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Kirche in WDR 2 | 20.09.2025 | 05:55 Uhr
Leben im Rückspiegel
Er schaut auf das Blatt Papier in seiner Hand. Und lächelt. Ein kleiner Text, mehr eine Liste. Er hat das geschrieben, da war er siebzehn. „Mein Lebensplan“ -. Mit 18 Abitur. Bachelor, Master. Doktortitel. Auch Privates. Bis 30: Feste Partnerschaft, ein Kind. Tja, so hat er sich das vorgestellt. Damals. Das Wenigste ist so eingetroffen. Teilweise liegt es an ihm selbst. Man ist eben nicht immer so perfekt, wie man das gerne hätte. Teilweise liegt es an anderen. Und immer wieder gibt es auch diese Momente, da tritt dir das Schicksal so richtig mit Schwung von hinten in die Beine: Der Motorradunfall damals. Oder das Jahr, in dem beide Eltern gestorben sind. Das hat ihn echt umgehauen. Tja, denkt er sich, im Rückspiegel betrachtet sieht das Leben eben doch ziemlich anders aus.
Und doch: Alles hat irgendwie seinen Platz und seinen Wert gehabt. Alles hat dazu beigetragen, dass er jetzt heute hier steht, wie er hier steht. Das Schöne, an das er sich gern erinnert. Aber auch die Fehler, die ihm gezeigt haben, wo er sich verändern muss. Und selbst die wirklich schlimmen Momente waren nicht sinnlos, weil sie ihm gezeigt haben: Selbst so etwas kann ich durchstehen.
In der Bibel gibt es das
sogenannte „Buch des Predigers“. Da steht: „Ein jegliches hat seine Zeit, und
alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.“ (Pred. 3,1) Da wird dann
aufgezählt, was so im Leben alles passieren kann: Lachen, weinen, aufbauen,
niederreißen, gewinnen, verlieren. Mit dem Fazit: Alles hat seinen bestimmten
Platz auf dem Lebensweg. Jeder Moment hat seinen Wert. Ein ermutigender
Gedanke: Ich muss mein Leben also gar nicht minutiös durchplanen und
optimieren, wenn mich doch oft gerade das Unvorhergesehene weiterbringt. Ich
muss nicht immer perfekt sein und alles im Griff haben, wenn doch auch Fehler
und Rückschläge mich nicht zum Versager machen, sondern wichtige Schritte sind
auf meinem Weg. Und wenn ich in die Zukunft schaue: Da warten noch jede Menge
weitere Erfahrungen, manche werden gut, manche traurig sein. Aber alle werden
sie - genauso - Schritte auf meinem Weg sein und ihren Sinn und ihren Wert
haben. Er schaut noch einmal auf dieses Papier, auf den Lebensplan, den er mit
17 geschrieben hat. Eigenartig, dass er ihn überhaupt aufgehoben hat. Und gut,
dass er ihn nicht befolgt hat. Was wäre dann wohl aus ihm geworden?
Redaktion: Rundfunkpastorin Sabine Steinwender-Schnitzius