Feinde darin einen Platz haben. In besonderer Weise gilt diese Botschaft den "Verlorenen" und Ausgegrenzten.

Hört sich zu schön an, um wahr zu sein. Denn der Mensch alleine kann das Reich Gottes nicht erarbeiten oder verdienen. Letztlich kann er dafür nur offen sein und es sich schenken lassen. Aber ich bin mir sicher: Wenn diese Botschaft von Menschen aufgegriffen wird und sie danach ihr Leben gestalten, dann können sie einen Anteil daran haben, dass das Reich Gottes zwar noch nicht vollendet, aber schon jetzt auf der Welt spürbar ist.

Musik IV: Carlos Santana, Waiting

Schon und noch nicht. Wie viel ist schon vom Reich Gottes in der Welt verwirklicht und wie viel noch nicht? Es bleibt spannend und eine Herausforderung, die Christinnen und Christen aushalten und angehen müssen. Denn mit Jesus Wirken in der Welt hat das Reich Gottes erst angefangen. Seitdem sind Menschen dazu aufgefordert, so zu leben, dass dieses Reich in der Welt spürbar wird, auch wenn es letztendlich nur durch Gott selbst vollendet werden kann. Allerdings findet sich diese Spannung von „schon und noch nicht“ auch in vielen alltäglichen Situationen wieder. Ich sehe das zum Beispiel bei meinem Sohn, der in seinem ersten Lebensjahr schon so viel gelernt hat, gleichzeitig natürlich noch nicht lange damit fertig ist. Oder – um ein anderes Beispiel zu nennen: Manch einer hat schon einen Führerschein gemacht und kann trotzdem noch nicht Auto fahren. Jemand ist vielleicht schon 65 Jahre alt, kann aber noch nicht in Rente gehen. „Schon und noch nicht“ findet sich in vielen Themen wieder und so komme ich noch einmal auf andere Religionen zu sprechen.

Im sogenannten interreligiösen Dialog gibt es schon viele Bemühungen das Kennenlernen und das miteinander Reden zwischen Religionen zu fördern, um sich dadurch gegenseitig auf Augenhöhe begegnen zu können. Dafür hat sich bereits vor 60 Jahren etwas Großartiges ereignet. 1965 fand das zweite vatikanische Konzil der katholischen Kirche statt. In einem der Texte dieser riesigen Konferenz geht es um die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Äußerst bemerkenswert ist, dass das Konzil darin unter anderem zu dem Schluss kommt, dass Wahres und Heiliges nicht nur in der katholischen Kirche, sondern auch in anderen Religionen zum Ausdruck kommen.

Das mag heute banal klingen. Damals war es aber von außerordentlicher Bedeutung. Denn damit wurde der, bis dato exklusiv verstandene Wahrheitsanspruch der katholischen Kirche relativiert. Was vielleicht heute für den Großteil aller Menschen völlig selbstverständlich klingt, war in der damaligen Zeit ein absolutes Novum, vor allem vor dem Hintergrund, dass bis dahin eine strickte Vorstellung herrschte, die da lautete: „Außerhalb der Kirche kein Heil.“

Musik V: George Benson, Breez‘in

Seit dem Konzil engagieren sich viele Menschen im interreligiösen Dialog. Sie starten Projekte, versuchen aufzuklären und bringen Menschen unterschiedlicher Religionen zusammen. So wollen sie Stereotype abbauen und Vorurteile bekämpfen. Und dieses Anliegen scheint mir gerade im Moment wieder unendlich nötig zu sein.

Eines dieser Projekte durfte ich in meiner Zeit als Seelsorgerin in Oberhausen-Osterfeld einmal im Jahr begleiten. Im Rahmen des Projektes „Schule ohne Rassismus“ waren alle Siebtklässler der dortigen Gesamtschule einen Tag unterwegs, um eine Mosche, eine Synagoge und eine Kirche zu besuchen. Vor Ort wurden sie von Seelsorgerinnen und Seelsorgern der entsprechenden Religion empfangen, konnten sich die unterschiedlichen Gotteshäuser anschauen und Fragen zu der jeweiligen Religion stellen. Jedes Jahr aufs Neue habe ich mich auf diesen Termin gefreut. Auf die Neugier der Kinder und gleichzeitig auf die Möglichkeit selbst noch einmal ganz genau über Fragen zu meiner Religion nachzudenken. Dabei haben wir gemeinsam immer wieder festgestellt, wie viele Parallelen es zwischen den Religionen gibt, zum Beispiel Zeiten des Fastens, die Sorge für Arme Menschen, eine heilige Schrift; aber auch den Wunsch, Gott näher zu kommen und sich dafür einzusetzen, dass die Welt so wird, wie Gott sie sich für uns wünscht.

Trotzdem es schon viele Projekte dieser Art gibt und Menschen egal welcher Religion sich bemühen aufeinander zuzugehen, ist das Ziel eines friedlichen Neben- und Miteinanders von Religionen leider noch in weiter Ferne.

Musik VI: Al Jarreau, Never give up

„Schon und noch nicht“. Vieles im interreligiösen Dialog ist schon erreicht, aber es gibt noch viel zu tun. Und das gilt auch für andere Bereiche. Ich muss diese Spannung aushalten, dass ich von vielen Zielen noch weit entfernt bin. Auch wenn ich mich danach sehne, endlich am Ziel zu sein, lebe ich doch im Hier und Jetzt. Das ist mir sehr bewusst. Deswegen möchte ich Verantwortung übernehmen und aufmerksam auf diese unfertige Zeit reagieren. Wie war das gleich mit den verbindenden Elementen aus den verschiedenen Religionen: Sorge tragen für arme Menschen, beten, versuchen, Gott näher zu kommen und die Welt nach seinem Willen umzugestalten. Mit einer Spur Gottvertrauen das Beste aus all dem Unfertigen zu machen.

Mich motiviert dabei ein Zitat von Meister Eckhart, einem großen christlichen Mystiker aus dem Spätmittelalter. Es hilft mir, mich zu fokussieren, wenn ich mal wieder ungeduldig zwischen schon und noch nicht stecke:

„Die wichtigste Stunde im Leben ist immer der Augenblick; der bedeutsamste Mensch im Leben ist immer der, welcher uns gerade gegenübersteht und das Notwendigste in unserem Leben ist immer die Liebe.“

Musik VII: Miles Davis, Time after time

Es grüßt Sie aus Recklinghausen, Sabrina Kuhlmann


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