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Kirche in WDR 3 | 19.07.2025 | 07:50 Uhr
Wofür das Ganze?
Am Morgen, wenn der Tag noch nicht entschieden
ist — schießen einem ja manchmal merkwürdige Dinge in den Kopf. Keine Gedanken — eher ein Gefühl: »Mensch, könnte es nicht
eigentlich mehr oder was Anderes geben als das, was ist? Mir geht das manchmal so.
Wofür
das Ganze?
So’ne Frage kommt einfach.Sie drängt sich
nicht auf, sie ist einfach da: beim Wachwerden, am Frühstückstisch, beim
Wochenend-Einkauf: Was hält dich eigentlich im Gleichgewicht, wenn alles
weiterläuft – aber dich nichts wirklich berührt?
Vielleicht
ist das die eigentliche Gottesfrage.
Nicht:
„Gibt es Gott?“ Sondern: Was berührt mich –
und warum? Was bringt mich in Kontakt mit mir? Was hat Gewicht? Tue ich
nicht das meiste, weil ich es eigentlich immer schon so mache? Solche Fragen sind im Grunde lästig. Und wer
kann es sich schon leisten, mitten im Alltag nach seiner Sehnsucht zu fragen. Ich leiste mir diesen Luxus gelegentlich. Ich
bin sogar der Meinung: Weil ich mir das erlaube, weil ich diese
Fragen zulasse — als Unterbrechung —bin ich ein religiöser Mensch. Ich empfinde
das so.
Des Menschen größte Sehnsucht – das ist sein Gott.
Je mehr ich mich wirklich öffne, mich an meine Sehnsüchte rantaste, umso näher taste ich mich an Gott heran. Und wie’s der Zufall will: Ich steh damit offensichtlich nicht allein.
Dirk, ein Bekannter, ist seit schätzungsweise
zwanzig Jahren Architekt. Vor einem Jahr bekam er den Zuschlag für ein großes
Projekt: ein Kulturzentrum, mitten in unserer Stadt. So einen Auftrag wollte er
schon immer!
Endlich kann er zeigen, was
er drauf hat. Er hängt sich richtig rein: Modelle entstehen, Visualisierungen.
Alles passt. Aber irgendwann beginnt irgendwas zu reiben. Ein Gefühl. Er
schiebt es weg. Und dann erzählt er von dem Abend, an dem er
vor diesem weißen Modell sitzt, allein im Büro — und ihm dieser Gedanke kommt.
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Dieser unverschämte Gedanke: »Mensch, im
Grunde baust du das Ganze doch nur für dein Ego. Nicht für die Menschen.«
Naja, wer von uns arbeitet nicht täglich für sein Ego? — Jedenfalls: Dirk kann so nicht mehr weitermachen. Es verlässt ihn schlicht die Lust an dem Projekt. Eine Art Erschöpfung macht sich breit. Er will das Ganze abgeben. Aussteigen. Aber sein Vertrag — und das Geld!?
Drei Wochen bleibt das Ganze liegen. Das Modell
steht förmlich still. Kein nächster Entwurf, kein neuer Plan. Vielmehr Zweifel
an sich selbst. In dieser Zeit kommt Dirk öfter vorbei. — Übergangszeiten
sind Krisenzeiten. — Und dann die Überraschung: Dirk ist wieder im Büro.
Verändert. Was war geschehen? Er hatte keine neue Idee. Er
hatte sich einfach mal wieder ins Büro getraut …— so, wie ein Besucher, der von
ferne auf ein Modell schaut. Was sich verändert hatte, war sein Blick aufs
Ganze: weniger der des Architekten, als der eines Menschen, der ein
Kulturzentrum besucht. Von diesem Punkt an lief es wieder bei Dirk. Was jetzt
entstand, war einfacher, zurückhaltender und zugleich einladender.
Vorige
Tage sagte er: „Ich hab das Gebäude nicht entworfen. Es hat
sich mir gezeigt.“
Dass sich auch Ihnen zeigt, was das Beste für Sie ist —, das wünscht Ihnen Ludger Verst aus Köln.