Beiträge auf: wdr2
Kirche in WDR 2 | 23.08.2025 | 05:55 Uhr
Privilegien
Zwölf Erwachsene, ein Baby, ein Segelboot auf dem Ijsselmeer. Der Wind steht günstig, also raus aus der Schleuse vor Stavoren und rüber nach Enkhuizen. Kurz vor dem Hafen nehmen wir die Segel runter und schalten den Motor ein – alles normal so weit. Doch dann bemerken wir, dass der Motor zwar angeschaltet ist, sich das Boot aber nicht bewegt. Wir sind plötzlich manövrierunfähig. Nach einem Technikcheck vermuten wir, dass wir die Schraube auf dem Weg verloren haben. Also ist Anlegen im Hafen nicht möglich. Wir müssen umkehren und mit dem Wind auf die andere Seite zurück. Kurz bevor wir unser Ziel erreichen, kontaktieren wir die niederländische Seenotrettung. Kurze Zeit später entdecken wir zwei rote Schnellboote. Sie kommen zügig näher, übernehmen professionell die Kontrolle über unser Boot und schleppen uns in den nächsten Hafen. Unser Segeltörn ist damit beendet, aber wir sind natürlich froh und glücklich aus dieser Situation gerettet worden zu sein.
Als wir am Abend zusammensitzen und den aufregenden Tag noch einmal reflektieren, wird mir klar, wie privilegiert wir sind. Wir sind weiße Menschen mit deutschen Pässen auf einem Boot in einem EU-Land, können im Notfall mal eben die Seenotrettung anrufen, die dann sofort – wohlgemerkt ehrenamtlich - kommt und uns aus der Situation befreit. Wir sind eben nicht schwarz, sitzen nicht in einem überfüllten Schlauchboot und treiben nicht an den EU-Außengrenzen. Wir müssen auch nicht fürchten, dass uns niemand rettet oder sogar attackiert.
Dieses Segelerlebnis macht mich still. Lässt mich nachdenken über Gerechtigkeit, über unsere verschiedenen Lebenswirklichkeiten und über meine unverdienten Privilegien. Es erinnert mich daran, über wie viel Freiheit ich verfüge - fast ein bisschen selbstverständlich. Ja, ich darf meine Freiheit genießen. Aber sie verlangt auch, dass ich mich verantwortlich fühle für andere, benachteiligte Menschen. Dass unsere Liebe und unsere Fürsorge keine Grenzen kennen sollen, hat schon Jesus gesagt. Er hat immer die Schwachen, die Ausgegrenzten und die Verfolgten in den Mittelpunkt gestellt. Sein Handeln erinnert mich daran, dass Gottes* Liebe unendlich ist. Diese Liebe sollen wir weitergeben. Ich will meine Privilegien kritisch hinterfragen und entschieden für andere da sein. Für Menschen, die meine Hilfe brauchen. Für Menschen, die in Not sind. Gottes* Liebe dankbar weitergeben.
Quellen:
Rettungsschiffe fürs Mittelmeer - Häufige Fragen – EKD
Kirchliches Rettungsschiff heißt „Sea-Watch 4“ – EKD
Sea-Watch e.V. · Zivile Seenotrettung an Europas Grenzen
Die Royal Dutch Rescue Society ist seit 200 Jahren Rettungsschwimmer auf See - KNRM
“Die Kirche redet nicht nur, sondern rettet.” | United4Rescue
Letzter Aufruf 16.06.2025
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius