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Das Geistliche Wort | 25.05.2025 | 08:40 Uhr
Zuversicht
Autor:
Katahrina Afflerbach arbeit sehr erfolgreich in der Marketingabteilung einer großen Reederei. Am 13. Januar 2012 kentert ein großes Kreuzfahrtschiff dieser Reederei vor einer Insel im Mittelmeer. Die Costa Concordia. Eine Tragödie. Und Katahrinas berufliches Leben ändert sich komplett. Im Podcast ´Ansprechbar´ erzählt sie ihre Geschichte:
O-Ton:
Als dieses Unglück passiert ist mit weit über 4 .000 Menschen an Bord, ist natürlich mein eigentlicher Job im Marketing, nämlich schöne Werbung zu machen und die Leute mit verlockenden Bildern und Messages auf die Schiffe zu locken, komplett zum Erliegen gekommen. Verständlicherweise. Es war auch gerade ein ganz neuer Fernsehwerbespot angelaufen und es wäre ja absolut unverzeihlich und mega traurig gewesen, wenn in den Nachrichten gerade noch von dem furchtbaren Unglück berichtet worden wäre und kurz danach läuft dann unser lustiger Werbespot irgendwie über die Kanäle.
Autor:
Und dann wird Katahrina Afflerbach zu einer Art Seelsorgerin der Reederei. Denn sie bekommt die Aufgabe, sich um die deutschen Passagiere zu kümmern. Anrufen und nachfragen, ob es ihnen irgendwie einigermaßen gut geht, psychologische Unterstützung anbieten.
Insgesamt 32 Passagiere kommen durch das Unglück ums Leben. Katharina betreut auch die Menschen, die einen Angehörigen verlieren. Ohne eine Ausbildung in diesem Bereich. Sie muss jetzt einfach Mensch sein.
O-Ton: Und ich bin dann vor Ort gereist, nach Rom und nach Giglio, das war diese Insel, wo das Schiff dann gestrandet ist und habe dann dort die Angehörigen getroffen und begleitet. Und ich habe also diesen Schmerz in so unterschiedlichen Dimensionen. Ja, war ich dem ausgesetzt, bin ich ihm begegnet, ist er mir um die Ohren geflogen sozusagen.
Autor:
Menschen sind verschieden. Ihre Trauer zeigt sich in ganz unterschiedlicher Weise.
O-Ton: Bis hin zu natürlich Wut, die irgendwo von den Angehörigen hin musste, weil ich war ja dann in dem Moment die Schuldige, ich war die Vertreterin der Reederei. Ist ja völlig klar, dass die dann ja mich auch teilweise beschimpft haben, ihr seid an allem schuld, ihr seid schuld, dass wir nicht wissen wo ein Bruder, Schwester, Mann, Frau ist.
Und dann war ich plötzlich aus dieser schillernden Marketingwelt kommend, war ich plötzlich mit dem echten Leben konfrontiert, mit mit Verzweiflung, mit Hoffnungslosigkeit und mit der Abwesenheit von Zukunft, mit einem riesigen schwarzen Loch und mit vielen schwarzen Löchern von vielen verschiedenen Menschen.
Musik 1
Titel: Alive; Komposition/Interpret: Cantoma; Album: Remixes and Bonus Tracks;
Highwood Recordings; LC: unbekannt
Autor:
Es gibt einen Psychologen, der Katharina auf den Reisen zu den Angehörigen begleitet, der für die Familien, aber auch für Katharina, da ist. Mit dem sie sprechen kann. Das tut ihr gut. In den Gesprächen mit den Trauernden verlässt sie sich auf ihre Intuition und ihren Menschenverstand.
O-Ton: Ich habe einfach versucht, irgendwie von Mensch zu Mensch für die Betroffenen da zu sein. Ich habe versucht, mich in sie hinein zu versetzen. Hab gesagt, was, welche Geste oder welches Wort würden ihnen jetzt gut tun, welche Hilfereichung, Hilfestellung und mir war klar, mir war wirklich völlig klar, ich kann eigentlich im Grunde nichts tun. Ich kann nichts tun, um ihnen diese Situation leichter oder angenehmer zu machen. Wir haben zum Beispiel mit einer Fähre dieses Schiffswrack umrundet und Blumen ins Wasser gelassen. Es gab große Gedenk-Gottesdienste.
Autor:
Manchmal wird die Hilfe sehr konkret. Das Team um Katharina schafft zum Beispiel Gesprächsmöglichkeiten zwischen den Familien, wo noch jemand vermisst wird, und den Rettungstauchern, die noch im Wrack auf der Suche sind. Doch was hilft tatsächlich, wenn Menschen warten, vertweifeln, trauern?
O-Ton: Es gibt in solchen Momenten wirklich nichts Schlaues zu sagen. Was willst du sagen, was trösten kann? Gibt es nicht. Und dann habe ich für mich entschlossen, das Einzige, was helfen kann, ist einfach da zu sein und diesen Schmerz anzunehmen und dem Schmerz in die Augen zu blicken. Mehr konnte ich nicht tun. Und das war, was vielleicht ansatzweise das Richtige war.
Autor:Das Unglück ist bereits über 13 Jahre her. Mittlerweile ist Katahrina Afflerbach längst nicht mehr bei der Reederei bechäftigt. Sie arbeitet als freiberuflicher Coach und als Autorin. Die Themen Trauer und Krisenbewältigung prägen sie allerdings nachhaltig. Wenige Jahre nach dem Schiffsunglück wird sie erneut mit dem Tod konfrontiert. Diesmal noch unmittelbarer und näher.
2016 stirbt ihr jüngerer Bruder bei einem tragischen Autounfall.
O-Ton:Mein Bruder war mit einem Moped unterwegs. Und er stand an einem Kreisverkehr, um zu warten, bis er sich einfädeln kann. Und während er da stand, ist von hinten ein Auto. Ja, man kann es nicht anders sagen. Der ist einfach ungebremst in den Kreisverkehr reingerauscht und hat ihn überfahren von hinten.
Autor:Katharina kann sich noch sehr genau an diesen schrecklichen Tag erinnern.
O-Ton:Und es war so ein Frühlingstag, Himmelfahrt bezeichnenderweise, wie man sich den wirklich schöner nicht ausmalen kann mit Sonnenschein, warmen Temperaturen, die Blumenblüten, also wirklich der schönste Mai -Tag. Und ich hatte mein Handy auch aus und habe einen Ausflug gemacht, wie man das an so einem tollen Mai -Tag vielleicht macht. Und als ich es dann abends wieder angeschaltet habe, habe ich diese Nachricht auf meinem Handy und plötzlich ist nichts mehr, wie es war.
Musik 2
Titel: Waiting here; Komposition/Interpret: Jake Isaac; Album: Our Lives; Label: Cielo Sound; LC: 52404.
Autor:
Auch die Zeit direkt nach dem plötzichen Tod ihres Bruders ist für Katahrina Afflerbach noch sehr präsent.
O-Ton:
Also ich hatte zu dem Zeitpunkt damals Vergleiche mit Trauerfällen, wo ich zwar auch eine immense Trauer erlebt habe, aber wo ich jemanden in Frieden gehen lassen konnte. Zum Beispiel meine Großmutter oder mein Großvater oder unsere Katze ist irgendwann nach 17 Jahren auch mal eingeschlafen.
Autor:
Für Katharina sind das Abschiede, mit denen sie zurechtkommt. Sie gehören zum Leben dazu. Sie machen traurig, ja, aber sie sind kein Schicksalsschlag. Der Tod ihres Bruders wirft sie wirklich aus der Bahn.
O-Ton:
Und was ich mir nie hätte vorstellen können, ist, dass Trauer auch so eine unglaubliche körperliche Erfahrung macht. Du bist wirklich so geschlagen, du bist körperlich zu nichts mehr fähig. Du kannst dich so gerade noch vom Stuhl aufs Bett schleppen oder so gerade mal ein Glas Wasser trinken.
Aber selbst die einfachsten Körperfunktionen, denen kannst du irgendwie nicht mehr vertrauen. Und da finde ich, ist der Körper so ein wunderbarer Spiegel der Seele, denn so zerschmettert, wie deine Seele ist und alle deine Verankerungen sind zerrissen, alle deine Wurzeln sind gekappt und genauso geht es deinem Körper. Du bist einfach nur ein zerschmetterter Haufen, der sich irgendwie über die Tage, über Wochen wieder zusammensetzen muss.
Autor:Manchmal sucht sich das Leben harte Wege – so heißt ein Buch von Katahrina Afflerbach, in dem sich mit dem Thema Trauer beschäftigt. Es ist ein Bestseller. Kein Wunder, denn Katahrina schreibt sehr anschaulich über ihre eigenen Erfahrungen mit Tod und Trauer und lässt dann einfühlam auch andere Menschen zu Wort kommen, die ähnliches erlebt haben. Immer mit der Frage: Was hilft in der Krise? Damit trifft sie einen Nerv, denn auch wenn viele sich vor diesen Themen fürchten – irgendwann und in irgendeiner Form werden wir alle mal damit konfrontiert.
Musik 1
Autor:
Katahrina ist nach dem Tod Ihres Bruders als Sennerin auf eine Alm. Sie hilft in den Bergen in der Landwirtschaft auf einer Almhütte. Das ist damals für sie genau die richtige Entscheidung.
Katahrina:Ja, es hat mir gutgetan, dieser Schritt wirklich da hinzugehen und meine Familie und meine Freunde und vor allen Dingen auch den Friedhof und damit meinen Bruder zurückzulassen, war immens schwer. Aber als ich dann da war, wusste ich, ich bin, ich bin gut aufgehoben, weil so eine Alp und wenn man dort oben arbeitet, das hat einen ganz spezifischen Rhythmus. Du stehst morgens sehr früh auf, um kurz nach fünf stehst du im Stall zum Melken, ausmisten, füttern. Dann musst du die Milch verkäsen. Dann müssen Zäune gebaut werden, dann muss Heu gemacht werden. Und die Tiere und das Wetter und die Natur geben diesen Rhythmus vor.
Autor:Schon vor dem Tod ihres Bruders hat Katahrina zwei Sommer lang auf der Schweizer Alp gearbeitet. Doch dieses Mal ist die Taktung der Natur für sie heilsam.
Und dieser Rhythmus und dass ich eine feste Aufgabe hatte und auch in die Abläufe, aber auch in diese Familie dort oben eingebunden war, das hat mir unglaublichen Halt gegeben und die Nähe zur Natur. Was heißt Nähe? Ich war mittendrin. Ich war umgeben von den mächtigen Bergen, die mich, ja, die einfach für mich da waren, die mir zugehört haben. Die Kühe, die Hunde. Ja, da war ich einfach an meinem Platz.
Autor:
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? – So beginnt ein Gebet in der Bibel. Psalm 121. Schon immer hat es Menschen geholfen, sich einzufügen in die Natur. Sich verbunden zu fühlen mit der Schöpfung, genau hier ihren Platz zu finden und Kraft zu schöpfen.
O-Ton:
Ich war auch ganz viel alleine draußen unterwegs. Wenn ich die nach den 120 Rindern schauen musste oder wenn ich die Kühe zum Melken in den Stall holen musste, dann konnte ich auch mal schreien. Dann konnte ich laut sein. Dann konnte ich Rotz und Wasser heulen. Ich hatte also ich hatte Raum. Ich konnte es ausleben. Ich musste mich nicht verstecken mit meiner Trauer.
Musik 3
Titel: Silence between Songs; Komposition/Interpret: Madison Beer; Album: Silence between Songs; Label:
Epic Records/Sing It Loud; LC: unbekannt
Autor:
Sich mit der eigenen Trauer nicht verstecken müssen. Ein wichtiger Aspekt, der hilft, weiterzuleben. In Katharinas Leben gibt es noch andere Ressourcen, die ihr helfen.
Dabei spielt die Bewegung eine große Rolle. Aktiv sein. Wie auf der Alm. Körperliche Arbeit. Sich selbst spüren. Auspowern.
Oder die Selbstliebe. Sich nicht veruteilen. Gut über sich selbst sprechen und sich immer wieder etwas Gutes tun. Das alles führt dazu, dass Katahrina wieder Hoffnung schöpft.
Das aktuelle Buch von Katharina Afflerbach heißt „Zuversicht: Wahre Geschichten vom Weitermachen und Wachsen in schwierigen Zeiten“. Dafür hat sie mit anderen gesprochen, die ähnlich wie sie eine schwere Krise durchlebt haben.
Zuversicht – ein wunderbares Wort. Es kann übersetzt werden mit einem festen Vertrauen auf eine positive Entwicklung in der Zukunft, auf die Erfüllung bestimmter Wünsche und Hoffnungen. Und dabei spielt für Katahrina das Vertrauen in und der Glaube an Gott eine wichtige Rolle.
O-Ton:Ja, also ich glaube, es gibt Stellvertreter hier unten und ich glaube, es gibt Stellvertreter der unterschiedlichsten Art, die uns im spirituellen Sinne auffangen und begleiten und bei mir ist es auch so gewesen, dass ich sehr schnell nach dem Unfall, vielleicht an Tag drei oder vier ungefähr, wusste, wirklich wusste, dass mein Bruder gut aufgehoben ist. Ich hatte die totale Klarheit, ich weiß nicht, woher und wieso, aber ich wusste es und das hat mich innerlich wahnsinnig beruhigt, ich wusste nicht, was er da zu tun hat, ich wusste nicht, warum er jetzt gehen musste, warum er auf so blöde Weise gehen musste, aber mir war völlig klar, für ihn war das okay und gut und er ist jetzt an einem für ihn guten Ort.
Autor:Es gibt verschiedene Ressourcen, auf die Menschen zurückgreifen in der Krise: der beste Freund, die beste Freundin, lange Gespräche, der Rückzug in die Natur, Bewegung, Meditation. Auch der Glaube spielt dann bei vielen eine wichtige Rolle.
Bei ihren Gesprächen mit anderen Betroffenen, die Krisen und Wendepunkte erlebt haben, kommt das sehr häufig zur Sprache und es wird verschieden verstanden.
O-Ton:Auf der einen Seite gibt es manchmal so eine eher kindliche Herangehensweise an dieses Gefühl aufgehoben und geborgen zu sein und dann gibt es ganz aktive Beziehungen mit Gott, eine Auseinandersetzung, ein Reiben, warum passiert diese Scheiße mir, was soll ich jetzt machen, ein Herausforderen, ein Streiten auch und diese aktive Beziehung, so eine Art von aktiver Beziehung habe ich auch. Es ist für mich wie so eine dauerhafte Tonspur oder so eine dauerhafte Beziehungsspur, wo ich weiß, die ist da, die lasse ich auch mal schleifen, aber dank dieser Beziehungsspur und dank der Lebenserfahrung, die ich ja jetzt schon gemacht habe, weiß ich, ich kann alles überstehen, innerlich, mein innerer Kern kann alles überstehen.
Musik 1
Autor:
Auf Gott vertrauen, Kraft schöpfen im Glauben – und zugleich selbst Verantwortung übernehmen –
das gehört für Katharina zusammen. Zur Zuversicht gehört für sie deshalb auch die Eigeninitiative.
O-Ton:Ich glaube, es steht die Einladung im Raum, du bist jetzt in der Scheiße, aber du bist jetzt eingeladen und aufgerufen, damit was zu machen. Dir sind viele Werkzeuge an die Hand gegeben. Die stecken in dir selbst, die Werkzeuge, und die Werkzeuge sind um dich herum. Deine Freunde, gute Bücher, Gesprächsangebote, Selbsthilfegruppen, alles Mögliche. Aber die Hand ausstrecken und die Hand heben und den Schritt gehen, das musst du selbst. Das ist mir wichtig, dieser aktive Teil in dem ganzen Komplex Zuversicht.
Autor:
Aktive Zuversicht – die nehme ich mit. Aus der beeindruckenden Geschichte von Kataharina Afflerbach in meinen Alltag. Der anders ist als der von Katahrina. Aber genau das ist ja das Besondere an unserem Leben. Wir sind alle individuell. Haben tragische und tolle Erlebnisse. Sind gefordert und manchmal völlig machtlos. Aber ich glaube fest: Wir sind niemals allein – denn meine Hilfe kommt von Gott. Der Himmel und Erde gemacht hat.
Musik 4:
Titel: Lifetime; Komposition: Martijn Tienus Konijnenburg; Interpret: Goldkimono; Album: Lifetime – Single; Label: Camp Kimono Records; LC: unbekannt
Autor (overvoice):Ich bin Daniel Schneider aus Bad Oeynhausen und ich wünsche Ihnen einen Sonntag mit viel Zuversicht.
Redaktion:
Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth