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Der Karfreitags-Soundtrack
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Das Geistliche Wort | 18.04.2025 | 08:40 Uhr

Der Karfreitags-Soundtrack

Der Karfreitag ist ja wirklich so ein besonderer Tag. Diese „Karfreitagsstimmung“ habe ich schon als Kind gespürt. Die ist ja sogar sprichwörtlich. Klar: Feiertage gibt es ja viele im Jahreslauf. Und dass es dann auch stiller ist, das ist ja auch irgendwie klar. Die Geschäfte sind geschlossen. Das tägliche Alltagsgeschäft hat Zeit zu verschnaufen. Und: es ist Zeit für ein wenig mehr Müßiggang. Heute geht das alles noch irgendwie weiter. Selbst die Glocken an den Kirchtürmen schweigen und die Orgel natürlich auch. Es gilt das Gebot des sogenannten „Stillen Feiertages“. Tanz- und Amüsierveranstaltungen sind verboten, selbst das Radioprogramm klingt irgendwie anders. Nicht wenige, die mit dem Karfreitag nichts am Hut haben, die stoßen sich regelmäßig daran. Eine gruselig-karge Atmosphäre. Und warum das alles? Wegen des grausamen Foltertodes Jesu. Und die Kritiker fragen: Müssen wir deshalb auch heute noch in Sack und Asche gehen? Und in diesem Punkt, da bin irgendwie gar nicht soweit weg von den Kritikern. Gibt es nicht genug Leid in der Welt? Das alles: Den Krieg und seine Opfer, die Sorge vor Terror und Gewalt. Die politischen Herausforderungen und die das Ringen um unsere freiheitlich-demokratischen Werte… Da muss man doch nicht auch noch den Leidensweg eines Religionsgründers verherrlichen, oder? Und wenn Jesus doch eh aufersteht… würde ihn dann wirklich stören, wenn heute die Glocken läuten und ich genüsslich ein Eis schlecke?

Das habe ich heute gar nicht vor… aber: Was mich immer beschäftigt hat, war die Frage, ob man dieses Leid überhaupt feiern kann, soll, muss….

Mein Name ist Bastian Rütten und ich bin Pastoralreferent im Wallfahrtsort Kevelaer – wo heute auch die Orgel schweigt. Aber meiner Frage bin ich nachgegangen mit einem der Größten an der Orgel, mit Johann Sebastian Bach:

Musik 1: Johann Sebastian Bach: Johannespassion - Herr Unser Herrscher - Helmuth Rilling

Im Eingangschor von Bachs beeindruckender Johannespassion wird mir das alles noch mal besonders deutlich. Als Auftakt zur musikalischen Erzählung vom Leiden und Sterben Jesu setzt Bach einen eindrucksvollen musikalischen Auftakt. Wie eine Ouvertüre baut er eine besondere Spannung auf. Aber der Text?

„Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm in allen Landen herrlich ist. Zeig uns durch deine Passion, dass du, der wahre Gottessohn, zu aller Zeit, auch in der größten Niedrigkeit, verherrlicht worden bist.“

Und da sind sie schon: Meine Anfragen an diesen Tag. Echt jetzt? Ruhm durch Leid und Folter? Erniedrigung als Verherrlichung? Ganz ehrlich: Genau das schockiert mich Tag für Tag aufs Neue, wenn ich Nachrichten höre und die Zeitung lese. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mit Menschen darüber ins Gespräch komme. Noch neulich sagte mir jemand: „Wann ist das eigentlich mit der Welt so geworden? Ich habe Angst, dass ich vergesse, wie es vorher war!“. Tja… auch vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine gab es Krieg, denke ich so bei mir. Auch vor der Wahl Trumps zum Präsidenten gab es politische Systeme, an die man durchaus Fragen stellen konnte und kann. Auch vor den Massakern in Israel und den Auseinandersetzungen dort gab es fast unlösbar erscheinende Konflikte und Krisenherde, die wie ein Pulverfass wirken. Das alles gab es immer schon. Auch zur Zeit Johann Sebastian Bachs.

In diesem Jahr denkt die Musikwelt an seinen 275. Todestag und an seinen 340. Geburtstag. Land auf, Land ab wird Bach musiziert. Auch heute in vielen Konzerthäusern und Kirchen. Und sicher auch seine Johannespassion. Sie vertont die Leidensgeschichte Jesu, wie der Evangelist Johannes sie aufgeschrieben hat. Unterbrochen wird diese erschütternde Erzählung von Arien und Chören. Mit ihnen wollte Bach nur eines: Die Botschaft von damals in sein Heute holen. Sie erklären. Mit den Mitteln seiner Kunst und der Sprache seiner Zeit.

So schwierig ich diesen Karfreitag finde, so gut tut mir die Musik dazu; quasi der Soundtrack aus Bachs Feder. Wenn heute alle Gottesdienste gefeiert sind und im Familienchaos Ruhe einkehrt, werde ich sie wahrscheinlich und wie jedes Jahr hören. Diese Musik tut gut. Sie ist von durchdachter Genialität und zugleich packt sie mich emotional immer, immer wieder. Jahr für Jahr gehört dieses Ritual für mich dazu. Im Sessel sitzen und am Abend des Karfreitags diese wunderbare Musik genießen. Und dann, dann wundere ich mich auch Jahr für Jahr. Auch, während ich das hier erzähle ist das irgendwie schräg. Auch die schönsten Barrock-Arien, Chöre und Rezitative ändern ja die Botschaft nicht! Kann durch den Tod eines Menschen die Freiheit kommen? Kann ein Martyrium etwas Positives bewirken?

Musik 2: Johann Sebastian Bach: Johannespassion – Ich folge dir gleichfalls - Helmuth Rilling

Bach gelingt dieser positive Blick in all der Katastrophe irgendwie… zumindest musikalisch. Mitten in seiner Johannespassion. An einer Stelle, bei der es um Petrus geht. Der war ja angeblich der Fels gewesen. Einer, der zu seinen Überzeugungen steht und bis heute (so erklären wir das Papstamt) eine führende Position hat. Dieser Petrus bekommt Hasenfüße in der Passion. Obwohl er es früher einmal anders behauptet hat, verleugnet er Jesus drei Mal. „Ich kenne den Menschen nicht!“ – Kaum ertragen konnte er wahrscheinlich die aufziehende Situation, die missbrauchte Macht und all die Gewalt. Jedenfalls ist es ein biblisches Rätsel, dass ausgerechnet Petrus, der Felsen, wankt. Wie auch immer: Genau an dieser Stelle setzt Bach zu einer sehr bewegten und lebendigen Arie an. „Ich folge dir gleichfalls…mit freudigen Schritten!“. Da geht es um die Nachfolge dieses Menschen Jesus. Und irgendwie zeigt es mir auf: Es gibt immer beides. Selbst in vielen ausweglosen Situationen und Zeiten, da gibt es auch oft den Schimmer einer Perspektive. Vielleicht ist auch so etwas wie Hoffnung möglich? Für mich ist das schwer vorstellbar. Trotzdem war das vor einiger Zeit einmal sehr konkret erfahrbar für mich und das hat mich fasziniert.

Bei uns in Kevelaer durften wir nämlich Jaques Mourad begrüßen – ein ganz besonderer Mensch. An einem Spätsommerabend im vergangenen Sommer saßen wir mit ihm zusammen. Am 21. Mai 2015 wurde der syrisch-katholische Mönch von Dschihadisten aus seinem Kloster entführt. Fünf lange Monate hielt man ihn in Gefangenschaft. In unserem langen Gespräch erinnerte er sich an diese Tage der Gewalt, der Schikanen, der Entbehrungen, der psychischen und physischen Folter. Er berichtete von seinem Land und von den Menschen dort. Von Situationen, die für mich und uns hier kaum vorstellbar sind. Familien, die Tage und Wochen ohne Strom und Wasser leben. Die Angst vor dem Terror und um das eigene Leben. Er erzählte davon, wie bestialisch Menschen anderen Menschen die Hölle auf Erden bereiten können. Das alles: eine wirkliche Passion voller Leid, Schmerz und Tod. Besonders beeindruckt hat mich, dass Jaques Mourad alles andere als gebrochen wirkt. Er lachte viel. In seinen Augen glänzt die Lebensfreude. Er hört gerne zu. Und sein Eifer für seine Mission scheint (auch nach all dem Leid) ungebrochen und größer denn je. Mittlerweile ist der Bischof von Homs, im Westen Syriens. Ein Zitat von ihm bringt das alles auf den Punkt:

„Ich kann die Kraft und den Mut nicht vergessen, die es mir erlaubten, diesen Dschihadisten ins Gesicht zu sehen und ihnen die Liebe Jesu zu vermitteln. In diesen Situationen schenkte mir Gott vor allem die Gabe des Lächelns, und das war etwas, das meine Gefängniswärter verunsicherte. Sie fragten sich, wie es möglich sei, dass ein Gefangener lächeln könne, und selbst ich konnte nicht erklären, woher ich die Kraft dazu nahm.“

Musik 3: Johann Sebastian Bach: Johannespassion – Eilt, ihr angefochtnen Seelen - Helmuth Rilling

Damals musste ich im Nachgang zu dem Gespräch mit Jaques Mourad komischer Weise auf dem Heimweg direkt an Bach denken und an seine Johannespassion.

„Eilt, ihr angefochtnen Seelen, geht aus euren Marterhöhlen, eilt -
Wohin? - nach Golgatha. Nehmet an des Glaubens Flügel, flieht -
Wohin? - zum Kreuzeshügel, eure Wohlfahrt blüht allda
.

Ob Jaques Mourad sich als „angefochtene Seele“ bezeichnen würde? Wahrscheinlich nicht. Aber das mit den Glaubensflügeln, das stimmt irgendwie. Dieser kleine, gebeugte Mann erzählt uns in der sicheren Umgebung unseres Gästehauses bei Getränken und einem Imbiss von den Abgründen der Menschlichkeit. Das sind wahrscheinlich die wirklichen Marterhöhlen unserer Zeit, von denen Bach seinen Bass-Solisten singen lässt. Eltern, denen die Kinder genommen werden. Kinder die zusehen, wie ihre Familie hingerichtet wird. Der Mangel an allem: Nahrung, Arbeit, Sicherheit, Perspektive… kein Dach über dem Kopf. Das ist Golgotha 2025. Und das gibt es ja leider nicht nur in Syrien.

Bachs Musik sagt es am Ende: Auf diesen Kreuzeshügeln soll unsere Wohlfahrt blühen? Wohlfahrt, dieses alte Wort meint ja mehr als „sicher, warm und satt sein“. Das meint: unser ganzes Leben und vor allem: dass Gott es gut mit mir meint. Egal was ist. Egal was kommt.

Während damals, am ersten Karfreitag, das Kreuz aufgerichtet wurde, ging an vielen, vielen Orten das Leben einfach weiter. Menschen verliebten sich. Menschen entliebten sich. Andere feierten. Wieder andere weinten. Man lag sich irgendwo in den Armen, während man anderenorts stritt. Irgendwo wurden Kinder geboren. Anderenorts starben Menschen. Alles, alles gleichzeitig. Aber an diesem einen Ort, an Golgotha, da blieb die Zeit stehen. Da hing ein Mensch mit „göttlicher Vollmacht“ hilflos zwischen Himmel und Erde. Jenem Himmel, der für uns immer schon mit Gott in Verbindung gebracht wurde. Jene Erde, auf der uns Menschen Tod, Leid, Trauer und Schmerz nicht erspart wurden und werden.

Dazwischen hängt Jesus. Machtlos. Kraftlos. Hilflos. Und am Ende: tot.

Musik 4: Johann Sebastian Bach: Johannespassion – Zerfließe mein Herze - Helmuth Rilling

Johann Sebastian Bach setzt unmittelbar nach dem Tod Jesu in seiner Passion eine herzzerreißende Arie an. In historischer und für uns sicher ungewohnter Sprache singt sie von einem zerfließenden Herz. Und Bach lässt davon singen, dass der Welt, dem Himmel und allen Ecken und Enden erzählt werden soll: Jesus ist tot! Das hatten die Menschen damals zu lernen. Die Jüngerinnen und Jünger, seine Mutter und alle, die um das Kreuz herumstanden. Wahrscheinlich war das für alle die dunkelste Stunde ihres Lebens. Hoffnung, Liebe, Vertrauen, Menschlichkeit, Zuversicht, Zukunft… das Leben: alles aufs Kreuz gelegt.

Diese Momente kann man kaum ertragen. Das galt für die Beteiligten damals. Das gilt aber auch für mich. Ich kann die Bilder und Nachrichten kaum noch ertragen. Leid, Not und Tod an so vielen Orten auf der Erde.

Das macht mich ohnmächtig. Das berührt mich. Davon lasse ich mich berühren. Das genau merke ich am Karfreitag. Gerade zum Beispiel, während ich Ihnen davon erzähle. Das werde ich vermutlich auch heute Abend merken, wenn ich mir wieder die gesamte Johannespassion gönne. Vielleicht braucht es gerade deswegen einen festen Platz für diese unerträgliche Botschaft: Es gibt das Leid, den Tod, das Sterben für eine Sache, die Ungerechtigkeit auch heute.

Jaques Mourad hat mal in einem Interview gesagt, er habe verstanden, dass diejenigen, die sich entscheiden, keine Gewalt auszuüben, durch ihre Entscheidung die Haltung derjenigen ändern können, die es gewohnt sind, Waffen zu tragen. Daraus spricht für mich ein wenig Ostern in all dem Karfreitag. Liebe gewinnt! Sie siegt auch über den Tod!

Vielleicht ist dies der Appell an uns an jedem, besonders an diesem Karfreitag. Vielleicht ist mir Bischof Jaques ein guter Karfreitags-Lehrer gewesen. Vielleicht hat Bach mir dazu den schönsten, tröstlichsten und mutmachendsten Karfreitags-Soundtrack geschenkt.

Bach schließt diese Karfreitagsmusik mit einem wunderbaren Choral ab. „Ach Herr, lass dein lieb´ Engelein, am letzten End die Seele mein in Abrahams Schoß tragen!“. Dieses Bild tröstet und versorgt für den Moment meine persönlichen Wunden. Mag sein, das ist manchmal der einzige Trost, der wirkt: Dass wir am Ende nicht fallen, sondern geborgen sind.

Musik 5: Johann Sebastian Bach: Johannespassion – Ach Herr, lass dein lieb´ Engelein - Helmuth Rilling

Aus Kevelaer grüßt Sie Bastian Rütten.

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