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Kirche in WDR 5 | 17.05.2025 | 07:55 Uhr
Jubiläum
Guten Morgen,
Vor 25 Jahren war die Konfirmation.
Nach dem feierlichen Gottesdienst treffen sie sich im Gemeindehaus zum
Mittagessen.
Beim Eingang großes Hallo, Namen erinnern. Zwischen „Ich hab‘ Dich sofort
wiedererkannt.“ und „Ich habe keine Ahnung. Hilf mir mal.“ ist alles dabei.
Gleich die zweite Frage ist: „Und was machst Du denn so?“ Lehrer, Ingenieurin, Klempner,
Floristin, Krankenpfleger. Niemand sagt: „Ich lebe von Bürgergeld.“
Das „Weißt Du noch?“-Spiel geht los. Einige Jubilarinnen und Jubilare erinnern sich schier an alles, Anekdoten, Orte, wer mit wem – erstaunlich! „Weißt du noch, wie wir alle Fragen für die öffentliche Prüfung schon vorher hatten, weil der Pastor auch die Konfirmation in der Nachbargemeinde gemacht hatte? Wir wussten alles, und wir mussten bei jeder Frage kichern.“
Bilder von der Konfirmation werden rumgereicht. Erstes Gelächter: „Starke Frisur!“ „Ja! Das war total modern!“ „Diese Bluse. Die hat vielleicht gekratzt. Sofort als wir nach Hause gekommen sind, habe ich die in die Ecke gepfeffert.“ Alles sieht aus heutiger Sicht absonderlich aus: Haare, Brillen, Schuhe, Anzüge, Gesichter. Sie lachen, als wenn sie heute andere wären.
Sie erzählen von zu Hause. Verheiratet. Geschieden. Die Kinder fast noch alle in der Schule. Ledig ist hier keiner. Zwei sind schon tot. Krebs, Unfall. Eine kurze Stille tritt ein.
Einer erinnert daran, dass der Pfarrer, der sie damals unterrichtet hat, viele Hausaufgaben aufgegeben hat: Liedtexte, Bibeltexte, Katechismustexte. „Hat es uns geschadet?“, fragt eine, „ich weiß die heute noch.“ „Ich weiß nichts mehr davon“, widerspricht ein anderer, „das war sinnlos und langweilig.“ Jetzt fällt Violas Name. „Weißt du noch? Viola konnte immer nicht aufsagen. Was hat der Pfarrer sie angebrüllt! Jedes Mal. Wahrscheinlich hatte sie eine Leseschwäche, würden wir heute sagen.“ Viola tut allen leid. Aber damals hat niemand etwas gesagt. Schade, dass sie heute nicht dabei ist.
Matthias ist auch nicht da. Das wundert keinen. Die Geschichte wird leise beim Kaffee erzählt. Er hat einen Banküberfall begangen. Ein paar Jahre nach der Konfirmation. Er hat dafür gesessen, viele Jahre. Seit einer Weile ist er wieder auf freiem Fuß. Irgendjemand kennt seine Schwester.
„Wieso ist er eigentlich nicht gekommen?“, fragt eine, die bisher noch nichts gesagt hat. Sie setzt nach: „Er hat seine Strafe abgebüßt. Das ist doch quasi wie Vergebung, oder nicht? Und spricht die Kirche nicht immer von zweiter Chance?“
Eine Weile reden wir anders weiter: „Wie hätten wir ihn denn empfangen, wenn er gekommen wäre? Er hätte keine Freude hier gehabt.“ „Wie hätten wir ihn denn empfangen können, damit er Freude gehabt hätte?“ „Mmh. Gute Frage. Schwere Frage.“
Auf dem Gruppen-Foto von der Konfirmation ist Matthias dabei. Es ist vor dem Altar aufgenommen. Er ist der Kleine mit den blonden Locken in der zweiten Reihe.
Es grüßt Sie, Pfarrerin Christel Weber aus Bielefeld.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze