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Kirche in WDR 2 | 30.07.2025 | 05:55 Uhr
Jeder Tag zählt
„Ob ihr den noch abwohnen könnt?“ In unserer Familie ist diese Frage ein Running-Gag. Es ist bestimmt 30 Jahre her, da kaufen sich Bekannte einen neuen Wohnzimmerschrank. So ein richtig massives Ding, wuchtig, stabil und teuer. Und als sie den Schrank voller Stolz zeigen, fragen ihre erwachsenen Kinder genau das, ziemlich abgeklärt: „Ob ihr den noch abwohnen könnt?“ Die Schrankwandbesitzer waren zu dem Zeitpunkt so Anfang 60 und waren ziemlich pikiert. Niemand will mit Anfang 60 schon zum alten Eisen gezählt werden, verbunden mit der Frage, ob sich so eine Investition denn noch lohnt. Als ich damals den Spruch der Kinder gehört hab, da war meine Reaktion: Wie unverschämt ist das denn! Die Eltern können doch selbst entscheiden, was sie mit ihrem Geld anstellen. Das finde ich auch immer noch. Inzwischen ist aber noch ein weiterer Gedanke dazu gekommen: Investitionen lohnen sich ein Leben lang, wenn es um etwas geht, das einem etwas bedeutet.
Vor kurzem hab ich gelesen von einem Zahnarzt im Ruhestand, der eine Ausbildung zum Schreiner angefangen hat. Mit 66 Jahren ist er im zweiten Lehrjahr. Er hat wohl schon immer gerne an seinem Haus und an alten Autos rumgewerkelt – neben der Zahnarztpraxis. Und jetzt investiert er seine Zeit darin, das Schreinerhandwerk von der Pike auf zu lernen. Jetzt könnte man auch hier fragen: Ob sich das lohnt? Ob man so eine dreijährige Ausbildung, die man mit Mitte 60 beginnt, überhaupt noch „ableben“ kann?
Darum geht es eben nicht. Wir sind eben keine Möbelstücke sondern Menschen. Wir sollen nicht rumstehen, sondern leben. Es geht nicht ums „ab-leben“ sondern ums „er-.leben“. Viele schöne Dinge liegen jenseits einer Verwertungslogik.
„Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, soll Martin Luther einst gesagt haben. Und das ist genau die Haltung, die ich meine. Wir wissen nicht, was kommt. Und deshalb wäre es geradezu unvernünftig, das „Hier und Jetzt“ nicht mit den Ressourcen zu gestalten, die uns jetzt zur Verfügung stehen. Nicht verprassen aber auch nicht vergraben, weder Geld noch Ideen oder Talente, darum geht es.
Deshalb
lohnt es sich, sich chic zu machen, nur für sich, wenn einem danach ist,
Schrankwände zu bauen oder zu kaufen, Sprachen zu lernen, Reisen zu
unternehmen. Egal, wie alt man ist: Es ist nie zu spät, mit dem anzufangen oder
mit dem weiterzumachen, was einem jetzt wirklich Freude macht. Nichts ist
vergeblich. Weil nichts, was
wir tun oder lassen ohne Wirkung bleibt. Für uns und für andere.