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Kirche in WDR 4 | 06.09.2025 | 08:55 Uhr
Jauchzen und klagen
Guten Morgen.
„Wohl dem Volk, das jauchzen kann!“, lese ich in der Bibel. Jauchzen. Wann habe ich denn überhaupt zum letzten Mal gejauchzt. Das ist ein ziemlich großes Wort. Das machen so Bergsteiger, wenn sie oben am Gipfelkreuz stehen und die Aussicht rundum sehen. Juhiuhhui. Das macht man höchst selten. Und ein ganzes Volk - wann sollte das jauchzen? Vor elf Jahren, als wir Fußballweltmeister wurden? Da hat auch nicht das ganze Volk gejauchzt. Es gibt immer welche, die sich dafür nicht interessieren. Nein, dass ein ganzes Volk jauchzt, das gibt es nicht.
Das Gegenteil ist der Fall. Denn das Gegenteil von Jauchzen ist Klagen. Das können wir wohl besser. Ich denke fast jeder sieht das: Verglichen mit den meisten Menschen und Völkern geht es uns gut.
Aber viele haben Angst, dass sich das ändert. Dass es schlechter wird. Mieten, Heizkosten, Strompreis steigen schneller als der Lohn und die Rente. Kann ich mein Häuschen halten? Kann ich meine Miete bezahlen? Es bleibt immer weniger übrig. Und viele haben das Gefühl: „Keiner hört mir zu, wenn ich diese Sorgen erzähle. Die Politik, die kümmert sich um unwichtige Dinge und meine Probleme interessieren keinen.“ Und da wächst die Wut. Auf die Politiker, auf den Staat. Und auf einmal hat man ganz viel Grund zur Klage: „Ich habe Angst und keiner hört zu.“
Und darum fangen sie an alles zu verachten, gegen alles zu sein. Und wählen Parteien, die genau das tun: Alles verachten, was unser Zusammenleben, was unseren Staat, was unsere Gesellschaft im Guten ausmacht. Natürlich gibt es Probleme. Die Schere zwischen arm und reich wächst. Das darf nicht sein. Aber dass wir da zusammenstehen und anpacken, dass wir alle politisch mitbestimmen können – das bleibt ein ganz hohes Gut. Freiheit und Gerechtigkeit – darum müssen die Politiker qua Amt immer wieder ringen. Für alle. Und „die Politik“, das sind in der Demokratie wir alle zusammen.
Wenn man mal Grund zur Klage hat, braucht man einen, der einen ernst nimmt und zuhört. Ich hab´ das mal in einem Gespräch mit einem Polizisten erlebt. Da erzählte der mir viel von seinem Alltag. Und ich sagte „…und dann muss man sich noch veräppeln lassen!“ Er blickte mich an und sagte: „Es tut so gut, wenn man einfach mal erzählen kann und verstanden wird!“ - „Dafür sind wir Pfarrer auch da“, sagte ich. Aber nicht nur wir.
Machen Sie das doch auch mal. Hören Sie einfach jemandem zu, der seine Sorge loswerden will. Und nicht gleich widersprechen, nicht gleich korrigieren, sondern einfach mal zulassen.
Und noch was: Das müssen wir auch endlich verstehen. Es bringt nichts, wenn ein Volk jauchzen kann. Die Welt ist klein geworden. Entweder jauchzen alle oder über kurz oder lang jauchzt gar keiner mehr. Wir müssen unbedingt auch die Sorgen und Ängste der Menschen anderer Völker und Länder mehr wahrnehmen. Alle. Nicht nur die Politiker oder die da oben, sondern Sie und ich. Vielleicht kommen wir dann ja doch noch dahin, dass alle Menschen sagen können „ich kann nicht klagen“. Das wäre dann ein guter Grund zum Jauchzen.
Es grüßt Sie, Pfarrer Klaus Künhaupt aus Essen.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze