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Kirche in WDR 5 | 09.08.2025 | 07:55 Uhr
Hoffnungsfest
Guten Morgen.
Wir sitzen im Garten und feiern unseren einhundertfünfundzwanzigsten Geburtstag. Es ist wundervoll mit vielen Menschen. Das stolze Alter haben meine Frau und ich und unsere drei Jungs gemeinsam erreicht. Und wir haben die Freunde und Nachbarn, die Leute aus unserer Musikwelt, liebe Leute aus Kirche und Dorf und natürlich auch Familie eingeladen. Wer im Vorfeld fragt: „Was wünscht ihr euch?“, den bitten wir, ein Lieblingsessen mitzubringen. Wenn jeder etwas mitbringt, ist es mehr als genug. Die somalische Freundin ist vom niederrheinischen Kartoffelsalat begeistert und Nachbarn vom afghanischen Grillgut am Schwert. Das Essen ist indisch und dörflich, experimentell und Hausmannskost, scharf und süß und jeder Teller voller Überraschung.
Alle können sitzen, weil die Nachbarschaft Gartenmöbel ausgeliehen hat, wir ein Sofa auf den Rasen stellen, Hängematten hängen und Bretterbänke bauen. Einige verweilen eh lieber am Stehtisch, wo irgendwann eine Flasche Rum aus Barbados verkostet wird. Es herrscht ein wunderbares Gewusel. Der Bürgermeister sitzt neben der jungen Mutter aus Kamerun, die Freundin, die als Geflüchtete kam, bei unserer fast neunzigjährigen Freundin von nebenan, der Supermarktleiter redet mit unserem palästinensischen Freund aus Syrien.
Fast fünfzig Kinder sind ständig in Bewegung, wie eine große, gackernde Schar Wildgänse. Sie rennen durch die kleine Nachbarschaft, toben im hinteren Teil des Gartens. Sie suchen und sie finden sich – und sie finden sich toll. Wer Musik machen kann, muss heute kein Essen mitbringen, sondern nur sein Instrument. Unterm Dach des Schuppens spielen sie aus Spaß an der Freude und manche singen oder tanzen bis es dunkel wird. – Es gibt Momente, die sind fast zu schön, um wahr zu sein. „Ein Volksfest“, wie der Pfarrer nachdenklich sagt, als er sich umschaut, „ein richtiges Volksfest“.
Solche Feiertage braucht eigentlich jeder Mensch, jede Familie, jeder Ort. Tage, die größer sind als wir selbst. Das Besondere an solchen Festen ist, sie fließen auch wieder in die Alltage ein. Darum sagen wir im Deutschen ja auch: Es ver-fest-igt sich!
Natürlich sind unsere Feste nicht immer so außerordentlich groß. Aber wenn wir auf Bilder der letzten zehn Jahre schauen, sehen wir neben alten Freundinnen und Familie etwa einhundert geflüchtete Menschen aus unserem Dorf, die bei uns zu Hause am Tisch gesessen haben.
Bei Familienfesten um Ostern – das lässt sich beim Abendgrill zum Beispiel gut mit dem abendlichen Fastenbrechen im Ramadan verbinden, im Sommer unterm Baum im Garten oder wenn Weihnachten näher rückt. Nicht alle aus diesem Kreis feiern sonst Advent oder Nikolaus – aber wir tun es und sagen: „Wenn du möchtest, bist du herzlich eingeladen, heute Teil der Familie zu sein.“
Die Bibel spricht oft von unserem Unterwegssein, als Gäste auf Erden, als Fremde in dieser Welt, als Heimat- und als Himmelsuchende. (1) Gerade deshalb glauben wir in unserer Familie, wir sollten uns öfter Räume gönnen, in denen wir geben – und nehmen können. Denn wenn wir uns voreinander die Herzen öffnen, wird offenbar: Wir alle tragen Lasten und Schätze mit uns. In uns ist Gebrochenes und Geheiltes. Und wenn wir darüber erzählen dürfen, kann Vertrauen wachsen. Es gibt Orte, an denen es Menschen gibt – denen bist du nicht egal, da wirst du gebraucht, da kannst du etwas beitragen. – So können wir einander Heimat und Hoffnung werden im Unterwegssein.
Alles Gute in Ihr unentwegtes Unterwegssein, Ihr Patrick Depuhl, Alpen.
Quellen:
(1) nach Die Bibel, Psalm 39,13 oder Hebräer 11,13-16.
Das Original des Textes vom selben Autor erschien in – Judy & Patrick Depuhl „Auf der anderen Seite des Schmerzes kann Hoffnung wachsen“ in Sarah Vecera (Hg.), Gemeinsam anders, München: bene! Verlag, 2025, S. 178-189.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze