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Kirche in WDR 2 | 21.08.2025 | 05:55 Uhr
Erinnern, Bewahren und Loslassen
Ich stehe vor einem Schaufenster im Hamburger Norden. Nicht, um etwas zu kaufen, sondern um Erinnerungen zu betrachten. Eine Sammlung von Gegenständen, die den Menschen in diesem Stadtteil viel bedeuten. Ein Fußballschal, eine alte Schallplatte, ein Luftschutzgitter, eine Box voller Fotos – Dinge, die Geschichten erzählen. Ich beginne, die Tafeln zu lesen. Sie erzählen von Erinnerungen an schwere Zeiten, an Mut und Schutz, an das Überleben. Diese Gegenstände sind mehr als nur Dinge. Sie sind Zeugen, Erinnerungen, Brücken in die Vergangenheit. Menschen aus dem Stadtteil haben sie gesammelt, aufgestellt, bewahrt – eine Aktion der Geschichtswerkstatt.
Und während ich das betrachte, denke ich an mein eigenes Sammelsurium der Erinnerungen. Auch ich bewahre kleine Dinge auf, die für mich bedeutsam sind: Geburtstagskarten, Muscheln, Fotos, liebe Zeilen von Menschen, an die ich mich immer wieder gerne erinnern möchte. Alles liegt auf dem Dachboden, fast vergessen oder nur selten betrachtet. Doch wenn ich die Kisten öffne und mir die Dinge anschaue, freue ich mich darüber, dass ich sie bewahrt habe. In einer der Dachbodenkisten finde ich ein Gedicht der feministischen Theologin Dorothee Sölle, aufgeschrieben von einer Freundin mit Augenzwinkern. Darin macht sie uns darauf aufmerksam, dass wir Ordnung halten sollen – im Außen und im Inneren:
„Bitte lasst eure Zimmer nicht verkommen,
wenn eure Zimmer hässlich sind,
werdet ihr euch selber nicht lieb und wert halten.
Wenn ihr euch selber nicht ehrt,
werden eure Gedanken ohne Spannkraft sein.
Wenn eure Gedanken nichts anziehen,
werden eure Bewegungen ungenau.
Wenn eure Bewegungen fahrig sind,
wird eure Haut nichts von den Blumen lernen.
Die Karte mit dem Gedicht erinnert mich daran aufzuräumen - meine Kartons und Erinnerungen auf dem Dachboden mal wieder zu sortieren. Aber auch mein innerer Raum will gepflegt werden – mein Herz, meine Seele. Ich könnte mal wieder schreiben und dabei meine Gedanken ordnen oder einfach Nichtstun und im kühlen Wald ein Buch lesen... Erinnern, Bewahren und Loslassen – hat alles seine Zeit. Ich bin dankbar für das, was war, was ist und was sein wird. Und ja: Ich lasse meine Zimmer nicht verkommen!
Quellen:
Aktuelles – Geschichtswerkstatt Barmbek, Geschichte lebendig erleben. Letzter Aufruf 12.06.2025
https://www.dorothee-soelle.de/von-dorothee-s%C3%B6lle/b%C3%BCcher-von-d-s%C3%B6lle/ Letzter Aufruf 12.06.2025
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius