Beiträge auf: wdr5
Kirche in WDR 5 | 24.04.2025 | 06:55 Uhr
Glanzvolle Scherben
Er ist mir erst auf den zweiten Blick aufgefallen. Sehe ich ja auch nicht alle Tage: einen Aschenbecher vor der Kirche. Und dann noch so einen: Er ist mit zerbrochenen Porzellanstücken gestaltet. Klar erkenne ich das blaue Kreuz auf weißem Grund. Die Kirche, vor der der Aschenbecher steht, ist aber nicht irgendeine. Ich bin zu Gast bei einem Gefängnisseelsorger. Und wer in der Anstalt zur Kirche kommt, kann noch vorher schnell seine Zigarette ausdrücken und entsorgen. In so einer Anstalt ist wenig schön. Und auch der Aschenbecher ist jetzt keine Schönheit. Machen Sie sich da kein Falsches Bild. Aber die Art der Gestaltung, die packt mich irgendwie. Ich kenne die Trencadís-Technik aus Barcelona. Das Wort „Trencadís“ stammt aus der katalanischen Sprache und bedeutet „das Zerbrechen“ Der berühmte spanische Architekt Antonio Gaudí hat diese Technik verwendet und maßgeblich geprägt. In Barcelona gibt es viele Flächen, die er so gestaltet hat. Am berühmtesten ist wohl die Schlangenbank im Park Güell in Barcelona. Dort sind es tatsächlich Porzellanstücke von zerbrochenen Gegenständen aus dem Haushalt und nicht nur Fliesen. An manchen Stellen finden sich sogar Henkel von Tassen oder Bruchstücke von Tellern. Ursprünglich war die Idee, mit den Materialien zu bauen, die man vor Ort findet. Wenn vor Ort eine Entsorgungsstelle war, warum dann nicht mit dem bauen, was erst einmal zerbrochen aussieht und zu nichts mehr nütze ist?
Jetzt stehe ich jedenfalls vor diesem Aschenbecher auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt. Und der Seelsorger erklärt mir: Beim Arbeitsprojekt haben einige der inhaftierten Jugendlichen mit dieser Technik gearbeitet. Sie haben aus Bruchstücken etwas Neues geschaffen. Das fasziniert mich nicht nur hier an diesem besonderen Ort, wo die Inhaftierten mit ihren eigenen Brüchen umzugehen lernen. Das müsste es doch viel mehr geben: Nicht nur sehen, was kaputt ist, sondern vielmehr erkennen, was sich auch aus Zerbrochenem Schönes gestalten lässt. Es geht darum, die Schönheit auch im Unvollkommenen zu erkennen. Der Aschenbecher, gestaltet aus zerbrochenen Porzellanstücken, steht für die Fähigkeit, aus etwas Zerstörtem etwas Neues und Bedeutungsvolles zu schaffen. Diesem Ansatz, auf das Leben zu schauen gibt der Aschenbecher, gibt die Trencadís-Technik eine Form. Und ich staune einmal mehr, wie so ein kleiner Gegenstand eine tiefe Bedeutung haben kann. Und wenn schon der Anblick des Aschenbechers staunen lässt, um wieviel mehr dann erst die Ahnung von Frieden mit eigenen Brüchen. Aber natürlich bin auch ich lieber ein Fassadenmaler als ein Trencadís-Techniker. Lieber übertünchen, als die eigenen Fehler und Brüche zugeben, sichtbar machen. Tatsächlich hilft mir aber mein Glauben. Das Bewusstsein, dass mein Leben nicht allein in meinen Händen liegt, sondern auch in den Händen Gottes. In der Bibel spricht ein Beter zu Gott: „Herr, du hast mich erforscht und kennst mich. […] Du bist vertraut mit all meinen Wegen“ (Psalm 139). Und ich will dem Psalmbeter glauben, dass er damit wirklich auch alle Wege meint: die Umwege, die Abwege, die Sackgassen und Schlaglöcher. Ich steh nicht allein mit meinem Scheitern da, sondern Gott kennt mein Leben und schaut gütig darauf. Und da meine ich, dass ich auch mit anderen Menschen nachsichtiger und versöhnlicher umgehe, wenn ich weiß, dass ich selbst hier und da auch schonmal Porzellan zerschlagen habe.
Lasst uns doch zusammen auf unsere Scherbenhaufen schauen und daraus etwas Praktisches machen. Vielleicht auch etwas Schönes. Allein, dass ich um meine Brüche weiß, macht mich jedenfalls feinfühliger, die Herausforderungen zu sehen, vor denen andere Menschen im Moment stehen. Und dieses Feingefühl ist wichtig in meinem Beruf als Seelsorger. Aber ich ahne, so ein Feingefühl ist auch wichtig in Ihrem Leben.
Auch wenn es kein Aschenbecher ist: Viel Freude bei dem, was sie heute gestalten werden, wünscht ihnen Manuel Klashörster aus Delbrück.