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Kirche in WDR 5 | 15.04.2025 | 06:55 Uhr
Ehrliche Worte
Guten Morgen!
Zufällig habe ich es erfahren, durch die Todesanzeige in der lokalen Tageszeitung. Eine Nachbarin ist gestorben. Wir kannten uns nicht gut, aber wir sind einander oft begegnet. Wenn sie ihren täglichen Gang machte mit ihrem kleinen Hund und ich auf dem Sprung war zu einem Termin. Manchmal haben wir ein paar Worte miteinander gewechselt. Etwas herrlich Handfestes und Lebensfrohes ging von der alten Dame aus. Ich mochte sie und freute mich immer, sie zu sehen.
Ich möchte den Angehörigen schreiben und mache mich auf die Suche nach einer passenden Trauerkarte. Das wird schwieriger als gedacht. Die entsprechenden Ständer im gut sortierten Schreibwarengeschäft bieten eine reiche Auswahl: Unzählige Motive in gedeckten Farben: erdige Töne, gelblich-braun, rostrot und grün. „Herzliches Beileid“ ist darauf gedruckt. Oder „In stiller Trauer“. „Aufrichtige Anteilnahme“. Oder „Tief empfundenes Mitgefühl“. Seltsam eigentlich, dieses Wort „Beileid“. Ich mochte es noch nie. Und warum muss betont werden, dass die Anteilnahme „aufrichtig“ ist? Oder das Mitgefühl „tief empfunden“? Ist Trauer wirklich still? Es ist schwer, angesichts des Todes Worte zu finden. All diese unbeholfenen Versuche wollen aus der Verlegenheit helfen - und bleiben doch leblos steife Floskeln. Warum nicht einfach einen Briefbogen nehmen und in ein paar Sätzen aufschreiben, was ich mit dieser alten Dame verbinde – und wie mir die Begegnungen mit ihr fehlen werden? Warum nicht durchblicken lassen, was meine persönliche Hoffnung ist?
„Seht, der Mensch!“, sagt der der römische Statthalter Pontius Pilatus im Blick auf Jesus, als er ihn zum Tod am Kreuz verurteilt. „Seht, der Mensch!“: Ja, es geht ums offene und ehrliche Hinsehen auf jeden einzelnen Menschen. Keiner ist einfach nur „eine Verstorbene“ oder „ein Sterbefall“. Jeder einzelne Mensch ist in Gottes Blick wie dieser eine, der ans Kreuz geht und nicht im Tod bleiben wird. „Seht, der Mensch!“: Es geht ums offene und ehrliche Hinsehen auch auf mich selbst: Wie erschrocken ich bin über ein Sterben, wie traurig, wie ratlos, wie wütend manchmal auch. Genau das kann ich doch sagen oder schreiben. Und wenn mir eigene Worte fehlen – warum fasse ich nicht genau das in ehrliche Worte? Ich bin zuversichtlich: Die Angehörigen werden es verstehen und womöglich gerade dadurch getröstet sein. Oder ich leihe mir Worte.
Ich selbst finde solche Worte in den Psalmen der Bibel. Vielleicht blättern Sie mal in diesem reichen Schatz, falls Sie eine Bibel griffbereit haben. Sie werden auf Sätze stoßen, die Ihre eigenen sein könnten, da bin ich ganz gewiss.
„Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser. Meine Augen sind trübe geworden, weil ich so lange harren muss auf meinen Gott“: Das ist für mich so ein Satz. Oder der: „Dennoch bleibe ich stets an dir, Gott, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.“
Vielleicht finden Sie für sich noch ganz andere Sätze.
Gute Entdeckungen wünscht Ihnen
Annette Kurschus, Pfarrerin in Bielefeld.
Quellen:
Psalm 69,4 (Die Bibel, Luther 2017).
Psalm 73,23f (Die Bibel, Luther 2017).
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze